Migranten erster Klasse
Für viele afrikanische Fußballspieler ist es ein Traum, in Europa zu spielen und zu leben, sagt der Journalist Christian Ewers. Viele sähen Europa idealisiert als Kontinent der täglich neuen Chancen. In Europa müssten die jungen Spieler aber enorme Anpassungsleistungen erbringen und seien entwurzelt.
Susanne Führer: Die Fußballfreunde auf der ganzen Welt sind schon ganz hibbelig – in drei Tagen ist endlich Anpfiff für die 19. Fußballweltmeisterschaft. Das erste Spiel bestreiten Gastgeber Südafrika und Mexiko. Viel ist ja geredet und geschrieben worden, ob Südafrika sicher genug ist, ob die Stadien rechtzeitig fertig werden, ob die Organisation klappen wird. Der "Stern"-Reporter Christian Ewers ist im vergangenen Winter einige Monate durch Afrika gereist. Er hat sich nicht mit dem Drumherum der WM beschäftigt, sondern mit dem Fußballspiel selbst. Darüber hat er ein Buch geschrieben, Titel: "Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer". Guten Tag, Herr Ewers!
Christian Ewers: Guten Tag!
Führer: Der Titel Ihres Buches ist ein Zitat, und zwar von Samuel Eto'o aus Kamerun, inzwischen bei Inter Mailand unter Vertrag. Da Sie dies Zitat als Titel genommen haben, nehme ich ja mal an, dass es für Sie, ja, pars pro toto für das Verhältnis steht – oder manchmal auch Verhängnis – von afrikanischen Spielern und europäischem Fußball. Stimmt das?
Ewers: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer – ich glaube, dieser Satz sagt sehr viel aus über das Standing afrikanischer Fußballprofis in Europa. Sie erleben sich in erster Linie nicht als Fußballer, sondern immer noch als Schwarze, die in einem von Weißen dominierten Kontinent spielen.
Führer: Und das Wichtige, finde ich, ist ja doch auch der zweite Teil des Satzes, "um zu leben wie ein Weißer", darin steckt ja so die Sehnsucht nach dem guten Leben, nach dem Paradies Europa. Ist für die afrikanischen Spieler, die Sie getroffen haben auf Ihrer Reise, Herr Ewers, wirklich Europa das gelobte Land?
Ewers: Absolut. Europa ist das Paradies für Afrikaner, Afrikaner sehen oftmals Europa idealisiert als Kontinent der täglich neuen Chancen, als Kontinent, der jedem ein materiell abgesichertes Leben bietet, der sich nur vernünftig bemüht. Dieses doch heroisierte Europabild trägt erheblich dazu bei, dass es zu solchen Wanderungsbewegungen kommt, also – nicht nur ist das ein Motivator für Flüchtlinge, durch die Wüste zu gehen, sondern es ist halt auch für die Migranten erster Klasse, so wie ich sie mal nennen möchte, das sind nämlich Fußballer, das ist auch ein Motiv, nach Europa zu kommen.
Führer: Und sind die Fußballer jetzt an dem europäischen Fußball dann interessiert oder an dem Geld?
Ewers: Ich glaube, es ist die Verquickung von beidem. Also, Fußballprofi zu werden, bedeutet natürlich, berühmt zu sein, bedeutet, möglicherweise eine Modelfreundin zu haben, bedeutet, in der Heimat geachtet zu werden, man ist im Fernsehen, und man hat natürlich viel, viel Geld. Also, das ist schon eine tolle Kombination.
Führer: Das Fernsehen haben Sie erwähnt, das spielt natürlich bei diesen Träumen eine entscheidende Rolle. Also, ich habe erfahren durch Ihr Buch, dass diese jungen Spieler alle die Champions League sehen übers Satellitenfernsehen.
Ewers: Ja, also, mein Eindruck ist, dass dieses Europabild, von dem wir gerade sprachen, dadurch idealisiert wird, dass Europa in Bildern nahezu unbegrenzt verfügbar ist, und zwar kein realistisches Europabild, sondern eine Art Best-of-Auswahl. Also, bei Youtube-Filmchen sieht man halt natürlich nur die besten Ausschnitte der Premier League, der englischen Liga, oder der Champions League. Also, das, was Afrikaner sehen oder zu sehen bekommen von Europa und auch sehen wollen, ist ein Europa als Paradies. Und die elektronischen Medien potenzieren das noch.
Führer: Wie ist denn die Wirklichkeit für afrikanische Spieler in Europa? Sie haben gerade gesagt, Samuel Eto'o, mit diesem Satz "Ich werde rennen wie ein Schwarzer", daraus würde sprechen, dass er sich nur so wahrgenommen sieht. Aber hat er damit nicht recht?
Ewers: Es gibt so vielleicht drei, vier, fünf afrikanische Weltstars, die behandelt werden wie jeder andere, aber das ist nicht der Regelfall. Hinter jedem Star wie Eto'o stehen Hunderte, wenn nicht gar Tausende gescheiterter Biografien. Und selbst ein Samuel Eto'o hat keinen geraden Weg nach Europa genommen, er ist mit 16 das erste Mal nach Europa gekommen, hat bei seiner Schwester in Paris gewohnt, illegal, vier Wochen hinter heruntergelassenen Rollladen. Er ist dann freiwillig zurückgegangen, weil er diese Wohnung als Gefängnis empfunden hat, und ist dann noch mal wiedergekommen zu Madrid, hat es nicht geschafft, wurde verliehen, von einem Club zum nächsten, ist dann von Mallorca zu Barcelona gegangen und wurde erst in Barcelona ganz spät – ich glaube, da war er schon fünf, sechs Jahre in Europa – zu dem Topstürmer, der er heute ist. Also, das darf man nicht vergessen: Selbst die überragenden Talente haben einen sehr, sehr schmerzhaften, steinigen Weg hinter sich.
Führer: Und wie ist es mit der Wahrnehmung der afrikanischen Spieler in Europa, mal abgesehen von den Stars? Ist es nicht so, dass sie – heute macht man das vielleicht nicht mehr so offen wie früher, als dann diese Affengeschreie auftauchten in den Stadien, wenn afrikanische Spieler auf den Platz kamen –, aber werden sie nicht auch immer noch tatsächlich so gesehen, "der Schwatte da hinten"?
Ewers: Offenen Rassismus in Stadien gibt es Gott sei Dank nicht mehr so oft, vor allen Dingen nicht in den ersten Ligen. Man hört das noch manchmal aus unteren, gerade in Ostdeutschland passiert das noch ab und zu mal, aber das ist nicht mehr das große Problem. Ich denke, dass es so einen latenten Rassismus gibt, dass es eine große Skepsis gegenüber afrikanischen Spielern gibt. Die müssen doppelt so viel leisten wie Weiße, wenn sie ein Probetraining abliefern. Also, die Zweifel an afrikanischen Spielern, an deren Seriosität, an deren Zuverlässigkeit sind nach wie vor sehr, sehr groß und das ist sehr überraschend, da es ja in den letzten Jahren durchaus überragende afrikanische Spieler gegeben hat in Europa und auch in der Bundesliga. Aber das hat irgendwie nicht für eine nachhaltige Vertrauensbasis gesorgt.
Führer: Gehen wir mal zurück nach Afrika. Der Untertitel Ihres Buches lautet ja "Die Tragödie des afrikanischen Fußballs". Worin besteht denn die Tragödie?
Ewers: Also, die Tragödie besteht vor allen Dingen darin, dass es afrikanischen Mannschaften bis heute nicht gelungen ist, ihr Potenzial zur Anwendung zu bringen. Das heißt, kurz vor großen Turnieren werden immer wieder afrikanische Mannschaften als Geheimfavoriten genannt – diesmal ist es die Elfenbeinküste, in den letzten Jahren waren es vor allen Dingen Kamerun und Nigeria –, aber mehr als Achtungserfolge sind nicht dabei herausgekommen. Der letzte große Erfolg – in Anführungsstrichen, große Erfolg – liegt schon 20 Jahre zurück, das war 1990, als England im Viertelfinale Kamerun besiegt hat in der Nachspielzeit, das war eine sehr knappe Sache, Halbfinaleinzug wäre eine Sensation gewesen, aber dieser Viertelfinaleinzug von Kamerun ist bis heute noch das Highlight.
Führer: Man hat dann ja – kurze Anmerkung noch – diese Einkaufstour dann ausgelöst in Afrika nach Spielern. Aber warum können die afrikanischen Mannschaften, die afrikanischen Spieler ihr Potenzial nicht ausschöpfen?
Ewers: Das hat vor allen Dingen strukturelle Gründe. Die Position des Nationaltrainers ist eine andere in Afrika, der kann nicht so souverän agieren, wie das zum Beispiel ein Louis van Gaal in Deutschland tun kann beim FC Bayern. Ist jetzt zwar ein Vereinstrainer, aber so ein autokratischer Führungsstil ist undenkbar in Afrika, das geht nicht. Es gibt tausend Einflüsterer, es gibt Politiker, es gibt Könige, es gibt Vereinspräsidenten, es gibt ehemalige Profis, es gibt aktuelle Stars, die in die Mannschaftsaufstellung mit reinregieren, also, es ist ein sehr, sehr kompliziertes Beziehungsgeflecht, in dem ein Trainer da steht, und das hemmt natürlich die Entwicklung einer Mannschaft, schwächt die Position, sorgt für Chaos. Das ist immer noch ein Grund dafür, warum sich afrikanische Mannschaften schwer tun, wenn es drauf ankommt.
Führer: Über den afrikanischen Fußball spreche ich im Deutschlandradio Kultur mit dem Journalisten Christian Ewers. Herr Ewers, das Vorurteil lautet ja, der Afrikaner kann zwar rennen – das hatten wir ja auch in dem Zitat –, aber er hat nichts in der Birne, er kriegt das nicht wirklich hin. Ihre Recherchereise scheint das ein bisschen bestätigt zu haben, auch wenn Sie das eleganter formulieren.
Ewers: Es ist zum Beispiel auffällig, dass es in Europa keine Nummer 10 gibt aus Afrika, also keinen klassischen Spielmacher. Das ist eine Position, die offenbar europäische Topclubs einem Afrikaner nicht zutrauen. Es gibt überragende Stürmer, es gibt überragende Abwehrspieler, aber diese kreative Position wird von keinem Afrikaner in einem Spitzenteam bekleidet. Aber Brasilianer spielen da zuhauf, denen traut man das zu und da würde es heißen, ach, der hat 1000 Ideen, der sprüht. Bei Afrikanern würde es dann heißen: Es ist ein Chaot, den bekommt man nicht eingefangen, oh je, der gibt das Spiel aus der Hand. Also, da sehe ich immer noch ein ganz, ganz großes Problem. So eine kreative Aufgabe zu übernehmen, das traut man offensichtlich Afrikanern nicht zu.
Führer: Ich habe durch Ihr Buch gelernt, dass die afrikanischen Spieler offenbar eine enorme Anpassungsleistung erbringen müssen, wenn sie in Europa erfolgreich sein wollen. Also, in Afrika spielt man anders Fußball als hierzulande. Und Sie erzählen ja viele Geschichten von dieser zumindest versuchten Anpassung, und da habe ich gedacht, ja, das ist doch ... scheint doch auch noch ein Stück Kolonialismus da drinzustecken, wenn man sein eigenes Erbe, seine eigene Kultur verleugnen muss.
Ewers: Es ist vor allen Dingen die Schuld auf europäischer Seite zu suchen. Diese Anpassungsleistung wird halt gar nicht gewürdigt, sondern Vereine sehen oft das, was sie investieren oder sie sehen nur das, was sie investieren, sie sagen: Wir haben diesem afrikanischen Spieler einen guten Vertrag gegeben, er bekommt viel Geld von uns, eine Wohnung, er bekommt noch ein Auto, also, wir haben alles dafür getan, damit der Tore schießt und wir fragen uns, warum tut er es nicht? Und was man eigentlich viel mehr leisten müsste, wäre, jemanden, der aus einem anderen Kulturkreis kommt, der sehr jung ist, der das erste Mal seine Heimat verlassen hat, der entwurzelt ist – solch ein Mensch, solch ein junger Mensch braucht pädagogische Begleitung. Das ist viel mehr gefragt als eine tolle Wohnung und ein superdotierter Vertrag.
Führer: Und, Herr Ewers, zum Schluss muss ich Sie natürlich fragen: Wird es endlich eine afrikanische Mannschaft schaffen, Weltmeister zu werden?
Ewers: Da bin ich skeptisch. Ich glaube, dass die afrikanischen Teams eine sehr gute Rolle spielen können, ich halte trotz des Ausfalls von Didier Drogba viel von der Elfenbeinküste, ich bin gespannt auf Nigeria. Das sind die beiden Mannschaften, die ich am stärksten einschätze. Ob es dann für den Titel reicht, hm, weiß ich nicht, aber ich denke mal, Viertelfinale, Halbfinale und mit ein bisschen Losglück können die wirklich sehr, sehr weit kommen.
Führer: Und der Tipp für den Weltmeister?
Ewers: Da bin ich ganz konservativ: Ich setze auf Spanien.
Führer: Christian Ewers über den afrikanischen und den europäischen Fußball. Sein Buch zum Thema heißt "Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer". Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Ewers!
Ewers: Gerne!
Christian Ewers: Guten Tag!
Führer: Der Titel Ihres Buches ist ein Zitat, und zwar von Samuel Eto'o aus Kamerun, inzwischen bei Inter Mailand unter Vertrag. Da Sie dies Zitat als Titel genommen haben, nehme ich ja mal an, dass es für Sie, ja, pars pro toto für das Verhältnis steht – oder manchmal auch Verhängnis – von afrikanischen Spielern und europäischem Fußball. Stimmt das?
Ewers: Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer – ich glaube, dieser Satz sagt sehr viel aus über das Standing afrikanischer Fußballprofis in Europa. Sie erleben sich in erster Linie nicht als Fußballer, sondern immer noch als Schwarze, die in einem von Weißen dominierten Kontinent spielen.
Führer: Und das Wichtige, finde ich, ist ja doch auch der zweite Teil des Satzes, "um zu leben wie ein Weißer", darin steckt ja so die Sehnsucht nach dem guten Leben, nach dem Paradies Europa. Ist für die afrikanischen Spieler, die Sie getroffen haben auf Ihrer Reise, Herr Ewers, wirklich Europa das gelobte Land?
Ewers: Absolut. Europa ist das Paradies für Afrikaner, Afrikaner sehen oftmals Europa idealisiert als Kontinent der täglich neuen Chancen, als Kontinent, der jedem ein materiell abgesichertes Leben bietet, der sich nur vernünftig bemüht. Dieses doch heroisierte Europabild trägt erheblich dazu bei, dass es zu solchen Wanderungsbewegungen kommt, also – nicht nur ist das ein Motivator für Flüchtlinge, durch die Wüste zu gehen, sondern es ist halt auch für die Migranten erster Klasse, so wie ich sie mal nennen möchte, das sind nämlich Fußballer, das ist auch ein Motiv, nach Europa zu kommen.
Führer: Und sind die Fußballer jetzt an dem europäischen Fußball dann interessiert oder an dem Geld?
Ewers: Ich glaube, es ist die Verquickung von beidem. Also, Fußballprofi zu werden, bedeutet natürlich, berühmt zu sein, bedeutet, möglicherweise eine Modelfreundin zu haben, bedeutet, in der Heimat geachtet zu werden, man ist im Fernsehen, und man hat natürlich viel, viel Geld. Also, das ist schon eine tolle Kombination.
Führer: Das Fernsehen haben Sie erwähnt, das spielt natürlich bei diesen Träumen eine entscheidende Rolle. Also, ich habe erfahren durch Ihr Buch, dass diese jungen Spieler alle die Champions League sehen übers Satellitenfernsehen.
Ewers: Ja, also, mein Eindruck ist, dass dieses Europabild, von dem wir gerade sprachen, dadurch idealisiert wird, dass Europa in Bildern nahezu unbegrenzt verfügbar ist, und zwar kein realistisches Europabild, sondern eine Art Best-of-Auswahl. Also, bei Youtube-Filmchen sieht man halt natürlich nur die besten Ausschnitte der Premier League, der englischen Liga, oder der Champions League. Also, das, was Afrikaner sehen oder zu sehen bekommen von Europa und auch sehen wollen, ist ein Europa als Paradies. Und die elektronischen Medien potenzieren das noch.
Führer: Wie ist denn die Wirklichkeit für afrikanische Spieler in Europa? Sie haben gerade gesagt, Samuel Eto'o, mit diesem Satz "Ich werde rennen wie ein Schwarzer", daraus würde sprechen, dass er sich nur so wahrgenommen sieht. Aber hat er damit nicht recht?
Ewers: Es gibt so vielleicht drei, vier, fünf afrikanische Weltstars, die behandelt werden wie jeder andere, aber das ist nicht der Regelfall. Hinter jedem Star wie Eto'o stehen Hunderte, wenn nicht gar Tausende gescheiterter Biografien. Und selbst ein Samuel Eto'o hat keinen geraden Weg nach Europa genommen, er ist mit 16 das erste Mal nach Europa gekommen, hat bei seiner Schwester in Paris gewohnt, illegal, vier Wochen hinter heruntergelassenen Rollladen. Er ist dann freiwillig zurückgegangen, weil er diese Wohnung als Gefängnis empfunden hat, und ist dann noch mal wiedergekommen zu Madrid, hat es nicht geschafft, wurde verliehen, von einem Club zum nächsten, ist dann von Mallorca zu Barcelona gegangen und wurde erst in Barcelona ganz spät – ich glaube, da war er schon fünf, sechs Jahre in Europa – zu dem Topstürmer, der er heute ist. Also, das darf man nicht vergessen: Selbst die überragenden Talente haben einen sehr, sehr schmerzhaften, steinigen Weg hinter sich.
Führer: Und wie ist es mit der Wahrnehmung der afrikanischen Spieler in Europa, mal abgesehen von den Stars? Ist es nicht so, dass sie – heute macht man das vielleicht nicht mehr so offen wie früher, als dann diese Affengeschreie auftauchten in den Stadien, wenn afrikanische Spieler auf den Platz kamen –, aber werden sie nicht auch immer noch tatsächlich so gesehen, "der Schwatte da hinten"?
Ewers: Offenen Rassismus in Stadien gibt es Gott sei Dank nicht mehr so oft, vor allen Dingen nicht in den ersten Ligen. Man hört das noch manchmal aus unteren, gerade in Ostdeutschland passiert das noch ab und zu mal, aber das ist nicht mehr das große Problem. Ich denke, dass es so einen latenten Rassismus gibt, dass es eine große Skepsis gegenüber afrikanischen Spielern gibt. Die müssen doppelt so viel leisten wie Weiße, wenn sie ein Probetraining abliefern. Also, die Zweifel an afrikanischen Spielern, an deren Seriosität, an deren Zuverlässigkeit sind nach wie vor sehr, sehr groß und das ist sehr überraschend, da es ja in den letzten Jahren durchaus überragende afrikanische Spieler gegeben hat in Europa und auch in der Bundesliga. Aber das hat irgendwie nicht für eine nachhaltige Vertrauensbasis gesorgt.
Führer: Gehen wir mal zurück nach Afrika. Der Untertitel Ihres Buches lautet ja "Die Tragödie des afrikanischen Fußballs". Worin besteht denn die Tragödie?
Ewers: Also, die Tragödie besteht vor allen Dingen darin, dass es afrikanischen Mannschaften bis heute nicht gelungen ist, ihr Potenzial zur Anwendung zu bringen. Das heißt, kurz vor großen Turnieren werden immer wieder afrikanische Mannschaften als Geheimfavoriten genannt – diesmal ist es die Elfenbeinküste, in den letzten Jahren waren es vor allen Dingen Kamerun und Nigeria –, aber mehr als Achtungserfolge sind nicht dabei herausgekommen. Der letzte große Erfolg – in Anführungsstrichen, große Erfolg – liegt schon 20 Jahre zurück, das war 1990, als England im Viertelfinale Kamerun besiegt hat in der Nachspielzeit, das war eine sehr knappe Sache, Halbfinaleinzug wäre eine Sensation gewesen, aber dieser Viertelfinaleinzug von Kamerun ist bis heute noch das Highlight.
Führer: Man hat dann ja – kurze Anmerkung noch – diese Einkaufstour dann ausgelöst in Afrika nach Spielern. Aber warum können die afrikanischen Mannschaften, die afrikanischen Spieler ihr Potenzial nicht ausschöpfen?
Ewers: Das hat vor allen Dingen strukturelle Gründe. Die Position des Nationaltrainers ist eine andere in Afrika, der kann nicht so souverän agieren, wie das zum Beispiel ein Louis van Gaal in Deutschland tun kann beim FC Bayern. Ist jetzt zwar ein Vereinstrainer, aber so ein autokratischer Führungsstil ist undenkbar in Afrika, das geht nicht. Es gibt tausend Einflüsterer, es gibt Politiker, es gibt Könige, es gibt Vereinspräsidenten, es gibt ehemalige Profis, es gibt aktuelle Stars, die in die Mannschaftsaufstellung mit reinregieren, also, es ist ein sehr, sehr kompliziertes Beziehungsgeflecht, in dem ein Trainer da steht, und das hemmt natürlich die Entwicklung einer Mannschaft, schwächt die Position, sorgt für Chaos. Das ist immer noch ein Grund dafür, warum sich afrikanische Mannschaften schwer tun, wenn es drauf ankommt.
Führer: Über den afrikanischen Fußball spreche ich im Deutschlandradio Kultur mit dem Journalisten Christian Ewers. Herr Ewers, das Vorurteil lautet ja, der Afrikaner kann zwar rennen – das hatten wir ja auch in dem Zitat –, aber er hat nichts in der Birne, er kriegt das nicht wirklich hin. Ihre Recherchereise scheint das ein bisschen bestätigt zu haben, auch wenn Sie das eleganter formulieren.
Ewers: Es ist zum Beispiel auffällig, dass es in Europa keine Nummer 10 gibt aus Afrika, also keinen klassischen Spielmacher. Das ist eine Position, die offenbar europäische Topclubs einem Afrikaner nicht zutrauen. Es gibt überragende Stürmer, es gibt überragende Abwehrspieler, aber diese kreative Position wird von keinem Afrikaner in einem Spitzenteam bekleidet. Aber Brasilianer spielen da zuhauf, denen traut man das zu und da würde es heißen, ach, der hat 1000 Ideen, der sprüht. Bei Afrikanern würde es dann heißen: Es ist ein Chaot, den bekommt man nicht eingefangen, oh je, der gibt das Spiel aus der Hand. Also, da sehe ich immer noch ein ganz, ganz großes Problem. So eine kreative Aufgabe zu übernehmen, das traut man offensichtlich Afrikanern nicht zu.
Führer: Ich habe durch Ihr Buch gelernt, dass die afrikanischen Spieler offenbar eine enorme Anpassungsleistung erbringen müssen, wenn sie in Europa erfolgreich sein wollen. Also, in Afrika spielt man anders Fußball als hierzulande. Und Sie erzählen ja viele Geschichten von dieser zumindest versuchten Anpassung, und da habe ich gedacht, ja, das ist doch ... scheint doch auch noch ein Stück Kolonialismus da drinzustecken, wenn man sein eigenes Erbe, seine eigene Kultur verleugnen muss.
Ewers: Es ist vor allen Dingen die Schuld auf europäischer Seite zu suchen. Diese Anpassungsleistung wird halt gar nicht gewürdigt, sondern Vereine sehen oft das, was sie investieren oder sie sehen nur das, was sie investieren, sie sagen: Wir haben diesem afrikanischen Spieler einen guten Vertrag gegeben, er bekommt viel Geld von uns, eine Wohnung, er bekommt noch ein Auto, also, wir haben alles dafür getan, damit der Tore schießt und wir fragen uns, warum tut er es nicht? Und was man eigentlich viel mehr leisten müsste, wäre, jemanden, der aus einem anderen Kulturkreis kommt, der sehr jung ist, der das erste Mal seine Heimat verlassen hat, der entwurzelt ist – solch ein Mensch, solch ein junger Mensch braucht pädagogische Begleitung. Das ist viel mehr gefragt als eine tolle Wohnung und ein superdotierter Vertrag.
Führer: Und, Herr Ewers, zum Schluss muss ich Sie natürlich fragen: Wird es endlich eine afrikanische Mannschaft schaffen, Weltmeister zu werden?
Ewers: Da bin ich skeptisch. Ich glaube, dass die afrikanischen Teams eine sehr gute Rolle spielen können, ich halte trotz des Ausfalls von Didier Drogba viel von der Elfenbeinküste, ich bin gespannt auf Nigeria. Das sind die beiden Mannschaften, die ich am stärksten einschätze. Ob es dann für den Titel reicht, hm, weiß ich nicht, aber ich denke mal, Viertelfinale, Halbfinale und mit ein bisschen Losglück können die wirklich sehr, sehr weit kommen.
Führer: Und der Tipp für den Weltmeister?
Ewers: Da bin ich ganz konservativ: Ich setze auf Spanien.
Führer: Christian Ewers über den afrikanischen und den europäischen Fußball. Sein Buch zum Thema heißt "Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer". Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Ewers!
Ewers: Gerne!