Der Patriarch im einstündigen Monolog
Obwohl der französische Starautor Michel Houellebecq die deutsche Presse lobte, sprechen wollte er mit ihr nicht. Seine Rede in Frankfurt war eine Hommage an den Roman. Für seine deutschen Schriftstellerkollegen hatte er einen Tipp parat.
Vier Menschen betreten unter großem Beifall im ausverkauften Schauspiels Frankfurt am Main die Bühne – drei Frauen und ein Mann. In den nächsten fast zwei Stunden zeigt sich, das lediglich eine der drei Frauen neben Michel Houellebecq einen relevanten Wortanteil haben wird – die Übersetzerin Marianne Crux nämlich. Die beiden anderen Frauen, eine gestandene französische Uni-Professorin und eine bekannte deutsche Literaturredakteurin, kamen kaum zu Wort. Patriachat pur. Dabei war Houellebecq doch voll des Lobes über die deutsche Presse. Aber ins Gespräch kommen, wollte er mit ihr nicht. Er zog einen einstündigen Monolog vor:
"Es gibt einen enormen Unterschied zwischen den deutschen und den französischen Journalisten und dies eben leider auch zum Nachteil der französischen Journalisten, muss ich sagen. Das ist wie Tag und Nacht. Alleine schon, wenn ich mir anschaue, wie ein neues Buch beworben wird. Wie das in Frankreich passiert und wenn es dann anschließend in Deutschland beworben und herausgebracht wird, frage ich mich manchmal, die Personen, die damit befasst sind, üben sie wirklich den gleichen Beruf aus? Also, mit der Presse müssten wir mal in Frankreich sehen, ob wir uns nicht eher mit anderen Ländern, mit Italien oder mit Spanien vergleichen."
Deutsche Autoren könnten sich mit dem erotischen Roman beschäftigten
Ist das ernst gemeint oder ist es Ironie? Das weiß man bei Michel Houellebecq oft nie so genau. Immerhin, an einer Stelle seiner recht allgemein gehaltenen Rede zur kulturellen Entwicklung Europas seit dem Mittelalter blitzte deutlich Witz auf. Als er nämlich konstatierte, das in der Literatur die für ihn bedeutenden Entwicklungen der letzten Jahrzehnte der sogenannte "magische Realismus" in Lateinamerika und die skandinavische Krimiwelle gewesen seien. Doch welche Welle könnte nun mal aus Deutschland kommen, fragte Houellebecq:
"Jetzt muss ich mich in dem Zusammenhang fragen, was könnten die Deutschen zu bieten haben? Ich habe drüber nachgedacht, vielleicht sollten die Deutschen sich mit dem erotischen Roman beschäftigten. Das werde ich mal versuchen zu erklären: Wenn sie sich Pornos anschauen, blow job und so weiter, dann ist auf jeden Fall sehr viel aus der deutschen Ecke. Das ist doch ein Betätigungsfeld für die Deutschen. Vielleicht leuchtet dies ihnen nicht direkt ein, aber wenn sie sich das angucken, der magische Realismus aus Südamerika, die skandinavische Kriminalliteratur, auch das war ja etwas Unerwartetes, ein ganz neuer Effekt. Und da könnte ich mir vorstellen, für die Deutschen hätten wir da auch eine Möglichkeit gefunden."
Auch Wissenschaftler sollten Romanform wählen
Seine eigene literarische Form hat Houellebecq nach anfänglichen Lyrikversuchen längst gefunden – es ist der Roman.
Gut die Hälfte seiner Rede war eine Hommage an die Romanform, die in gewisser Weise in der heutigen Gesellschaft die Rolle übernommen habe, die die Tragödie in der griechischen Antike gehabt habe. Selbst Soziologen oder Wirtschaftswissenschaftler sollten versuchen, die Romanform zu wählen, wenn sie wollen, dass die Menschen ihre Botschaften erhalten, legte Houellebecq nahe:
"Was jetzt diese absolute Dominanz des Romans betrifft, da kann ich sagen, dass ich ja nicht nur Schriftsteller bin, sondern auch Leser. Und als Leser kann ich das sehr gut verstehen, dass viele dem Roman den Vorzug geben. Ich persönlich lese sehr gerne Christophe Guy, der spricht über die Randgestalten, die Ausgeschlossenen in der Gesellschaft und auch über die Armen, die sie örtlich verändern müssen. Ich habe das gerne gelesen, aber mir wäre doch lieber gewesen, einen Roman über die Ausgeschlossenen, über die Randpersonen in der Gesellschaft lesen zu können."
Zu Randpersonen – und das blieb neben den etwas langatmigen und wenig neue Erkenntnisse vermittelnden Ausführungen zur Lage der europäischen Kultur das Ärgernis des Abends – machte Houellebecq selbst die klugen Frauen auf der Bühne neben ihm. Der Geschlechterkampf geht weiter – auf beiden Seiten des Rheins.