Michel Decar: "Tausend deutsche Diskotheken"
Ullstein, Berlin 2018
240 Seiten, 16,99 Euro
Disko-Krimi im neonfarbenen Milieu der 80er
Michel Decars Bühnenstück "Philipp Lahm" war ein großer Erfolg. Jetzt hat der Dramatiker seinen ersten Roman geschrieben. "Tausend Deutsche Diskotheken" heißt sein grandios komponierter Krimi, der sich rund um einen einzigen Song spinnt.
Ein paar Takte eines eher mittemäßigen Stücks sind die einzige Fährte - Madonnas "White Heat" von ihrem 86er-Album "True Blue" - schallt nämlich aus dem Hintergrund, als Mauke, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn, eines Nachts einen dubiosen Erpresseranruf aus einer Großraumdisko bekommt. Das Wasser steht Mauke bis zum Hals. Er ist Teil einer ganz windigen Sache, und deshalb ruft Mauke seinen alten Bekannten, den Privatdetektiv Frankie, an und bittet ihn um Hilfe.
Zitat: "Sie müssen diesen Anrufer auftreiben, Frank! Der Anrufer vom 9. Juli ist der Schlüssel zu allem. Möglicherweise sprechen wir gerade zum letzten Mal miteinander, möglicherweise sind das die letzten Tage der BRD, so wie wir sie kennen."
Von Disko zu Disko durch Westdeutschland
Frankie hat nicht viel zu verlieren. Das Finanzamt München II will ihn vernichten, da ist er sich sicher. Sein Büro wurde längst versiegelt, das Inventar gepfändet. Also nimmt Frankie Maukes Auftrag an, schmeißt sich in seinen Zucchini-grünen Opel Admiral, und servolenkt sich von Disko zu Disko durch Westdeutschland. Seine Mission: Herausfinden, von wo der dubiose Anruf kam. So jedenfalls protokolliert es Frankie aus Ich-Perspektive vor dem Leser und vor einem gewissen Courcelles, einer Person, die bis zur spektakulären Wende in diesem Fall im Dunkeln bleibt.
Der glücklose Frankie erinnert in seiner abgeklärten Coolness an den legendären österreichischen Inspektor Kottan aus der Fernsehserie "Kottan ermittelt". Er scheint sich überwiegend von Longdrinks und Zigaretten zu ernähren, verfügt über erstaunliche literarische Leidenschaft, und er nutzt die Ermittlungen, um hier und da ein paar feurige Amouren von einst wiederaufleben zu lassen. So wartet in fast jedem Städtchen ein Mädchen. Wenigstens erzählt Frankie das.
Zitat: "Ich schleppte alles hoch in den dritten Stock, legte das Album Roxy Music von Roxy Music auf und daraufhin bumsten wir sicher an die fünf oder sechs Stunden die nur davon unterbrochen wurden, dass ich einmal kurz zur Tankstelle fuhr, um eine Flasche Bacardi und zwei Schachteln Marlboro Menthol zu holen, das können Sie mir jetzt glauben oder nicht."
Ein Philosophiestudent verschwindet
Und dann ist da noch der ewige Philosophiestudent Jens Wetterstein, den Frankie - bis zu dessen rätselhaften Verschwinden - gnadenlos miteinspannt beim Abklappern westdeutscher Amüsierschuppen.
Zitat: "Warum so gut gelaunt, Jens Wetterstein? Mach doch gleich in Rosenheim weiter, nehm dir da das Peppermint und das Stage vor und danach noch das Xanadu in Traunstrein. Und wenn du damit fertig bist, sage ich, dann schnappst du dir in Garmisch das Baccara und das Surprise, vor allem das Surprise, sagte ich zu Jens Wetterstein, beim Surprise würde ich mich nicht wundern, auf die ein oder andere Sache zu stoßen, im Surprise könnte echt was gehen, aber wenn nicht, dann checkst du noch das Niagara und das Schampus in Bad Tölz, und dann rufst du mich wieder an. Alles klar, Jens Wetterstein?, sagte ich zu Jens Wetterstein. Alles klar, sagte Jens Wetterstein."
Zum x-ten Mal "White Heat"
Sprachlich konsequent führt Michel Decars zurück ins neonfarbene, dauergewellte, tennisspielende Milieu der 80er-Jahre. Dabei ähneln sich nicht nur die albernen Disko-Namen. Auch die Städte selbst, Frankies links-alternative Frauenbekanntschaften, ja selbst die Gespräche und hohlen Abende an irgendwelchen Tresen werden zu kräftezehrenden Wiederholungen des Immergleichen. So unspezifisch, austauschbar, und redundant werden Orte und Begegnungen geschildert, dass man das Buch mitsamt seinem scheinbar stumpfen Helden Frankie schon fast in die Ecke schmeißen will. Bis der Groschen fällt, und es einem beim Lesen so geht, wie Franky beim x-ten Mal "White-Heat"-Hören:
Zitat: "Ich verstehe ja nichts von Musik, ich bin da wirklich kein Experte, aber gerade 'White Heat' kam mir absichtlich schief vor. Es war einer der schiefsten Songs, die ich je gehört hatte. Irgendetwas stimmte nicht daran, war gemein, hinterhältig, auf gemeine Art hinterhältig."
Das - so wird sich zeigen - gilt auch für eine der wichtigsten Figuren in diesem Roman. Am Ende dieser zahllosen betrunkenen und viel zu lauten 80er-Jahre Nächte geht plötzlich das Licht an. Die Party und ein grandios komponiertes Debüt sind zu Ende.