1. Fachkräfte, die ihre Berufsqualifikation nicht oder nicht vollständig nachweisen können, dürfen unter bestimmten Voraussetzungen trotzdem einreisen, die Kompetenzen sollen dann in Deutschland geprüft werden.
2. Auch wer eine Menge Berufserfahrung, aber keinen Abschluss vorweisen kann, soll Arbeit finden. Für Beschäftigte der IT-Branche wird zudem auf den Nachweis von Deutschkenntnissen verzichtet, wenn das Unternehmen dies unterstützt.
3. Für Menschen mit "gutem Potenzial" soll eine Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche eingeführt werden: Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug zählen dabei als gute Auswahlkriterien.
Historiker Wolffsohn über Einbürgerung
Zwei Mitarbeiterinnen der 2020 eingerichteten Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung chatten mit ausländischen Fachkräften, die Interesse haben, in Deutschland zu arbeiten. Michael Wolffsohn betont, Deutschland wolle diese Einwanderung aus nationalem Interesse. © picture alliance / dpa / Oliver Berg
"Es ist reiner Egoismus"
11:30 Minuten
Die Debatte um Einbürgerung und Einwanderung sei zu eindimensional, findet Historiker Michael Wolffsohn. Der Wunsch, Fachkräfte anzuwerben, sei verständlich – aber auch egoistisch. Er plädiert für mehr Perspektiven und mehr Ehrlichkeit.
Wie könnten Anreize aussehen, mit denen sich dringend benötigte Fachkräfte nach Deutschland locken lassen? Ein Eckpunktepapier der Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP nennt erste Ansatzpunkte für eine Veränderung der Einwanderungsregeln:
"Es gibt mehrere Perspektiven", sagt dazu Historiker und Autor Michael Wolffsohn. "Es wird so getan, als ob es eine große menschliche Leistung wäre, dass wir Ausländer nach Deutschland kommen lassen und sie zu Inländern machen." Das sei aber eine "Sirup-Geschichte", die Überzuckerung einer "ökonomisch-funktionalen Notwendigkeit".
Nicht umsonst spreche der Entwurf von "Menschen, die Potenzial haben", hebt Wolffsohn hervor. "Im Grunde genommen steht die Funktion und nicht der Mensch hier im Mittelpunkt." Lasse man die Überzuckerung beiseite, dann handele es sich um eine "aus nationalem Interesse nachvollziehbare" Entscheidung.
Eindimensionale Diskussion
Wir bräuchten ganz dringend diese qualifizierten Arbeitskräfte, so der Historiker. "Aber, wenn wir diese qualifizierten Arbeitskräfte zu uns holen, werden sie ja woanders weggenommen. Und die Frage ist: Wer und wo ist dieses woanders?"
Wir täten so, als ob wir hier eine menschliche Leistung vollbrächten, sagt Wolffsohn. Dabei würden wir diese Fachkräfte und ihr Potenzial anderen Menschen entziehen, die diese qualifizierten Kräfte womöglich viel nötiger bräuchten als wir in Deutschland: "Mir ist diese ganze innerdeutsche Diskussion viel zu eindimensional", sagt er.
Moral wird vorgeschoben, aber tatsächlich ist es auch viel Schein-Moral.
Der Abzug von Know-how aus Land A sei ein Minus für Land A, erläutert Wolffsohn seinen Gedankengang: "Wir tun uns was Gutes, aber wir tun möglicherweise den anderen etwas Schlechtes."
Es werde so getan, als ob das Hineinlassen von qualifizierten Kräften ins Land eine Wohltat sei. "Das ist es nicht. Es ist reiner Egoismus." Wolffsohn findet, das sollte man auch so benennen.
Staatsbürgerschaft
"Die Identitätsstiftung ist ein Drumherum, was immer gemacht wird", findet Wolffsohn. Tatsächlich sei jede Gemeinschaft eine funktionale Gemeinschaft aus wechselseitigen Interessen und diese Interessen seien sehr vielschichtig und oft auch gegensätzlich.
Er habe auch nichts dagegen, mehrere Staatsbürgerschaften zuzulassen, aber man müsse sich über die Konsequenzen im Klaren sein: jeder Staat habe die Aufgabe, seine Bürger zu schützen – nach innen und nach außen.
Wenn jemand woanders in die Klemme komme, könnte es mit dem Schutz schwierig werden, so Wolffsohn. Bei der Inhaftierung von Deniz Yücel etwa habe die deutsche Regierung nicht viel mehr machen können als "dem armen Mann Schokolade und Obst ins Gefängnis zu bringen".
Eine doppelte Staatsbürgerschaft bedeutet doppelte Probleme.
Auch die Identifikation hänge nicht nur vom Pass ab. In Frankreich etwa gebe es viele "Passfranzosen", die zwar auf dem Papier französische Staatsbürger seien, sich aber alles andere als französisch fühlten.
Und nach dem Fußballspiel Belgien gegen Marokko seien die belgischen Staatsbürger marokkanischer Herkunft plötzlich Marokkaner gewesen, sagt Wolffsohn.
Man müsse also die Mehrdimensionalität solcher Fragen berücksichtigen, rät der Historiker. "Und das ist, nicht nur bei diesem Problem, in Deutschland eher selten der Fall."
(ros)