Michel Houellebecq: "Vernichten", 624 Seiten, 28 Euro, erscheint auf Deutsch am 11. Januar 2022 im DuMont Verlag.
Michel Houellebecqs neuer Roman "Vernichten"
In Frankreich sorgt jedes neue Buch des Schriftstellers Michel Houellebecq für aufgeregte Debatten. © imago / agefotostock
Die Möglichkeit des Glücks
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Schon vor Erscheinen des Romans "Anéantir" von Michel Houellebecq ist die Aufregung in Frankreich groß. Dabei sei es nur ein erstaunlich positiver Familienroman vor einer Bedrohungskulisse, sagt der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte.
Wie immer bei dem französischen Schriftsteller Michel Houellebecq kam der Hype schon lange vor dem Erscheinen seines neuen Romans. Der in Frankreich lebende Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte hat das neue Werk "Anéantir" (Vernichten) bereits gelesen und spricht von einer kunstvoll inszenierten PR-Aktion des Verlags Gallimard vor dem heutigen Erscheinen: "Besser kann man es kaum noch machen, um es hochzuhypen."
Geschickte PR-Aktion mit der Gießkanne
Schon im September habe es erste Gerüchte über das Buch gegeben, Mitte Dezember sei dann der Titel bekannt geworden und dass es erstmals eine Hardcover-Ausgabe geben sollte, was in Frankreich ungewöhnlich sei. "Ein Buch wie in Deutschland" habe es geheißen, sogar mit goldenem Schnitt. "Weiß, todschick mit Zeichnungen zum Teil von Houellebecq", so Ritte. "Ein schönes Buch, auch das wurde schon gesagt, bevor wir es überhaupt in der Hand gehabt haben." Auch im Internet kursierte das Buch schon vorab und es hieß, der Verlag sei gehackt worden.
Houellebecq habe zunächst behauptet, kein einziges Interview geben zu wollen, dann sei am 30. Dezember doch ein langes Gespräch mit ihm in der Zeitung "Le Monde" erschienen, erzählt Ritte. Der Verlag sei dann auch mit 600 Vorab-Exemplaren sehr großzügig gewesen. "Ich kann keine 600 Literaturkritiker in Frankreich zählen, offenbar ist man da nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen", so der Literaturwissenschaftler.
Wie in einem Film von Claude Sautet
Der Titel "Vernichten" wecke zu starke Erwartungen an den Skandal-Autor, sagt Ritte. "Es ist nicht der Houellebecq mit islamophoben Äußerungen, es ist nicht der Houellebecq mit sexistischen Äußerungen." Auf den mehr als 600 Seiten gebe es eine Sexszene, ansonsten habe man eher den Eindruck, in einem klassischen französischen Spielfilm zu sein: "So ein bisschen die Dinge des Lebens."
Der Roman drehe sich um eine Familiengeschichte mit zwei Brüdern und einer Schwester, einen Vater im Wachkoma und viele Geliebte drumherum. "Es geht ganz langsam, ganz gemächlich, schon fast etwas behäbig los." Alles geschehe vor einem Hintergrund einer Bedrohungskulisse mit terroristischer Gefahr und Klimawandel - von Covid sei allerdings nicht die Rede.
Ein anderer Houellebecq
Die eigentliche Provokation liege darin, dass der Roman ein "positiver Houellebecq" sei, so Ritte. "In dieser Rolle haben wir ihn noch nicht gesehen." Der Literaturwisschaftler schlägt scherzhaft vor, man könne das Buch eigentlich mit einer Bauchbinde versehen, die dann lauten müsste: "Houellebecq oder die Möglichkeit des Glücks."