46 Quadratmeter für 650 Euro kalt
Trotz Mietpreisbremse steigen nicht nur die Mietpreise in Großstädten, sondern auch in kleineren Kommunen. Besonders stark sind die Steigerungen im bayerischen Fürstenfeldbruck. Der Grund dafür: zu viel Privatisierung, so SPD und Grüne.
Im Wartesaal der Beratungs-Fachstelle Wohnen von Fürstenfeldbruck herrscht Hoffnungslosigkeit. Seit 2013 kümmert sich die Caritas in Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt in hellen, freundlichen Räumen um Menschen, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Mit 250 Betroffenen pro Jahr hatte man am Anfang gerechnet, fast doppelt so viele sind es mittlerweile. Menschen wie Lusia Soturczak, die an diesem Morgen verzweifelt auf Hilfe hofft:
"Also, ich brauche jetzt diesen Wohnberechtigungsschein."
Im Februar wurde die Frührentnerin zwangsgeräumt. Nach dem Auszug der Kinder war die Wohnung zu groß geworden. Ihre Rente als ehemalige Mitarbeiterin der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist zwar nicht schlecht. Aber eine neue Wohnung auf dem normalen Markt kann sie sich nicht mehr leisten, sagt sie. Derzeit wohnt die 64-Jährige abwechselnd bei ihrer Tochter und in einem günstigen Hotel. Für eine der begehrten 200 Sozialwohnungen im 38.000-Einwohner-Ort Fürstenfeldbruck benötigt die verzweifelte Frau nun einen Wohnberechtigungsschein:
"Also da braucht man da auch nur zu schauen. Die Preise, das ist ja unmöglich."
An der Wand im Warteraum hängen Wohnungsangebote. 46 Quadratmeter für 650 Euro kalt, 75 Quadratmeter für 860 Euro Kaltmiete - und das noch außerhalb von Fürstenfeldbruck. Seit in der nahen Landeshauptstadt die Mieten sich der 20-Euro-pro-Quadratmeter-Marke nähern, weichen die Münchner ins Umland aus. In Fürstenfeldbruck, rund 35 Kilometer westlich von München, liegt der Quadratmeterpreis auch nach der bayernweit höchsten Steigerung erst bei zwölf Euro, fast ein Schnäppchen für Münchner. Für alteingesessene Fürstenfeldbrucker, die vor 2015 noch sechs bis acht Euro zahlten, ein Desaster.
Caritas: Nebenkosten senken oder Untermieter suchen
Es gäbe einige Tipps, die sie in ihren Beratungen weitergeben, sagt Caritas-Mitarbeiterin Melanie Mühlen, wie man zu hohe Mieten etwas abfedern könne. Zum Beispiel eine nicht benötigte Garage untervermieten oder ganz aus dem Vertrag nehmen:
"Also unser Rat wird sich dann darauf beschränken, dass wir einfach versuchen, bei den Nebenkosten einzusparen, Strom, einen Anbieterwechsel vorzunehmen oder wenn der Partner weggezogen ist, einfach jemand anders mit aufzunehmen, wenn ein Zimmer übrig ist und dann so die Kosten zu reduzieren."
Oftmals hilft auch das Gespräch der Caritas mit dem Vermieter, betont sie.
Im Rathaus ist man sich des Problems bewusst. Bürgermeister Erich Raff, CSU, weist darauf hin, dass die Mieten bislang sehr niedrig waren. Das gleiche sich jetzt den Münchner Verhältnissen an. Der Bodenrichtwert liegt mittlerweile bei knapp 1.000 Euro pro Quadratmeter. Sozialer Wohnungsbau sei da für Bauträger nicht attraktiv, Gewerbegebiete schon eher. 2016 habe man im Stadtrat beschlossen, dass bei der Neuausweisung von Baugebieten 40 Prozent Sozialwohnungen geplant werden müssten, Bindungszeit 25 Jahre. Andere Möglichkeiten habe man kaum noch, so Bürgermeister Raff:
"Im Westen ist jetzt ein großer Umbau noch dazugekommen und wir haben im Brucker Südosten und Norden noch zwei größere Grundstücke, wo jeweils noch um die 300 Personen Platz finden können."
SPD-Bundestagskandidat will Wohnungsbaugenossenschaft
Die Probleme auf dem Fürstenfeldbrucker Wohnungsmarkt seien alle hausgemacht, meint die für die Grünen im Rathaus sitzende Kommunalpolitikerin Karin Geissler. Stichwort: Privatisierung. Bei den wenigen in städtischer Hand befindlichen Mietobjekten könnte man die Mieten niedriger halten. Bei den Privaten jedoch nicht:
"Bis 2014 hat die Stadt Fürstenfeldbruck ihre eigenen Wohnungen Stück für Stück reduziert, immer wieder Wohnungen, anstatt zu sanieren, wurden sie verkauft, so nach dem Motto, das kann die Stadt sowieso nicht so gut verwalten, das können die Privaten besser. Dass die Privaten nicht besser sind, sieht man an den Mietpreisen."
Ähnlich kritisch sieht es auch der örtliche Bundestagskandidat der SPD, Michael Schrodi. Zum Beispiel der Verkauf der staatlichen GbW-Wohnungen auch in Fürstenfeldbruck mit gut 3.000 Mietern durch BayernsFinanzminister Markus Söder an ein Konsortium um die Augsburger Patrizia. Seit 15 Jahren fordere er als Kreisrat die Einrichtung einer Wohnungsbaugenossenschaft:
"Also ich habe für meine Partei schon diverse Anträge gestellt auf Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft beispielsweise. Es ist stets von einer Mehrheit der CSU, mit Landrat und übrigens auch von meiner Mitbewerberin jetzt um das Bundestagsmandat, abgelehnt worden und es herrscht deswegen Stillstand, weil die CSU hier sich dagegen wehrt aus ideologischen Gründen. Der Markt regele es schon. Der Markt regelt das schon, aber zu Ungunsten der Menschen hier vor Ort, die dann mit hohen Mietpreisen leben müssen."
Vor allem junge Menschen betroffen
SPD-Bundestagskandidat Schrodi sieht nicht nur Versäumnisse bei der lokalen Politik. Er hofft, wie alle Verantwortlichen, seit geraumer Zeit inständig auf ein riesiges Grundstück, das 2023 frei werden soll: Der Fliegerhorst der Bundeswehr. Rund drei- bis fünftausend Menschen könnten dort wohnen, sagt der CSU-Bürgermeister. Das Gezerre um die 250 Hektar große Fläche hat bereits begonnen. Wenn der Bund als Eigentümer die Fläche nur zu marktüblichen Preisen verkauft, dann hat sozialer Wohnungsbau hier keine Chance, erklärt Schrodi den Bürgern:
"Natürlich kann die Bundespolitik helfen, indem wir die Kommunen unterstützen, indem wir nicht zu Marktpreisen, sondern vergünstigt diese Grundstücke abgeben - unter der Bedingung, dass dort auch bezahlbare Wohnungen entstehen durch die Kommunen. Jetzt sagt der Schäuble: Wir verkaufen diese Grundstücke zu Marktpreisen, also zu richtig teuren Preisen. Warum kann der Bund das nicht vergünstigt abgeben und dann kann man da günstigen Wohnraum drauf bauen?"
Eine Bürgerin fragt: "Oder warum baut der Bund nicht selbst dort? Es ist mir doch egal, wer der Vermieter ist."
Junge Frau: "Also ich würde schon gern in der Gegend bleibe. München fällt sowieso schon raus, weil so viel kann ich gar nicht verdienen, wie ich da zahlen müsste. Oder in einer WG mit einer Freundin zusammen, aber bezahlbar ist das nicht."
Vor allem die Jugend von Fürstenfeldbruck bekommen die hohen Mieten zu spüren. Eine eigene Wohnung oder auch nur ein WG-Zimmer ist für diese junge Frau nicht drin. Sie wird deshalb noch eine ganze Weile bei den Eltern wohnen:
"Ich bin in so einer Seite auf Facebook drin, wo viele eine Wohnung posten, weil ihre Ausbildung zu Ende ist oder sie die Stadt wechseln, das war nicht bezahlbar: 900 irgendwas und dann noch mit Tiefgarage, ich habe ja ein Auto, also das sind dann 1.000, so viel kann ich gar nicht verdienen, das ist der Wahnsinn."