Mierle Laderman Ukeles

Die Begründerin der "Maintenance Art"

05:28 Minuten
An einer weißen Wand hängen Schwarz-Weiß-Fotos.
Erst spät zollte die Kunstwelt Mierle Laderman Ukeles Anerkennung. Die Istanbul Biennale etwa zeigte ihr "Manifesto for Maintenance Art". © picture alliance / AA / Atilgan Ozdil
Von Bastian Hartig |
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Auch Instandhaltung kann Kunst sein, sagt Mierle Laderman Ukeles. Mit ihren Performances würdigt die Künstlerin diejenigen, die unsere Welt oft unbemerkt am Laufen halten - wie Müllmänner oder U-Bahnfahrerinnen.
Windeln wechseln, Wäsche waschen, Müll entsorgen: Ist das Kunst? Ja, sagt Mierle Laderman Ukeles. Die heute 81-Jährige hat ihr künstlerisches Lebenswerk dem Unsichtbaren verschrieben, dem Müßigen, dem Notwendigen.
Nicht nur, Neues zu erschaffen, ist Kunst. Dinge instand halten, am Leben erhalten: Auch das ist Kunst — die, die es tun, Künstler.

"Ich wurde zur Wartungskraft"

Eine revolutionäre Idee, zumal Ukeles sie schon 1969 hat. Geboren aus ihrem Alltag als junge Mutter:
"Ich hatte eine riesige Krise. Ich hatte ein Kind bekommen und ich wurde zur Wartungskraft. Ich liebte dieses Kind, ich wollte alles für sie tun, aber gleichzeitig war es auch so unglaublich langweilig."
Am eigenen Leib erfährt sie die Unproduktivität, die Unsichtbarkeit, die Danklosigkeit des Erhaltens. Und es treibt die Künstlerin in ihr zur Verzweiflung.
"Meine künstlerischen Vorbilder waren Jackson Pollock, der sagte, die Bewegung des Körpers ist Teil der Kunst. Marcel Duchamp, die Macht, Dinge neu zu benennen. Ich bin Künstlerin geworden, um diese Freiheit zu haben. Und plötzlich saß ich zu Hause und wechselte Windeln. Ich dachte, mein Gehirn explodiert. Ich fragte mich, wo ist Marcel jetzt? Er hat mir nichts mehr zu sagen. Er hat keine Windeln gewechselt, Jackson hat keine Windeln gewechselt."
Sie macht sich die Freiheit der Kunst zunutze, erklärt schlicht das, was sie ohnehin tun muss, zur Kunst:
"Ich sagte, wenn ich diese Freiheit habe, die Dinge zu benennen, so wie Marcel Duchamp sie mir gegeben hat, dann wähle ich die Instandhaltung und nenne sie Kunst. Ich nenne die Notwendigkeit Kunst."
Es ist eine Idee, die in die Blütezeit des Feminismus des 20. Jahrhunderts passt. Eine Zeit, in der das Erschaffen als etwas Männliches gilt, während die Erhaltung, die Pflege, die Aufgabe der Frau ist. Ukeles stellt diese Aufgabe, die des Erhaltens, in den Mittelpunkt ihres Schaffens.
Stundenlang schrubbt sie Museumstreppen als Performancekunst. Aber sie will mehr, will nicht nur sich in den Mittelpunkt ihrer Kunst stellen. Ihr geht es um das ganze System, dessen Aufgabe es ist, unsere Welt instand zu halten.

"Sie ist die Mutter der Social-Practice-Kunst"

Und sie will den Arbeitern in diesem System Anerkennung schenken.
Fast ein Jahr lang durchstreift sie 1979 und 1980 New York, schüttelt jedem der rund achteinhalbtausend Angestellten der New Yorker Stadtreinigung die Hand: Müllmänner, Straßenfeger, dem Winterdienst. "Danke, dass Sie New York am Leben erhalten," sagt sie damals jedem einzelnen.
Es dauert lange, bis die Kunstwelt die Bedeutung von Mierle Laderman Ukeles Werk zu schätzen weiß, sagt Tom Finkelpearl, ehemaliger Direktor des New Yorker "Queens Museum", das Ukeles 2016 eine große Retrospektive widmet.
"Erst vor ungefähr zehn Jahren haben die Leute begonnen zu begreifen, wie weit sie ihrer Zeit voraus war. Sie ist die Mutter der Social-Practice-Kunst, eine Kunstform, in der das künstlerische Medium die soziale Interaktion ist."
Gerade in der Pandemie ist ihre Kunst so aktuell wie nie: ihre Hommage an den Erhalt der Dinge, an die Aufrechterhaltung einer Art Normalität entgegen aller widriger Umstände.
"Als die Pandemie losbrach, musste ich ständig an die U-Bahnfahrer denken, die Busfahrer, die Müllmänner. Die waren da draußen. Die Welt war gefährlich geworden, aber sie traten dennoch jeden Tag ihren Dienst an. Da kam mir wieder der alte Satz in den Sinn: Danke, dass Sie New York City am Leben erhalten."

"Danke, dass Sie New York City am Leben erhalten"

Die Hände Tausender Mitarbeiter kann sie mitten in der Pandemie nicht schütteln. Aber sie findet einen anderen Weg, den Angestellten der New Yorker Stadtreinigung und der Verkehrsbetriebe ihren Dank zu sagen.
Auf 2000 Bildschirmen in New Yorks U-Bahn-Stationen und sogar auf den gebäudegroßen digitalen Werbeflächen des Times Square im Herzen Manhattans prangt im September ihr Schriftzug: Thank you for keeping New York City alive - Danke, dass Sie New York City am Leben erhalten.
Sie würdigt damit die Arbeiter, die mit ihrem Einsatz das tägliche Leben aller überhaupt erst ermöglichen. Und die damit gleichzeitig die Hoffnung aufrechterhalten, dass die Menschen auch die tiefsten Krisen überstehen können.
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