Reduzierte, aber intensive Klänge
Mit "Weltentraum" erreichte der Jazzpianist Michael Wollny ein großes Publikum. Jetzt entwickelte Wollny sein neues Album namens "Nachtfahrten" und dabei begibt er sich mit seinem Trio auf auf neue Wege in eine undurchsichtige Zukunft - mit vielen Fragen.
"Das ist wirklich eine Erfahrung, die ich in den letzten zwölf Monaten so gemacht habe, dass man wirklich Vertrauen haben muss, dass die Dinge ihren Weg gehen und dass man eigentlich manchmal nur einen geschützten Raum öffnen muss, an den dann alles so andockt, wie es sein soll. Anstatt die ganze Zeit mit völliger Nervosität versuchen wollen, alles in die Hand zu nehmen, alle Fäden in der Hand zu behalten und alles unglaublich wichtig zu nehmen. Sondern es geht eher um das große Ding, dass alles miteinander fließt und verbindet und räsoniert und so. Das ist so die alles überstrahlende Erfahrung der letzten Monate und insofern, ja, hat es auf die Musik auch schon viel Einfluss, ja!"
Das Vaterwerden ist gemeint! Sein Sohn Sebastian hat in den letzten 21 Monaten nicht nur Räume, sondern ganze Welten neu geöffnet, hat vieles auf den Kopf gestellt und gleichzeitig für viel mehr Ordnung im Kopf des Musiker-Vaters gesorgt. Denn auf einmal fügen sich die Dinge, man konzentriert sich auf das Wesentliche im Leben - und in der Musik. Auch die von Michael Wollny so heiß geliebten Nächte sind schließlich viel kürzer geworden. Nichts bleibt, wie es war, man begibt sich auf eine jener sogenannten "Nachtfahrten", auf neue Wege in undurchsichtige Zukunft, mit vielen Fragen.
Im Fluss der Musik
Das Stück "Questions in a world of Blue" fungiert als Portal für diesen Weg. Produzent Siggi Loch und Michael Wollny haben ihn ganz bewusst an den Anfang des Albums gesetzt. Es ist für das Trio ein ungewöhnlich langsames, leeres wie offenes Stück, das den Hörer einstimmen soll, ihn dazu bringen soll, sich auf die "Nachtfahrten" zu begeben, sich in den Fluss der Musik zu werfen, in dem ihn diesmal weniger ein bestimmter Groove trägt, als vielmehr die Gelassenheit und starke Einheit der insgesamt 14 Stücke, die am Ende wieder ein Ganzes bilden.
"Ich glaub, was ich im Lauf der ganzen Arbeit, also vom Komponieren, bis über Proben bis hin zum Aufnehmen, immer mehr verstanden habe, ist, dass einfach der Klang, mit allem, was er ist, das heißt, auch mit den Obertönen, wie die im einzelnen Klang schwingen und die Erkenntnis, dass ein Ton nicht ein Ereignis ist, sondern unendlich viele Ereignisse - damit zu arbeiten, das, würde ich sagen, ist für dieses Album genauso wichtig, wie der Gedanke von Songs und Liedern für das Album 'Weltentraum' war. Es ist einfach die Beobachtung: Wir gehen aus der Songstruktur noch mal enger und noch mal mehr in das Detail und schauen uns die Töne an und die Klänge und gucken, wie die ihren Platz finden und wie die miteinander zu tun haben."
"Nachtfahrten" ist ein Album der reduzierten und gleichzeitig intensiven Töne und Klänge. Ein Album, das fließt, das einen trotz oder gerade wegen seiner großen Ruhe mitnimmt auf einen Weg aus Emotionen, einen Weg, der nicht klar und hell vor Augen liegt und von dem man nicht weiß, wo genau er hinführen wird. Der Albumtitel "Nachtfahrten" stand bereits fest, bevor Wollny seine Musik dazu geschrieben hat:
"Ich hab dann gesagt, ich konzentrier mich einfach nur auf das, was dieses Wort bei mir ganz am Anfang ausgelöst hat. Und das war letzten Endes dieses Klavier-Wort: Nocturne. Ich wollte einfach ein Album machen mit Nocturnes. Und da Nocturnes ja nicht nur diese schwer depressiven und schwarzen Abgründe bemalen, sondern immer auch diese reflektierenden und wärmende kleine Welt beschreiben, hatte ich immer auch das Gefühl, mein privates Stichwort war immer: Ich wollte so 'neonfarbene Nocturnes', hab ich mir aufgeschrieben, das wollte ich machen. Ich wollte Stücke, die leuchten, die Kraft haben, bei sich sind, die irgendeine Geschichte erzählen, aber halt im Geiste dieser alten Fassung von Nocturnes."
"Ich hab dann gesagt, ich konzentrier mich einfach nur auf das, was dieses Wort bei mir ganz am Anfang ausgelöst hat. Und das war letzten Endes dieses Klavier-Wort: Nocturne. Ich wollte einfach ein Album machen mit Nocturnes. Und da Nocturnes ja nicht nur diese schwer depressiven und schwarzen Abgründe bemalen, sondern immer auch diese reflektierenden und wärmende kleine Welt beschreiben, hatte ich immer auch das Gefühl, mein privates Stichwort war immer: Ich wollte so 'neonfarbene Nocturnes', hab ich mir aufgeschrieben, das wollte ich machen. Ich wollte Stücke, die leuchten, die Kraft haben, bei sich sind, die irgendeine Geschichte erzählen, aber halt im Geiste dieser alten Fassung von Nocturnes."
Keinen einzigen erweiterten Akkord
In Wollnys Interpretation sind Nocturnes Charakterstücke, die eine Vielfalt von Ausdrucksmöglichkeiten entfalten und dafür nach einer hohen technischen Versiertheit verlangen. Für Wollny haben sie melodiösen, gesanglichen Charakter, mit einladenden Melodien, also Resonanzen im weitesten Sinne. Das Stück "Der Wanderer" ist ein Musterbeispiel für sein Spiel mit wenigen einfachen Elementen, es gibt nur Dur und Moll Dreiklänge, es gibt keinen einzigen erweiterten Akkord. Als Solo-Album geplant, entstand doch wieder die Musik für ein Trio, welches sich aber ganz auf diese eigenwilligen Klangbilder einlässt, die in der Dunkelheit aufblitzen. Wollny betritt dieses musikalisches Neuland wieder zusammen mit seinem besten Freund, dem Klangkünstler und Drummer Eric Schäfer, der mit raschelnden und aufblitzenden Geräuschen Dunkelheit bereitet, inspiriert von Schwarzer Romantik, Malerei, Literatur und Philosophie. Und der dieses Mal nur in wenigen Ausreißer-Stücken wie "Motette no. 1" den Groove vorgibt:
"Beim Klavierspielen geht es ja, wie alles, auch letzten Endes um Erkenntnisgewinn. Sei es nur darum, ich hab da jetzt einen Takt aufgeschrieben, und den spiel ich jetzt im Trio, was will das, was für ein Tempo ist das, was für ne Atmosphäre ist das. Und ich denke, dieser Erkenntnisgewinn oder auch das Öffnen von Türen in unbekannte Räume und das aushalten können, das ist auch wieder so ein Element grad der schwarzen Romantik, die halt sagt, wir gehen ins Übernatürliche und gucken dort nach Dingen, und vergewissern uns dadurch umso mehr unseres Raumes aber erinnern uns auch daran, dass es immer etwas gibt, was außerhalb unserer Bewusstseinszone liegt. Und das fand ich immer total interessant. Und um noch zum Schluss Wes Craven zu zitieren, der ja leider von uns gegangen ist, der große Horror-Film-Meister, der hat gesagt - 'Horror doesn't create fear, it releases fear.' Das finde ich wahnsinnig schön."