Ein Platz in Deutschland
Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland steigt, gleichzeitig wachsen die Proteste gegen Flüchtlingsheime. - Wie reagieren Anwohner, Hilfsorganisationen, Behörden und Politiker?
"Nein zum Heim, nein zum Heim!"
"Nein zum Heim" skandieren sie. Berlin-Hellersdorf im Juli. Eigentlich hat das Bezirksamt an diesem Abend eine Informationsveranstaltung geplant.
"Wir setzen uns natürlich gegen das Asylbewerberheim hier ein."
Doch aus dem Informationsabend wird eine hasserfüllte Demonstration. Ungewöhnlich für Berlin - ist die Multi-Kulti-Stadt doch für eine liberale Flüchtlingspolitik bekannt. Asylbewerber werden soweit wie möglich in Wohnungen untergebracht, die Residenzpflicht ist gelockert.
Doch an diesem Abend regiert der ausländerfeindliche Mob. Berlins NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke kapert gemeinsam mit befreundeten Neonazis den offiziellen Termin. Und die Verantwortlichen des Bezirks lassen ihn und seine Kameraden gewähren. NPD-Funktionärinnen tarnen sich als besorgte Anwohnerinnen. Die Parolen: Keine Hilfe für ausländische Flüchtlinge, Sozialleistungen nur für Deutsche.
Hasserfüllte Parolen und verunsicherte Flüchtlinge
"Wir haben auch unseren Arbeitslosen, unsere sozial Schwachen, die mit solchen Gebäuden unterstützt werden müssen, und wir haben unsere Obdachlosen, nicht zu vergessen."
"Hier mitten im Wohngebiet passt ein Asylantenheim nicht hin, das bringt so viel Unruhe und die meisten sind auch dagegen."
"Wir werden nicht gefragt, uns knallt man hier ein Heim mit 500 Asylanten vor die Nase. Eine ungeregelte Zuwanderung aus dem arabischen Raum, Kulturen, die sich nie integrieren werden können. Ich bin Soziologe von Beruf, ich kenn mich da ein bisschen aus."
Als vier Wochen später die ersten Flüchtlinge die notdürftig umgebaute Schule beziehen, eskaliert der Konflikt. Auf Facebook ruft eine anonym agierende Bürgerinitiative dazu auf, den Flüchtlingen Müll vor die Tür zu schütten. Die NPD propagiert eine Bürgerwehr, Anwohner zeigen den Hitlergruß. Auch linke Aktivisten versammeln sich vor dem Heim, skandieren lautstark:
"Kein Mensch ist illegal - Bleiberecht überall!"
Mittendrin in diesem Konflikt: 200 verunsicherte Flüchtlinge aus 19 Ländern. Die Asylbewerber wissen nicht: Wer sind unsere Freunde, wer unsere Gegner?
"Er sagt, abends gehen sie nicht raus. Tagsüber gehen sie schon raus, aber abends nicht, da haben sie Angst. Und er sagt, dass seine Kinder hier leben, sie gehen auch zur Schule. Er hat aber Angst, sie rauszulassen. Vor allen Dingen auch am Wochenende."
Erzählt dieser Flüchtling, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte. Er und seine Familie sind vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen. Ob sie den Deutschen vor ihrer neuen Haustür trauen dürfen, wissen sie noch nicht.
Doch die Lage in Hellersdorf hat sich inzwischen beruhigt. Ausländerfeindliche Demonstrationen gibt es keine mehr. Vor allen Dingen: Die Flüchtlinge werden mit Hilfsangeboten geradezu überschüttet. Die benachbarte Kirchengemeinde, das Gymnasium und nicht zuletzt die Initiative "Hellersdorf hilft", gegründet von Tim Schwiesau und seinen Freunden, unterstützen das Heim und seine Bewohner. Dort, wo jetzt die Flüchtlinge schlafen, hat der heute 28-Jährige über seinen Abi-Klausuren gebrütet. Als die Bilder seiner früheren Schule durch die Medien gingen, haben er und andere Ehemalige sofort gehandelt.
Schwiesau: "Also, wir haben Briefe für die Asylbewerber in mehreren Sprachen geschrieben, um ihnen zu zeigen, dass es viele Menschen gibt, die für sie da sind, die nichts gegen sie haben. Wir haben sie aufgeklärt über die Situation im Bezirk. Dass es Menschen gibt, die es nicht so toll finden, dass sie hier sind. Aber, dass es vor allem auch sehr viele Menschen gibt, die dafür sind."
Die NPD-Aufrufe sind verpufft
Eine Menschenkette haben sie gebildet, um gespendete Hilfsgüter in das Heim zu transportieren. Die Initiative "Hellersdorf hilft" bringt Flüchtlingskindern das Skateboardfahren bei, begleitet die Eltern zu Arztbesuchen, unterstützt sie bei Behördengängen.
Auch die benachbarte Alice-Salomon-Hochschule ist aktiv - der Fachbereich Sozialarbeit hat kurzerhand ein Seminar aus dem Hörsaal ins Flüchtlingsheim verlegt.
"Wir haben heute viel vor, erst einmal herzlich Willkommen. Es sind einige Bewohner des Hauses hier, die mit uns sprechen wollen."
Die gebürtige Inderin Nivedita Prassad begrüßt Studierende und Flüchtlinge. Die Professorin für Sozialarbeit hatte gemeinsam mit der Rektorin der Alice-Salomon-Hochschule Theda Borde die Idee, die Grenzen zwischen Flüchtlingsheim und Hochschule ein wenig aufzuweichen.
"Das Wichtigste erschien mir, dass wir als Hochschule natürlich auch eine gewisse Verantwortung haben. Insbesondere weil wir ja auch Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen ausbilden. Wir benutzen diesen Raum hier, um diese Trutzburg Flüchtlingsheim aufzulösen und das zu einem ganz normalen Ort zu machen. Wo auch andere Dinge stattfinden, wo sie auch anderen Menschen begegnen als den Uniformierten und der Heimleitung."
Die Flüchtlinge sind eingeladen, die Internetarbeitsplätze der Hochschule zu nutzen, die Studierenden sind eingeladen, den Asylbewerbern den ungewohnten deutschen Alltag zu erleichtern. Langsam knüpfen die da drinnen und die da draußen ein gemeinsames Netz. Dem Aufruf von NPD-Funktionären, eine Bürgerwehr zu bilden, ist niemand gefolgt.
Neue Töne aus Bayern
Rana Sayed wirkt müde, gestresst. Die 29-jährige Syrerin umklammert ihre beiden kleinen Kinder. Vor allem wegen der beiden Mädchen sind sie, ihr Mann und ihr Schwager aus Syrien geflohen, aus dem Land, das sie lieben, das ihre Heimat ist. Nur ungern erinnert sie sich an das Leben in Damaskus während des Krieges:
"In unserer Straße sind große Bomben eingeschlagen, den ganzen Tag über, die ganze Nacht. Auf der Straße lagen tote Menschen, einzelne Köpfe, Beine - alles was man sich vorstellen kann."
Nach einer gefährlichen Flucht nach Deutschland sind sie in Bayern gestrandet, sind erst einmal in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht, bekommen Essenspakete. Alltag für viele Asylbewerber in Bayern. Aber nicht mehr lange, wenn es nach Emilia Müller geht. Die zierliche Frau hat viele überrascht: Erst seit dieser Legislaturperiode ist die CSU-Politikerin aus der Oberpfalz bayerische Sozialministerin, zuständig auch für weite Teile der Asylpolitik. Während andere sich erst mal in die neuen Themengebiete einarbeiten, hat sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit große Veränderungen angekündigt:
"Ich will weg von den Essenspaketen in den Gemeinschaftsunterkünften, so schnell wie möglich. Und das ist meine feste Zielsetzung: Hin zu Geldleistungen und weg von der Sachleistung."
Das sind neue Töne aus einem Bundesland, in dem noch bis vor wenigen Monaten in einer offiziellen Verordnung stand: "Die Verteilung der Flüchtlinge soll die Bereitschaft zur Rückkehr in ihr Heimatland fördern." Nur in der Realität bleibe nicht viel davon übrig, sagt Angelika Weikert, Flüchtlingsexpertin der SPD:
"Also wenn Sie bei den Regierungen nachfragen, dann kriegt man ne erschreckende Antwort: Dass die Verträge mit den Firmen, die Essenspakete herstellen, zum Teil noch zwei,drei, vier Jahre laufen, also dass des gar nicht so schnell umgestellt werden kann."
Die einzelnen Bezirksregierungen müssen erst mal aus den Verträgen rauskommen, das gibt auch das Sozialministerium zu. Auch bei der Unterbringung von Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren, die ohne ihre Eltern geflohen sind, läuft noch nicht alles rund. Bisher müssen viele von ihnen erst mal in der Bayernkaserne in München bleiben. Rund 180 Jugendliche leben hier auf engsten Raum, 120 dürften eigentlich hier wohnen. Die Zimmer sind überfüllt, Duschen und WCs überlastet. Es gibt zu wenig Betreuer für die oft traumatisierten Jugendlichen. Die Folge, erzählen viele von ihnen: Gewalt. Auch Stefan Frey, lange für die Regierung von Oberbayern tätig, sagt:
"Wir haben von der Sozialbetreuung in fünf Fällen mitgeteilt bekommen, dass es eventuell zu sexuellen Vorfällen gekommen sein könnte. Als wir davon gehört haben, haben wir diese Fälle sofort der Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Die ermittelt."
WG statt Kaserne
Schon im August hatte das Sozialministerium angekündigt: Die Bayernkaserne soll Ende diesen Jahres geschlossen werden, die jungen Flüchtlinge dürfen in betreute WGs oder andere Einrichtungen der Jugendhilfe. Doch die Plätze in der Jugendhilfe sind rar - und deswegen müssen viele Jugendliche wohl noch bis Ende März in der ehemaligen Kaserne bleiben, mindestens. Wegen dieser und ähnlicher Schwierigkeiten kritisiert auch Christine Kamm von den Grünen die Staatsregierung:
"Es reicht nicht, wenn man bloß Ankündigungen hört, es muss ganz konkret jetzt schon etwas spürbar werden, zum Beispiel die Abschaffung der Residenzpflicht innerhalb von Bayern, das kann sofort geschehen."
Asylbewerber und Geduldete müssen bisher meist schon um Erlaubnis bitten, wenn sie ihren Regierungsbezirk verlassen wollen. Damit hat Bayern neben Sachsen die strengste Residenzpflicht. Im neuen Koalitionsvertrag auf Bundesebene versprechen CDU, CSU und SPD zwar, dass sich Asylbewerber und Geduldete bald überall frei in ihrem Bundesland bewegen dürfen. Aber der Vertrag ist noch nicht unterzeichnet. Ob das Versprechen je in ein Gesetz verwandelt wird, ist nicht klar. Momentan bleibt bei der Residenzpflicht jedenfalls alles, wie es ist, sagt das bayerische Innenministerium.
Doch die Residenzpflicht ist und bleibt ein rotes Tuch, für Asylbewerber, für Geduldete, für ihre Unterstützer. Immer wieder haben sie in den letzten Monaten auch dagegen protestiert, haben Protestmärsche organisiert, waren im Hungerstreik - für eine menschlichere Asylpolitik.
Die Regierung weist lieber auf die vielen Neuerungen hin. Es gibt seit dem Herbst Deutschkurse für Asylbewerber. Damit ist Bayern bundesweit vorn dabei. Er habe aber noch nichts von Deutschkursen gehört, sagt ein senegalesischer Asylbewerber, der im niederbayerischen Böbrach lebt:
"Ich habe gefragt: Haben wir nicht das Recht, Deutsch zu lernen? Wie können wir Deutsch lernen? Die Antwort war: Wir müssen jetzt auf unsere Verhandlung warten. Wenn wir Asyl bekommen, dürfen wir anfangen."
Momentan gibt es nur an etwa 40 Standorten ganz offiziell Deutschkurse, bestätigt das bayerische Sozialministerium auf Nachfrage. Doch ohne Deutschkenntnisse keine Integration, kaum soziale Kontakte. Ein Problem besonders für die vielen Asylbewerber und Geduldete, die durch die Erlebnisse im Heimatland oder auf der Flucht traumatisiert sind.
"Ich habe Probleme mit meinem Herzen, mit meinem Bauch. Mein Kopf ist so voll. Jemand, der mehr als zehn Jahre im Krankenhaus ist oder tot, fühlt sich besser als ich mich fühle. Wenn du im Asylheim sitzt, merkst du, dass du keine Zukunft hast."
System der Abschreckung
Guy Best kommt ursprünglich aus Sierra Leone, ist nach langen Irrwegen nach Deutschland gekommen. Im Gepäck: schwere psychische und körperliche Probleme. Er kann einen ganzen Stapel aus Diagnosen vorzeigen. Nur richtig behandelt wurde er in Bayern nicht. Denn Asylbewerber und Geduldete können nicht einfach zum Arzt gehen. Jeder Arztbesuch muss vom Sozialamt bewilligt werden.
"Manchmal, wenn ich nach Medikamenten gefragt hat, hat die Regierung gesagt: Die Behandlung ist zu teuer. Sie haben mich einfach abgewiesen. Das war nicht nur ein, zweimal so - das ist viel öfter passiert."
Erst bei Refugio München, einem Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer, hat er Hilfe gefunden. Refugio wird nicht vom Freistaat Bayern finanziert, springt da ein, wo der Freistaat versagt. Im Rahmen der Möglichkeiten, die Warteliste auf einen Therapieplatz ist auch hier lang. Denn nur sehr wenige Asylbewerber und Geduldete bekommen psychologische Betreuung vom Staat, sagt Refugio-Geschäftsführer Jürgen Soyer. Wegen Sprachproblemen, weil manche Sozialämter dringend benötigte Therapien einfach nicht bewilligen. Von einem neuen Kurs in der Asylpolitik merkt er noch nichts:
"Bis jetzt hat sich für uns nichts geändert . Wir haben unendlich viele Anfragen, dramatische Anfragen, denen wir keinen Platz geben können im Moment."
Das System der Abschreckung habe sich eben in all den Jahren verfestigt, sagt er. In de