Michel Friedman über WDR-Talksendung

"Bevölkerungsrealität in den Medien müsste eigentlich selbstverständlich sein"

07:35 Minuten
Frankfurter Buchmesse, Book Fair, Messe Frankfurt, Frankfurt am Main, 11. - 15. Oktober 2017, 13.10.2017 Bild: Michel Friedmann - Moderation bei der Podiumsdiskussion Zuwanderungsgesellschaft, Flucht und Migration beim Weltempfang (Halle 3.1 L25) *** Frankfurt Book Fair Book Fair trade Fair Frankfurt Frankfurt at Main 11 15 October 2017 13 10 2017 Picture Michel Friedmann Moderation at the Panel discussion Escape and Migration the Hall 3 1 L25 Copyright: Fotograf:xVolkerxDanzerx/xAgentur:xHMBxMediax-xHeikoxBecker
Michel Friedmann sagt über die umstrittene Ausgabe der Sendung "Letzte Instanz": "Ein weiteres Chaos und eine weitere Fehlleistung!" © imago / Volker Danzer / HMB Mediax
Michel Friedmann im Gespräch mit Gesa Ufer |
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"Die letzte Instanz" war kein Spiegelbild unserer Gesellschaft, sondern ein Spiegelbild des Zustands der ARD. Das sagt Michel Friedmann über die WDR-Sendung, in der Ende Januar vier weiße Männer und eine weiße Frau ihre Rassismusweisheiten präsentierten.
Gesa Ufer: Als kontroverser Meinungstalk versteht sie sich, die WDR-Sendung "Die letzte Instanz", in der wechselnde Gäste zu aktuellen Themen diskutieren und dann am Ende gemeinsam mit dem Publikum abstimmen sollen. Die Ausgabe vom 29. Januar lief gründlich aus dem Ruder. Warum? Weil, wie es der Kolumnist Micky Beisenherz zusammenfasste - der dort auch selbst als Gast eingeladen war -, es sich diesmal um eine Sendung handelte, in der vier Kartoffeln saßen und mittels Karten über Rassismus abstimmten. Ausgehend nämlich von der Frage des Moderators Steffen Hallaschka, ob bestimmte diskriminierende Wörter weiterbenutzt werden sollten oder nicht, ließen sich auch Thomas Gottschalk, Schlagerstar Jürgen Milski und die Schauspielerin Janine Kunze zu fragwürdigen Äußerungen hinreißen.
Wie er die Diskussion um "Die letzte Instanz" erlebt hat, fragen wir den Juristen, Publizisten, ehemaligen Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland und erfahrenen Talkshow-Gastgeber Michel Friedman. Wie ging's Ihnen vorm heimischen Bildschirm mit der "letzten Instanz"?
Friedman: Erstens muss man sagen: Ein weiteres Chaos und eine weitere Fehlleistung! Nicht das erste Mal! Aber reden wir von diesem Mal: eine respektlose, dümmliche und verantwortungslose Diskussion, die sich um sich selbst kreist und glaubt, sie sei der Mittelpunkt der Definitionshoheit und gleichzeitig hochgefährlich. Wir leben in einer sehr konkreten Zeit, und diese Sendung findet in einer konkreten Zeit statt. Die AfD ist die größte Oppositionspartei im Bundestag, die Partei des Hasses. Der Rassismus, der Judenhass und damit der Menschenhass steigt – sowohl quantitativ als auch qualitativ: Hanau, Halle, aber auch die Ermordung von Herrn Lübcke zeigt, wer in dieser Zeit so dahinplappert, ist unverantwortlich.

Das öffentlich-rechliche System hat versagt

Ufer: Wie war das möglich, dass diese Sendung überhaupt in dieser Form und auch mit dieser Besetzung und diesem Thema so über die Bühne ging? Wo sehen Sie auch da die größten konzeptuellen Fehler?
Friedman: Hier versagt das öffentlich-rechtliche System. So etwas entscheiden Moderatoren und Moderatorinnen nicht allein. Es gibt Redaktionen, dahinter gibt es noch mal Kontrollinstanzen, also hier haben sehr viele versagt. Einige würden jetzt sagen, es fehlte die Sensibilität, ich kann das nicht mehr hören. Was muss denn eigentlich noch passieren, damit die Sensibilität da ist? Letztendlich ist alleine schon im Titel ja alles angelegt: Es ist schreierisch, es ist diskriminierend, der Titel ist ein rassistischer Titel.
Ufer: Inzwischen haben sich Moderator Steffen Hallaschka, einige der Gäste und auch die WDR-Unterhaltungschefin ja entschuldigt, auch in der Mediathek ist die Sendung mit einer Entschuldigung versehen worden. Für wie lernfähig halten Sie denn das öffentlich-rechtliche Fernsehen, wird es solche Fehltritte in Zukunft nicht mehr geben?
Friedman: Gucken Sie, ich bin Professor und Lehrer an einer Hochschule, demgemäß ist die Idee, dass Menschen lernfähig sind, bei mir ganz tief eingegraben. Und auch nach 1945, selbst nach dem Holocaust haben wir unterstellt, Menschen können lernen. Das gilt fürs Öffentliche-Rechtliche auf jeden Fall auch.

Diese Gesellschaft ist schon ganz woanders

Ufer: Herr Friedman, als Reaktion auf die WDR-Sendung hat die deutsch-persische Unterhaltungskünstlerin Enissa Amani eine Art Gegensendung produziert und ins Netz gestellt mit dem schönen Namen "Die beste Instanz". In Nullkommanichts hat sich Amani dafür einen Raum gemietet, sie hat die Corona-Vorgaben erfüllt, ein Fernsehteam aus eigener Tasche bezahlt und da wirklich eine illustre Runde an Gästen versammelt, diesmal allesamt Leute mit Rassismuserfahrung. Mit in der sechsköpfigen Runde saß auch Lyriker und Publizist Max Czollek, und der machte folgenden Punkt:
Max Czollek: Es geht hier nicht darum, dass der WDR lernt, wie sie ihre Runden mit einem Token besetzen können. Es geht nicht darum, dass hier irgendwie eine Form von Integration oder Inklusion stattfindet. Das Konzept der Desintegration sagt, diese Gesellschaft ist heute schon ganz woanders. Wir kommen jetzt, wir übernehmen den ganzen Laden, und wenn die Öffentlich-Rechtlichen nicht anfangen, sich darauf einzustellen, dann spielen die keine Rolle mehr. Das ist Nummer eins. Und Nummer zwei ist: Wir sehen gerade, wie die deutsche Gesellschaft, die deutsch-deutsche Gesellschaft es mal wieder nicht schafft, mit völkischem Denken und mit Rassismus und mit all dieser Gewalt umzugehen. Und weil sie es mal wieder nicht schafft, geht es nicht darum, herzlich zu sein, einladend zu sein, Willkommenskultur zu machen, ein bisschen weniger zu diskriminieren, es geht um die Frage: Wie kann diese plurale Demokratie sich selber so wehrhaft machen, dass sie überlebt? (*)

Ein Diskurs vorbei an deutschen Realitäten

Ufer: Herr Friedman, hat der Mann recht? Inwiefern schafft sich das öffentlich-rechtliche System mit einer solch überholten, Ressentiment-beladenen Talkkultur selbst ab?
Friedman: Im öffentlich-rechtlichen System, auch in den Repräsentanten und Repräsentantinnen – das sind die, die vor der Kamera stehen –, aber auch in der Titelauswahl zeigt sich ganz deutlich, dass die Spiegelung unserer Gesellschaft noch nicht angekommen ist, und man muss das jetzt mal schon in aller Klarheit definieren: Millionen Menschen, jüngere Menschen leben hier, die haben auch keinen Migrationshintergrund mehr. Auch wenn die Üzmir heißen, sind sie in Deutschland geboren, selbst ihre Eltern waren schon in Deutschland geboren, und all diese Menschen aber mit Rassismuserfahrung sind Deutsche, und nicht nur deutsche Staatsbürger, sondern hier geboren und haben eine deutsche Identität, die aus vielen Identitäten entsteht und besteht. Das ist das Normale eigentlich für Menschen in einer pluralistischen Gesellschaft, und es sind Millionen und Abermillionen. Deswegen ist dieser Diskurs auch ein Diskurs, der an deutschen Realitäten vorbeigeht, denn diese Pluralität – übrigens, noch nie war die Bundesrepublik Deutschland so plural in ihrer Bevölkerung, und ich finde das übrigens auch großartig –, diese Pluralität hat Kreativität, hat verschiedene Perspektiven, die man beleuchten kann, wo man voneinander lernen kann.
Das ist weder in der Sendung noch in vielen anderen Sendungen repräsentiert, und wir sehen, wie wunderbar Enissa in einem ganz anderen Medium, nämlich in YouTube, dann eine Talkshow produziert hat, die das aussprechen lässt, was Deutsche – denn dort saßen alles Deutsche, auch Max Czollek, ich bin auch ein Deutscher, ich bin keine Minderheit nur – zu sagen haben zu diesem Thema. Für mich wäre es eigentlich ideal, dass es nicht das Entweder-oder gibt, auch nicht das Gemeinsame, dass man aus allem irgendetwas pickt, sondern das Symbiotische, die Repräsentanz der Bevölkerungsrealität in den Medien müsste etwas eigentlich Selbstverständliches sein. Dass es das nicht ist, haben wir wieder bei dieser Talkshow im WDR erleben müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(*) Redaktioneller Hinweis: Ein Fehler in der Transkription wurde korrigiert.
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