Michel Friedman über Streitkultur

"Streiten heißt lebendig sein"

07:32 Minuten
Zwei Personen - eine Frau und ein Mann - halten einander ihre Fäuste entgegen.
Wir sollten viel häufiger auf Konfrontation gehen und miteinander streiten, meint Michel Friedman, der selbst als sehr streitbar gilt. © picture alliance / Zoonar / Svyatoslav Lypynskyy
Moderator: Stephan Karkowsky · 14.06.2021
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Gefühlt wird in Deutschland ständig über irgendetwas heftig diskutiert. Dem Publizisten Michel Friedman ist das nicht genug: Deutschland sei zu sehr Konsensgesellschaft und brauche deutlich mehr Streit, „aber auf dem Boden der Tatsachen“.
Gendersternchen, Benzinpreise, Coronamaßnahmen: In Deutschland ging es in den letzten Wochen und Monaten hoch her bei diesen Themen. Dennoch: Es wird nicht genug gestritten, findet der Publizist und Talkshow-Moderator Michel Friedman.
Deutschland ist für ihn noch immer zu sehr "Konsensgesellschaft" und bis heute davon geprägt, dass nach 1945 "das Schweigemäntelchen" ausgebreitet worden sei und die Generation der heute 60- bis 70-Jährigen das Streiten nicht gelernt habe.
Frankfurter Buchmesse, Book Fair, Messe Frankfurt, Frankfurt am Main, 11. - 15. Oktober 2017, 13.10.2017 Bild: Michel Friedmann - Moderation bei der Podiumsdiskussion Zuwanderungsgesellschaft, Flucht und Migration beim Weltempfang (Halle 3.1 L25) *** Frankfurt Book Fair Book Fair trade Fair Frankfurt Frankfurt at Main 11 15 October 2017 13 10 2017 Picture Michel Friedmann Moderation at the Panel discussion Escape and Migration the Hall 3 1 L25 Copyright: Fotograf:xVolkerxDanzerx/xAgentur:xHMBxMediax-xHeikoxBecker
Der Publizist und Moderator Michel Friedmann hat ein Buch über Streitkultur veröffentlicht.© imago / Volker Danzer / HMB Mediax
"Was wir heute als Streiten bezeichnen, ist eine Anzahl von Monologisierungen, aber der Streit ist ein Dialog, und ein Dialog setzt voraus, dass man zuhört und dass man in der Lage ist, über Argumente zu sprechen, über Tatsachen, das heißt, man muss Wissen entwickeln."
Bei der Streitkultur sei also "noch viel Luft nach oben", findet Friedman, der das in seinem neuen Buch "Streiten? Unbedingt" darlegt.
Sachstreit sei wichtig: "Und dennoch beobachten wir, dass circa 20 Prozent unserer Gesellschaft – Querdenker, Pegida-Leute, Verschwörungstheoretiker, AfD – sich an dem Streit nicht mehr beteiligen, sondern nur noch mit sich selbst beschäftigt sind. Und wenn wir ins Internet gehen, sehen wir, wie gefährlich das ist."
Eines der wichtigsten Wörter überhaupt sei "Warum?", so der Autor. Daraus ergäbe sich im Idealfall ein Dialog, aus dem sich ein "Weil" entwickle. Streit sei die Auseinandersetzung mit anderen und deren Meinungen. "Streiten bedeutet lernen." Und: "Streiten bedeutet, lebendig zu sein."
Ja, in Deutschland werde gestritten, betont Friedman. "Doch wie wir das tun – darüber sollten wir uns streiten."
(mkn)

Michel Friedman: "Streiten? Unbedingt. Ein persönliches Plädoyer"
Duden-Sachbuch, 2021
64 Seiten, 8 Euro

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