Hannover. Im Haus Lister Meile 84, mitten in einer belebten Fußgängerzone, befindet sich seit 70 Jahren "Thürnaus Fischhalle". Die Ursprünge des Fachgeschäfts reichen sogar noch deutlich weiter zurück: 1901 haben Sophie Schaller und ihr Ehemann Hermann Thürnau das Unternehmen gegründet. Inzwischen betreiben die Urenkel Katrin Frisch und ihr Bruder das Geschäft – in vierter Generation.
Allerdings nicht mehr lange. Kathrin Frisch muss Ende 2020 für immer schließen – nach zwei Jahrzehnten hinter der Ladentheke kommt das Aus für Hannovers älteste Fischhandlung.
Unternehmen mit Geschichte: Vor Hannovers berühmter "Thürnaus Fischhalle" bildeten sich 1947 lange Warteschlangen.© picture alliance / Keystone / Photopress-Archiv / Matter
"Vor gut vier Jahren hat ein Einzelner, ein Privatier, dieses Haus gekauft. Beim Vorstellungsgespräch hat er schon gesagt, dass wir eine viel zu geringe Miete zahlen — was unserer Meinung nach nicht richtig ist — und wollte dann gleich sagen, dass wir, wenn der Mietvertrag abläuft, dann eine Miete in doppelter Höhe zahlen müssen."
Auf verlorenem Posten
Als Katrin Frischs Vater 1968 die Leitung des Geschäfts übernommen hat, zahlte er für 90 Quadratmeter Ladenfläche und 120 Quadratmeter Nebenräume 2000 D-Mark. Im Laufe der Jahrzehnte stieg die Miete immer weiter an. 2018, als die Immobilie an den neuen Besitzer verkauft wurde, waren es schon 4000 Euro.
"Als wir vor zwei Jahren gefragt haben, ob wir den Mietvertrag, verlängern könnten, hat er uns gleich gesagt, dass wir natürlich mit einer Mieterhöhung rechnen müssen und das wohl auch überdenken müssen, weil die Miete dann 8000 Euro ausmachen würde. Damals haben wir schon gesagt, dass das in unserer Branche gar nicht zu finanzieren wäre und wir darüber erstmal nachdenken müssen."
Zum Zeitpunkt des Besitzerwechsels war der alte Laden-Mietvertrag noch zwei Jahre gültig. Katrin Frisch und ihr Bruder überlegten, ob sie mit ihrem Geschäft noch einmal völlig neu anfangen sollten – an einem anderen Standort.
"Das war aber keine Option. Weil: Ein Fisch-Fachgeschäft noch mal neu aufzumachen, bedarf einer Mindestinvestition von 200.000 bis 500.000 Euro — für die Ladeneinrichtung, für die Kühleinrichtung, für die ganzen Hygienerichtlinien. Und da war uns natürlich klar: Ich mit 55, mein Bruder damals mit 59 — wir wollten nicht noch einmal eine so horrende Summe aufnehmen. Das hätte uns ja unsere ganze Altersvorsorge zunichte gemacht."
Die Geschäftsleute standen im Konflikt mit ihrem Vermieter auf verlorenem Posten. Denn für die Höhe von Gewerbemieten gibt es keinerlei gesetzliche Regeln. Wieviel für einen Laden oder ein Büro zu zahlen ist, handeln Mieter und Vermieter frei miteinander aus. Das gilt auch für die Laufzeit des Vertrages sowie für mögliche Zusatzvereinbarungen.
Gewerbemieter genießen kaum Schutz
Uwe Heichel ist Fachanwalt für Mietrecht in Berlin. Er berät beide Seiten - sowohl bei Wohn-, wie auch bei Gewerbemietverträgen.
"Wenn man beispielweise einen Mietvertrag im Gewerbemietrecht abschließt, der eine Umsatzbeteiligung hat, dann ist man als Mieter insofern in einer komfortablen Situation: Wenn man eben nur fünf Euro Umsatz hat, dann wird eben nur ein Anteil aus diesem Umsatz an Miete gezahlt. Wobei immer davon ausgegangen wird, dass ein Wohnraummieter als Otto Normalverbraucher nicht wissen muss, wie Verträge jetzt ganz konkret gestaltet werden. Der soll eben auch geschützt werden — weil er auch weniger Erfahrung hat als ein Gewerbetreibender, der sich hinsetzt und sagt: 'Ich schließe jeden Tag fünf Verträge ab. Ich weiß, wie ich das machen muss und weiß, wie ich meine Interessen wahrnehmen muss.' Das ist ein Informationsgefälle, das ein Wohnraummieter gegenüber einem gewerblichen Mieter im Regelfall hat. Deswegen ist er auch schutzbedürftiger."
Die Bestimmungen für alle Mieter regelt das
Bürgerliche Gesetzbuch, kurz: BGB. Dass Gewerbemieter keinen besonderen Schutz genießen, bekam der Berliner Anwalt selbst zu spüren, als es darum ging, den Vertrag für die eigenen Büroräume zu verlängern.
"Wir hatten eine bestimmte Laufzeit, die sich nach Ablauf jährlich verlängerte, wenn sie nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gekündigt wurde. Und dann trat unser Vermieter auf uns zu und wollte eine deutlich höhere Miete durchsetzen, was wir nicht mitgemacht haben. Die Konsequenz daraus war dann eben, dass der Vermieter sein Recht zur Kündigung des Mietvertrages ausgeübt hat. Da wir uns wegen der Miethöhe nicht einig werden konnten, mussten wir uns neue Räume suchen."
50.000 Geschäften droht die Schließung
"Der Einzelhandel leidet derzeit insbesondere an hohen Mietverträgen aus der Vergangenheit. Beim Abschluss dieser üblicherweise über mehrere Jahre abgeschlossenen Verträge war kaum ersichtlich, wie stark die Umsatzverschiebungen in den Online-Handel in den Branchen tatsächlich ausfallen. Diese Mieten gefährden in Kombination mit der "Stadtflucht" der Bevölkerung die Wirtschaftlichkeit etlicher Betriebe."
Michael Reink, Verfasser des Positionspapiers und im Handelsverband Bereichsleiter für Standort- und Verkehrspolitik, erklärt dazu:
"Man kann sagen, dass sich die Mieten seit den 70er-Jahren bis heute verdreifacht haben. Im Zeitraum von ungefähr 1990 bis heute, haben sie sich ungefähr verdoppelt. Im Einzelhandel gab es eine ganze Zeit lang den Fall, dass gewisse Standorte unbedingt im Portfolio sein sollten. Da gehörte Berlin dazu, der Kurfürstendamm, in Düsseldorf die Kö und so weiter. Da wurden Mieten bezahlt, die an diesem Standort eigentlich gar nicht erwirtschaftet werden konnten. Das heißt: Man hat das quasi über andere Standorte kompensiert. In der Masse hat es dann wieder funktioniert. Trotz alledem hat man dort natürlich die Mieten hochgetrieben, auf über 300, teilweise über 400 Euro den Quadratmeter. Das kann überhaupt nicht erwirtschaftet werden."
Die Zahlen des Einzelhandelsverbands zeichnen ein finsteres Bild. Zwar wuchsen die Umsätze im Online-Handel in den vergangenen Jahren jährlich um gut 15 Prozent. Doch bis Ende kommenden Jahres könnten bis zu 50.000 Einzelhandelsgeschäfte hierzulande für immer dichtmachen. Das liegt nicht nur an den ständig steigenden Mieten, vor allem in Ballungsräumen und Großstädten. Auch der
Corona-Lockdown bringt viele in Bedrängnis. Denn die allermeisten Gewerbemietverträge wälzen das Risiko für betriebsbezogene Einschränkungen allein auf den Mieter ab.
Leeres Geschäft auf dem Kurfürstendamm im April 2020. © imago images / Stefan Zeitz
"Wir haben mit den Immobilienverbänden sehr schnell darüber gesprochen, dass die Miete während des Lockdowns grundsätzlich um 50 Prozent gekürzt wird. Da waren die Vermieter am Anfang überhaupt nicht mit einverstanden. Aber dann haben sie gemerkt, dass es eigentlich nicht nur um diese Mietausfälle während des Lockdowns geht, sondern auch um die Frage, ob dieser Mieter — das heißt: der Einzelhändler — in Zukunft überhaupt noch da sein wird."
Aufruf zur angemessenen Mietpreispolitik
Nicht nur dem stationären Handel droht, aus Innenstädten verdrängt zu werden. Auch kleinere Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe leiden unter den steigenden Gewerbemieten. Alarm schlägt neben den Einzelhandels- und Handwerksverbänden darum inzwischen auch der
Deutsche Städte- und Gemeindebund.
Er vertritt die Interessen der Kommunen. In einer Pressemitteilung des Spitzenverbandes heißt es:
"Die Rettung unserer Innenstädte und Ortskerne gehört ins Zentrum des politischen Handelns. Der Erhalt einer vitalen Mitte geht über wirtschaftliche Aspekte hinaus. Er ist auch eine kulturelle und soziale Herausforderung. Denn Innenstädte sind für die Menschen Identifikationsfaktor und Heimat sowie Orte der Begegnung und der Kommunikation."
Bernd Düsterdiek ist Referatsleiter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund: "Letzten Endes wird man immer wieder zu der Erkenntnis gelangen, dass auch hier die Vermieter, für sich genommen, in die Pflicht genommen werden sollten. 'Eigentum verpflichtet' — das ist ein bekanntes Motto. Eigentümer von Handelsimmobilien sind aufgerufen, eine angemessene Mietpreispolitik zu betreiben."
Paris schützt die Vielfalt seiner Innenstadt
Mit der Verantwortung der Vermieter allein ist es laut Düsterdiek allerdings nicht getan. Was ihm vorschwebt, ist ein Modell zum Schutz von Einzelhändlern, wie es sich seit 15 Jahren in Frankreich bewährt.
Paris etwa hat eine Gesellschaft beauftragt, die in ausgewählten Bezirken ein Vorkaufsrecht auf Ladenflächen besitzt. Die Stadt kann so deutlich unter marktüblichen Preisen an Einzelhändler vermieten. Das ermöglicht auch alteingesessenen Geschäften das Überleben. Statt dem vielerorts üblichen Einheitsbrei aus großen Ketten entsteht auf diese Weise ein attraktiver Branchenmix, der nicht nur den Händlern nutzt, sondern auch den Kunden.
Dass das französische Modell auch hierzulande funktionieren kann, zeige sich im bevölkerungsreichsten Bundesland, erklärt Düsterdiek:
"Das Land Nordrhein-Westfalen hat gerade anlässlich der Corona-Situation und deren Auswirkungen ein 70-Millionen-Euro-Programm zur Unterstützung der Kommunen in diesem Bereich aufgelegt. Die Kommunen werden also aufgrund dieser Förderrichtlinie in die Lage versetzt, in den temporären Grunderwerb zu gehen — also Zwischenerwerb — und auch in die Zwischenanmietung von solchen Immobilien. Das versetzt die Kommunen in die Lage, eigenständig zu agieren und vor Ort auf diese Situation zu reagieren."
Die Gier des Vermieters entsetzt die Kunden
Ein Vorkaufsrecht der Stadt im Kampf gegen explodierende Gewerbemieten? Die Idee findet Katrin Frisch interessant. Doch für die Inhaberin von "Thürnaus Fischhalle" in Hannover käme es in jedem Fall zu spät. Ende des Jahres muss sie das Traditionsgeschäft schließen.
"Ich habe das den Mitarbeitern letztes Jahr gesagt, dass der 31.12. voraussichtlich wohl der letzte Tag ist. Und in diesem Zeitraum, nach drei Monaten, hat schon einer gekündigt — von sich aus, weil er mit 56 auch in einem entsprechenden Alter war. Er hat gesagt: 'Frau Frisch, tut mir leid, aber ich muss mir etwas suchen, wo ich bis zum Rentenalter arbeiten darf.' Das hat auch ein weiterer Vollzeitkollege gemacht. Nach dann insgesamt sechs Monaten habe ich also praktisch zwei Vollzeitkräfte verloren. Dann habe ich mit meinem Bruder darüber beratschlagt, wie wir das jetzt machen — Neueinstellungen. Wir fanden es aber unfair, noch Neue einzustellen, die man dann wiederum nach einem halben Jahr entlassen muss."
Geschäftsführerin Katrin Frisch und ihr Bruder haben sich mit dem bevorstehenden Ende längst abgefunden — im Gegensatz zu manchen ihrer Kunden:
"Viele, die mit uns sprechen, sind entsetzt über die Gier der Vermieter oder in dem Fall speziell des Vermieters. Weil sie sagen, dass so ein altes Familienunternehmen einen gewissen Bestandsschutz haben müsste. Aber das ist nicht möglich. Auch die Politik sollte hier eingeschaltet werden. Aber wir wissen alle, dass die Politik diesbezüglich gar nichts unternehmen kann."
Eine Stadt der kurzen Wege
Unter dem Betreff "Einführung einer Gewerbemietpreisbremse in angespannten Gewerberaummärkten" steht in einem Antrag des Landes Berlin im Bundesrat vom 3. September 2019 folgendes:
"Unternehmen ist es häufig nicht mehr möglich, unter Berücksichtigung der vom Vermieter geforderten Mieten einen wirtschaftlichen Betrieb ihres Geschäfts sicherzustellen. Die Verdrängungswirkung verstärkt sich zusätzlich dadurch, dass auch im Büromarkt in vielen Städten bereits Vollvermietung besteht. Dieselbe Problematik stellt sich gleichermaßen für soziale Einrichtungen, zum Beispiel Kindergärten. Es sollten daher in das Bürgerliche Gesetzbuch geeignete Regelungen aufgenommen werden, die bei entsprechendem Handlungsbedarf eine Begrenzung der zulässigen Miethöhe bei Mietbeginn ermöglichen — Stichwort: Gewerbe-Mietpreisbremse. Die Einzelheiten dazu, welches Kriterium sich für eine interessengerechte Begrenzung der zulässigen Miethöhe am besten eignet, sind eingehend zu prüfen."
"Aber das war eben nur die Problembeschreibung, und noch nicht die Abhilfe und die Lösung. Bei der Lösung tut sich insbesondere die CDU sehr schwer. Sie möchte gerne festhalten am freien Spiel der Kräfte im Gewerbemietbereich. Unterstützung haben wir bei den anderen Stadtstaaten gefunden — also neben Berlin Bremen und Hamburg. Die haben unserem Antrag zugestimmt. Brandenburg und Thüringen waren auch offen. Das ist eine klare A/B-Konkurrenz — die sozialdemokratisch regierten oder grün oder links regierten und die eher zurückhaltende CDU, die FDP ohnehin."
Wie in anderen Ballungsgebieten, sind auch in der Hauptstadt die Gewerbemieten in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Senatsangaben zufolge stiegen die Preise in den 1-A-Lagen, also Stadtzentren mit hoher Passantenfrequenz, zwischen 2009 und 2018 um rund 50 Prozent. In den 1-B-Lagen — damit sind Nebenstraßen gemeint, die nahe bei Haupteinkaufsstraßen liegen — kletterten die Preise sogar um über 200 Prozent. Letzter Auslöser der Bundesratsinitiative für eine Mietpreisbremse bei Gewerbeimmobilien war eine Umfrage der Berliner Handwerkskammer unter ihren Mitgliedsbetrieben.
"Wir haben ja zum Teil noch kleinteiliges Gewerbe in der Stadt — Kfz-Schrauberbuden und und und", erklärt Dirk Behrend. Zwar "nicht im Ladenlokal, sondern eben in der Innenstadt, in Industriegebieten oder in Hinterhof-Situationen. Und die haben uns gesagt, dass jetzt im Schnitt unter fünf Euro zahlen. Und sie machen sich große Sorgen über die Gewerbemietentwickung. Sie werden vermutlich alle schließen müssen, wenn ihre Verträge jetzt auslaufen und die Vermieter nicht vernünftig sind, sondern das verlangen, was der Markt hergibt. Das kann ja nicht in unserem Interesse sein, dass die Handwerksbetriebe alle schließen. Wir wollen ja gerade eine Stadt der kurzen Wege voranbringen, also dass die Handwerksbetriebe nicht im Umland sind und man immer hin- und herfahren muss. Das veranlasst unnötigen Verkehr. Gerade diese kleinteilige Struktur in Berlin ist ja eine gewachsene Struktur, die es zu erhalten gilt."
Österreich reguliert Gewerbemieten
Die vom Land Berlin geforderte Gewerbe-Mietpreisbremse orientiert sich an einem konkreten Vorbild aus Österreich. Dort gilt, dass die Hauptmiete für ein Gewerbe nicht höher sein darf als ein "angemessener Betrag". Der bemisst sich nach Größe, Art, Beschaffenheit, Lage, Ausstattungs- und Erhaltungszustand der Immobile. Nur: Wie lässt sich im Zweifel feststellen, ob die verlangte Miete tatsächlich ein "angemessener Betrag" ist? Dazu Dirk Behrendt:
"Wenn man darüber streitet, dann würde das Gericht ein Sachverständigengutachten einholen und schauen, wie in diesem Gebiet der Stadt und bei ähnlicher Ausstattung die Mietzinsen sind. Ein Ladenlokal im Vorderhaus ist natürlich etwas anderes als ein Gewerberaum im dritten Stock im Hinterhaus. Und dann kommt es auch auf die Ausstattung an: Mittlerer Standard oder aber besondere Einrichtung für Handwerk, für Gastronomie? Das sind natürlich alles mietzinsbeeinflussende Faktoren."
Die maximale Miete für Gewerbeflächen orientiert sich in Österreich also an Kriterien, die in Deutschland nur für Wohnflächen gelten. Dass ein derartiges Vergleichssystem sinnvoll ist, bezweifelt Michael Renk vom Einzelhandelsverband:
"Die Mietverträge sind alle sehr individuell abgeschlossen. Es geht teilweise um solche Sachen, dass Mietverträge als umsatzbezogene Mietverträge abgeschlossen werden. Das heißt: Man hat eine Sockelmiete, und danach wird quasi nochmal bezahlt in der Höhe des Umsatzes — ob der gut ist oder ob der nicht gut ist. Häufig gibt es so etwas wie einen Baukostenzuschuss. Das heißt also, dass man Mietverträge abschließt, bei denen man sagt: 'Ich miete mich hier ein. Du als Vermieter musst mir aber einen Teil meiner Ladeneinrichtung bezahlen.' Die Mietverträge sind also sehr, sehr individuell abgeschlossen. Ich glaube, das wird rechtlich sehr schwierig werden, da über alles quasi einen Deckel zu legen und zu sagen: 'Wir haben jetzt eine Gewerbe-Mietbremse.'"
Ein Gesetzesantrag auf Bundesebene
Ein Jahr, nachdem Berlin den Antrag für eine derartige Mietpreisbremse in den Bundesrat eingebracht hat, ist nicht viel passiert. Diverse Ausschüsse der Länderkammer sind nach wie vor damit beschäftigt, den Entwurf mit Experten aus allen möglichen Fachgebieten zu beraten. Aber nicht nur im Bundesrat, sondern auch im Bundestag sind die Gewerbemieten ein Thema.
"Meine Kieznachbarin Daniela betreibt in Friedrichshain ein Modeinstitut. Das ist ein Bekleidungsgeschäft. Und sie hat sich damit vor fast 17 Jahren eine Existenz aufgebaut, die nun bedroht ist. Vor einem Jahr hat sie erfahren, dass der Immobilienspekulant Fortis das Gebäude erworben hat. Nun muss sie raus."
Canan Bayram (Grüne) spricht im Deutschen Bundestag.© imago/Christian Spicker
Deshalb brachte Bayram Anfang Oktober 2020 einen
Gesetzentwurf ins Parlament ein. Dieser soll ein eigenständiges Gewerbemietrecht für Deutschland schaffen. Ziel ist es, die Inhaber kleiner Läden, soziale Einrichtungen sowie Kunst- und Handwerksbetriebe vor zu hohen Mieten und damit Verdrängung zu schützen. Auch das Vorbild für diesen Gesetzentwurf stammt von einem europäischen Nachbarn.
"In Frankreich ist das Geschäft an sich — der eingerichtete, ausgeübte Gewerbebetrieb — davor geschützt, dass die Miete auf einmal krass angehoben wird oder dass gekündigt wird", sagt Canan Bayram. "Man hat bis zu zehn Jahre Kündigungsschutz. Das streben auch wir hier an: einen Kündigungsschutz für Kleinstgewerbetreibende, kleine Unternehmen, soziale Einrichtungen, kulturelle Einrichtungen, um dadurch diesen besonderen Charakter von Innenstädten — oder, wie wir in Berlin gerne sagen: von Kiezen — zu erhalten."
Corona senkt die Nachfrage nach Büros
Rund 15 Millionen Deutsche arbeiten in Büros. Dadurch sind auch sie zumindest indirekt durch das betroffen, was auf dem Markt für Gewerbeimmobilien passiert. Die Mieten für Büros sind zwischen 2009 und 2019 um mehr als 30 Prozent gestiegen — bis der Ausbruch der Corona-Pandemie die Preisspirale stoppte. Das
Kölner Institut der deutschen Wirtschaft meldet dazu:
"Die aktuelle Krise dürfte zu einem gravierenden Abschwung auf dem Büromarkt führen. So gehen Immobilienspezialisten davon aus, dass die Homeoffice-Erfahrungen während des Shutdowns dazu führen werden, dass viele Arbeitnehmer darauf drängen, auch künftig vermehrt von zu Hause aus arbeiten zu dürfen. Weil Arbeitgeber so Kosten sparen können — es wird weniger Bürofläche benötigt, wenn mehr Mitarbeiter im Homeoffice tätig sind —, werden sie dieser Forderung mittelfristig nachgeben. Die Nachfrage nach Büros wird also sinken, und zwar auch dann, wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kommt."
"Der Industriesektor ist am meisten betroffen", sagt dazu Oliver Schön, Sprecher von
German Property Partners, einem deutschlandweiten Zusammenschluss von Gewerbeimmobilienberatern. "Wir haben in der jüngsten Vergangenheit zum Beispiel sehr viel von Siemens gelesen, die überhaupt keinen Hehl daraus gemacht haben, dass sie bis zu 40 Prozent ihrer Mitarbeiter coronabedingt und aufgrund der guten Erfahrungen, welche sie gesammelt haben, in das Home Office senden werden."
Wenn die Nachfrage nach Büroräumen sinkt, werden auf absehbare Zeit auch die durchschnittlichen Büromieten nach unten gehen. Das wiederum beeinflusst den Wert der entsprechenden Immobilien. Das Institut der deutschen Wirtschaft prognostiziert, dass die Kaufpreise für Büroflächen stark nachgeben werden: allein in diesem Jahr in den sieben größten Städten um bis zu 35 Prozent.
Im Vorteil sind insofern vor allem solche Vermieter, die mit ihren Kunden rechtzeitig einen Vertrag mit langer Laufzeit abgeschlossen haben.
"Die öffentliche Hand mietet in der Regel sehr lange — anders als privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen. Sie haben bei den privaten Unternehmen in der Regel eine Mietvertragslaufzeit zwischen fünf und zehn Jahren nach Abschluss. Und die öffentliche Hand mietet länger: 15, 20, auch 25 Jahre sind keine Seltenheit. Man kann auf jeden Fall sagen, dass die öffentliche Hand nach wie vor Flächen nachfragt. Ich habe gerade heute von einer Anmietung erfahren — 5000 Quadratmeter für eine Polizei-Landesstelle. Die Nachfrage wird immer da sein."
Ein langfristiger Gewerbe-Mietvertrag bietet für beide Seiten zunächst Planungssicherheit. Läuft der Vertrag aber irgendwann aus, dann sehen sich Vermieter mit diversen Problemen konfrontiert. Nicht nur, weil sie eventuell nach einem Nachmieter suchen müssen. Möglicherweise haben sich inzwischen auch die baurechtlichen Vorschriften geändert.
"Wenn Sie in einem Büroraum sitzen, der eine Deckenhöhe von 2,45 Meter bis 2,50 Meter hat, können Sie heute keine vernünftige Kälte- oder Klimatechnik mehr einbauen. Die Raumhöhe lässt das nicht zu, weil hier die im Gesetz festgeschriebenen Anforderungen gar nicht erfüllt werden können. Sie können nicht in einem Büroraum arbeiten, der nur eine Raumhöhe von 2,20 Meter bis 2,30 Meter hat. Diese Immobilien werden in der Regel umgewidmet und umgestaltet, so dass sie als Wohnraum verkauft oder vermietet werden können."
"Innenstädte müssen wieder Erlebnisräume werden"
Das Thema "Umwidmung von Gewerbeimmobilien" beschäftigt auch Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Er hält es für eine sinnvolle Methode, dem zunehmenden Leerstand von Einzelhandelsflächen wirkungsvoll zu begegnen:
"Innenstädte müssen in Zukunft wieder Erlebnisräume werden. Wir brauchen zukünftig auch wieder vermehrt die Wohnfunktion, das Wohnen in den Innenstädten, um auch eine nutzungsgemischte Stadt wieder hin zu bekommen. Das ist es, was die Innenstädte ausmacht, was auch die Bürgerinnen und Bürger schätzen. Insoweit wäre es sinnvoll, wenn man diesen Bereich über so genannte Innenstadtfonds, in denen Bund und Länder die Kommunen finanziell unterstützen, verstärkt in den Blick nimmt, damit auf solche Immobilien Zugriffsmöglichkeiten bestehen. Aus der Hertie-Krise vor einigen Jahren kennen wir, dass Handelsimmobilien über Jahre leer stehen, als hohle Zähne in der Innenstadt, in der Herzkammer der jeweiligen Stadt. Das kann es nicht sein."
Wie sich eine Verödung durch Leerstand stoppen lässt, zeigt das Beispiel Iserlohn. In der größten Stadt des Sauerlandes musste die örtliche Karstadt-Filiale Ende Oktober dieses Jahres ihre Pforten schließen — nach über 50 Jahren. Anders als an den meisten anderen Karstadt-Standorten, gehört die Immobilie in Iserlohn — seit der Hertie-Pleite 2014 — der Kommune. Dadurch ist die Gefahr gebannt, dass das über 7500 Quadratmeter große Grundstück in bester Innenstadtlage in die Hände eines privaten Investors fällt.
Um den Stadtkern möglichst rasch wieder zu beleben, plant man im Rathaus nun einen Neubau. In diesem ist eine bunte Mischung aus Gastronomie, Wohnen, Büros und Handwerk vorgesehen.
Bernd Düsterdiek glaubt, "dass wir aufgrund der coronabedingten Situation und deren Nachwirkungen, bei denen wir jetzt mit einem zunehmenden Leerstand auch von Einzelhandelsstandorten zu tun haben, eine Bewegung erleben werden: dass das Mietpreisniveau sich auch im Gewerbebereich mittelfristig etwas absenken dürfte. Stichwort 'frequenzabhängige Mietenstaffelungen', wo der Vermieter einem Gewerbemieter auch entgegenkommt und Rücksicht auf solche Krisensituationen nimmt, sodass eine angepasste Struktur der Miethöhe stattfinden kann."
Eigentümer müssen im Eigeninteresse Abstriche machen
Auch Michael Reink vom Einzelhandelsverband plädiert — vor allem angesichts der Corona-Pandemie — an die Vernunft der Vermieter. Auch in deren eigenem Interesse:
"Der Einzelhandel muss nicht unbedingt aus den Innenstädten vertrieben werden, wenn die Immobilieneigentümer bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen. Sie sollten ihren Teil dazu beitragen, weil: Der Einzelhandel ist immer die Branche, die am meisten Geld pro Quadratmeter bezahlen kann. Das heißt also: Weder Gastronomie noch Dienstleistungen sind in der Lage, diese hohen Mieten zu bezahlen. Das heißt: Wenn Sie Ihren Einzelhandelsmieter verlieren, müssten Sie potenziell einen neuen Einzelhandelsmieter finden, der dann wiederum bereit ist, diese Miete zu bezahlen. Den werden Sie aber nicht mehr finden."
Diese Erfahrung dürfte auch der Vermieter von "Thürnaus Fischhalle" machen. Trotz zentraler Lage in Hannovers Innenstadt könnte es schwer werden, einen Nachmieter für das Fisch-Fachgeschäft von Katrin Frisch zu finden. Nicht nur, weil der Besitzer des Ladens die stolze Summe von 8000 Euro Miete pro Monat aufgerufen hat. Sondern auch, weil die Nutzungsart der Räumlichkeiten seit 70 Jahren festgeschrieben ist, wie die Noch-Mieterin erklärt.
"Eine Nutzungsänderung wäre in diesem Fall, dass aus einem Fisch-Fachgeschäft ein Restaurant gemacht wird. Aus einem Fisch-Fachgeschäft kann man auch nicht einfach ein Bekleidungsgeschäft machen. Man muss dazu hier bei uns, im Baumat Hannover, einen Nutzungsänderungsantrag stellen."
Katrin Frisch nutzt das nichts. Sie wird das Geschäft Ende des Jahres für immer schließen. Den Laden, den ihre Familie über Generationen geführt hat. Der Vermieter war nicht bereit, über den Preis mit sich verhandeln zu lassen.
Happy-End in Friedrichshain
Die Berliner Modedesignerin Daniela hatte da mehr Glück. Zwar musste auch sie ihr Geschäft nach 17 Jahren räumen, weil die Miete zu teuer wurde. Doch, so erzählt ihre Freundin, die grüne Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, es fand sich eine Lösung.
"Dem reinen Zufall ist es zu verdanken, dass sich kurze Zeit später tatsächlich ein Vermieter gemeldet hat und ihr, circa einen Kilometer weiter, ein Angebot gemacht hat, sodass es in diesem Fall wirklich mal ein Happy End war, dass es, mit dem Zusammenwirken aller Leute gelungen ist, Danielas Modeinstitut weiter zu erhalten."
Canan Bayram weiß, dass ein derartiges Happy End eher die Ausnahme bleibt. Darum will sie für eine Gesetzesänderung kämpfen – mit mehr Rechten für Gewerbemieter.
"In der Regel ist es bei Kleinstgewerbetreibende ja so, dass die Familie mithilft und dass der Inhaber, der den Laden führt, sechs Tage die Woche im Laden steht. Deshalb sind wir zu dem Ergebnis gekommen: Alles ist endlich. Das hat Grenzen. Man kann die Miete gar nicht so weit erhöhen. Da kam bei mir der Gedanke auf: Das ist unfair. Das darf nicht so bleiben. Denn das ist auch eine Gefahr für die Demokratie. Wenn die Gewerbetreibenden das Gefühl haben: 'Das, was ich jahrelang in diese Gesellschaft gegeben habe — dass ich hier eine Straße schön belebt habe, dass ich ein gutes Angebot gemacht habe —, das ist nichts wert. Das ist nicht geschützt."
Autor: Christian Blees
Sprecherin und Sprecher: Cathlen Gawlich und Olaf Oelstrom
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Jan Fraune
Redaktion: Martin Mair