Michel Houellebecq: "Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen"
Aus dem Französischen von Stephan Kleiner
Dumont Verlag, Köln 2020
200 Seiten, 23 Euro
Vom Niedergang unserer Zivilisation
06:12 Minuten
Michel Houellebecq will die Gewissheiten des linksliberalen Zeitgeistes torpedieren. Der Sammelband "Ein bisschen schlechter" führt in die ideologischen Auseinandersetzungen der Gegenwart: Trump, Sterbehilfe, Katholizismus, Tierschutz und Islamismus.
Besonders neu ist wenig in diesem Band, der den Untertitel "Neue Interventionen" trägt. Manche der Interviews und Essays sind schon vor mehreren Jahren entstanden, wenn auch vielleicht noch nicht auf Deutsch erschienen. Dennoch ist "Ein bisschen schlechter" mehr als marketingstrategische Resteverwertung, um den Autor ins Gespräch zu bringen.
Die umfassendere französische Version dieser Textsammlung war bereits vor einigen Wochen veröffentlicht worden. In der heißen Phase des US-Wahlkampfs waren Aussagen wie "Präsident Trump erscheint mir als einer der besten Präsidenten, die Amerika je hatte" gut für mediale Aufmerksamkeit, ungeachtet der Tatsache, dass die Trump-Eloge schon vor anderthalb Jahren in einer Zeitschrift zu lesen gewesen und auch damals bereits aufgeregt kommentiert worden war.
Gegen "politische Korrektheit", für direkte Demokratie
Zu Michel Houellebecqs Image gehört es, die Gewissheiten des linksliberalen Zeitgeists zu torpedieren. Dazu zählt seine Verachtung der "politischen Korrektheit" ebenso wie die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, die er am liebsten durch permanente Volksabstimmungen nach dem Schweizer Modell ersetzen würde. Dies und die Befürwortung einer Auflösung der Europäischen Union haben dazu geführt, dass er in seinem Heimatland als "reaktionär" gilt.
Seine Nähe zu umstrittenen Figuren wie dem konservativen Kolumnisten Éric Zemmour trägt dazu bei, dass er zunehmend im rechten Spektrum verortet wird. Auch wenn er sich stets davor gehütet hat, Sympathie für den in "Rassemblement" umbenannten "Front National" von Marine Le Pen erkennen zu geben.
Belege für all diese Meinungen finden sich in dem Potpourri aus Interviews und essayistischen Texten, deren ältester, ein Lob des Konservatismus, bereits von 2003 stammt. Aus den verstreuten Äußerungen formt sich ein Gesamtbild seiner Haltungen, das der Titel "Ein bisschen schlechter" ganz gut wiedergibt: den Niedergang unserer Zivilisation, den der Autor überall sieht.
Michel Houellebecq macht sich (im Wortsinn) Gedanken über Gott und die Welt: über den Katholizismus, Sterbehilfe, die er ablehnt, über Nietzsche und Schopenhauer bis hin zum Tierschutz; wir erfahren, dass er bei einem Tierbuch-Preis Juror ist.
Linke Verharmlosung des Islamismus
Und natürlich über den Islamismus. Islamfeindlichkeit wird ihm ja schon seit langem attestiert, vor bald 20 Jahren im Zusammenhang mit dem Roman "Plattform" über ein von Islamisten verübtes Massaker auf einen Ferienclub in Thailand. Der Roman "Unterwerfung" schien das zu bestätigen. Hier in diesem Band finden wir nun ein Interview (von 2015), in dem Michel Houellebecq vor der Instrumentalisierung des Vorwurfs der "Islamophobie" warnt: dass das linke politische Spektrum die Gefahren der fundamentalistischen Radikalisierung verharmlost habe. Nach den Anschlägen auf den Lehrer in Conflans und die Kirche in Nizza wird in Frankreich gerade über diese Frage heftig gestritten – so wie ja auch in Deutschland.
Und damit führen diese Texte, so willkürlich zusammengekehrt sie auf den ersten Blick scheinen, direkt in die ideologischen Auseinandersetzungen der Gegenwart. Was immer man von Michel Houellbecqs Meinungen halten mag – Frankreichs Bestseller-Autor zeigt sich mit seinen "Neuen Interventionen" auf der Höhe der Zeit.