Migrationsexperte: Lage der Asylsuchenden ist äußerst prekär
Der Migrationssoziologe Ludger Pries hat die Asyl-Bedingungen in Deutschland kritisiert. Vor allem die Residenzpflicht und die Unterbringung in Sammelunterkünften seien eine Belastung für die Menschen. Deutschland müsse die Spielräume der jüngsten EU-Richtlinie daher besser nutzen.
Hanns Ostermann: Auffällig ist das schon: Geht es um den Euro, um alle möglichen Rettungsschirme, dann reagiert die Europäische Union relativ schnell. Geht es aber um Menschen, die zu uns fliehen und Hilfe brauchen, passiert fast nichts. Im Gegenteil, Gerichte müssen die Menschenrechte verteidigen, wie gestern, als Malta wegen unerträglicher Zustände in einem Gefängnis durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde.
Die Politik tritt auf der Stelle, auch wenn viele den flammenden Appell des Papstes begrüßen. Franziskus hatte vor wenigen Wochen auf Lampedusa von einer "Globalisierung der Gleichgültigkeit" gesprochen.
Warum sind wir gleichgültig, warum schauen wir am liebsten weg, wenn Menschen ihr Leben riskieren, um in Freiheit leben zu können? Auch darüber möchte ich mit Professor Ludger Pries sprechen, er ist Soziologe und stellvertretender Vorsitzender des Unabhängigen Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Guten Morgen, Herr Pries!
Ludger Pries: Schönen guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Wir hören viel über Asylmissbrauch, aber nur wenig über die Gründe der Flucht von Millionen Menschen. Woran liegt das?
Pries: Ja, da muss ich Ihnen leider Recht geben. Wie ein bekannter Journalist sagte, herrscht in Europa eher das Sankt-Florians-Prinzip und nicht das Sankt-Martins-Prinzip. Wir sind also weniger teilend mit den Flüchtlingen, sondern eher abweisend und sagen, das sollen andere Länder regeln. Politikwissenschaftlich könnte man sagen: Diejenigen, die schwache Interessen haben und ihre Interessen schlecht durchsetzen können – Flüchtlinge wählen ja nicht –, die werden auch in der Politik wenig beachtet und deshalb eher an den Rand geschoben.
Ostermann: Der Papst, aber auch manch anderer appelliert an die moralische Verantwortung. Welche Beispiele kennen Sie, wo Menschenrechtsstandards sträflich vernachlässigt werden?
Pries: Nun, das fängt in Bezug auf Flüchtlinge schon da an, wo wir nicht in allen europäischen Ländern, aber auch in den häufig sicheren sogenannten Drittstaaten keine absolut angemessenen Verfahren der Behandlung von Anträgen auf Asyl etwa haben, keine hundertprozentig angemessenen Unterkünfte und so weiter. Das geht also durchaus an den Rändern der Europäischen Union und auch in anderen Ländern, in anderen Drittstaaten sehr weit, was die Nichteinhaltung aller Menschenrechte angeht.
Ostermann: Der Sachverständigenrat befasst sich seit Jahren mit diesen Problemen. Was wissen Sie über die Menschen, die zu uns kommen, kommen wollen?
Pries: Diese Menschen müssen durch ein recht umfangreiches Verfahren. Sie unterliegen dort, wo sie einen Antrag auf Asyl stellen, zunächst einmal der Residenzpflicht. Sie werden jetzt, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes seit dem letzten Jahr – haben Anspruch auf ähnliche Leistungen wie Hartz-IV-Empfänger und müssen dann auf das Durchlaufen ihres Verfahrens warten. Das passiert häufig in Sammelunterkünften, teilweise aber auch in dezentralisierteren Wohneinheiten.
Die Bedingungen, unter denen diese Menschen leben, sind in aller Regel äußerst prekär. Sie haben keinen Kontakt mit der Bevölkerung. Und so entsteht auch eine Spirale des wechselseitigen Misstrauens. Wir haben bisher meines Erachtens viel zu wenig dort, wo diese Menschen untergebracht sind, die Bevölkerung in der Umgebung angemessen aufgeklärt und informiert, aus welchen Ländern unter welchen Bedingungen diese Menschen fliehen mussten, so dass häufig auch in der Bevölkerung nicht immer das größte Verständnis besteht. Das lässt natürlich dann Politiker eher zusammenzucken und sagen, wir nehmen uns dieses Themas gar nicht an, oder nutzen sogar noch populistisch die Stimmungen der Menschen.
Ostermann: Zu dieser Stimmung gehört häufig der Vorwurf, das Vorurteil, Flüchtlinge wollten Sozialsysteme ausnutzen, sie seien wenig qualifiziert. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?
Pries: Man kann niemals ganz ausschließen, dass Menschen aus Anrainerstaaten, etwa Rumäniens, Bulgariens, dem ehemaligen Jugoslawien kommen und auch bedenken, dass die von mir vorhin erwähnten Sätze des Unterhalts relativ hoch sind im Vergleich zu dem, was sie in ihren Ländern verdienen. Wir haben aber im Sachverständigenrat verschiedene Studien durchgeführt und analysiert und festgestellt, dass die Migration aus Gründen der jeweils hoch oder niedrig gesetzten Sozialhilfesätze nirgendwo statistisch solide nachgewiesen werden kann. Häufig ist es ja auch so, dass der Unterschied zwischen wirtschaftlichen, politischen Gründen und rassischer Verfolgung etwa sehr fließend sind. Das gilt ja gerade für die Gruppe der Roma, die etwa in Serbien doch starker rassistischer und auch rechtsextremer Gewalt teilweise ausgesetzt ist.
Die Politik tritt auf der Stelle, auch wenn viele den flammenden Appell des Papstes begrüßen. Franziskus hatte vor wenigen Wochen auf Lampedusa von einer "Globalisierung der Gleichgültigkeit" gesprochen.
Warum sind wir gleichgültig, warum schauen wir am liebsten weg, wenn Menschen ihr Leben riskieren, um in Freiheit leben zu können? Auch darüber möchte ich mit Professor Ludger Pries sprechen, er ist Soziologe und stellvertretender Vorsitzender des Unabhängigen Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Guten Morgen, Herr Pries!
Ludger Pries: Schönen guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Wir hören viel über Asylmissbrauch, aber nur wenig über die Gründe der Flucht von Millionen Menschen. Woran liegt das?
Pries: Ja, da muss ich Ihnen leider Recht geben. Wie ein bekannter Journalist sagte, herrscht in Europa eher das Sankt-Florians-Prinzip und nicht das Sankt-Martins-Prinzip. Wir sind also weniger teilend mit den Flüchtlingen, sondern eher abweisend und sagen, das sollen andere Länder regeln. Politikwissenschaftlich könnte man sagen: Diejenigen, die schwache Interessen haben und ihre Interessen schlecht durchsetzen können – Flüchtlinge wählen ja nicht –, die werden auch in der Politik wenig beachtet und deshalb eher an den Rand geschoben.
Ostermann: Der Papst, aber auch manch anderer appelliert an die moralische Verantwortung. Welche Beispiele kennen Sie, wo Menschenrechtsstandards sträflich vernachlässigt werden?
Pries: Nun, das fängt in Bezug auf Flüchtlinge schon da an, wo wir nicht in allen europäischen Ländern, aber auch in den häufig sicheren sogenannten Drittstaaten keine absolut angemessenen Verfahren der Behandlung von Anträgen auf Asyl etwa haben, keine hundertprozentig angemessenen Unterkünfte und so weiter. Das geht also durchaus an den Rändern der Europäischen Union und auch in anderen Ländern, in anderen Drittstaaten sehr weit, was die Nichteinhaltung aller Menschenrechte angeht.
Ostermann: Der Sachverständigenrat befasst sich seit Jahren mit diesen Problemen. Was wissen Sie über die Menschen, die zu uns kommen, kommen wollen?
Pries: Diese Menschen müssen durch ein recht umfangreiches Verfahren. Sie unterliegen dort, wo sie einen Antrag auf Asyl stellen, zunächst einmal der Residenzpflicht. Sie werden jetzt, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes seit dem letzten Jahr – haben Anspruch auf ähnliche Leistungen wie Hartz-IV-Empfänger und müssen dann auf das Durchlaufen ihres Verfahrens warten. Das passiert häufig in Sammelunterkünften, teilweise aber auch in dezentralisierteren Wohneinheiten.
Die Bedingungen, unter denen diese Menschen leben, sind in aller Regel äußerst prekär. Sie haben keinen Kontakt mit der Bevölkerung. Und so entsteht auch eine Spirale des wechselseitigen Misstrauens. Wir haben bisher meines Erachtens viel zu wenig dort, wo diese Menschen untergebracht sind, die Bevölkerung in der Umgebung angemessen aufgeklärt und informiert, aus welchen Ländern unter welchen Bedingungen diese Menschen fliehen mussten, so dass häufig auch in der Bevölkerung nicht immer das größte Verständnis besteht. Das lässt natürlich dann Politiker eher zusammenzucken und sagen, wir nehmen uns dieses Themas gar nicht an, oder nutzen sogar noch populistisch die Stimmungen der Menschen.
Ostermann: Zu dieser Stimmung gehört häufig der Vorwurf, das Vorurteil, Flüchtlinge wollten Sozialsysteme ausnutzen, sie seien wenig qualifiziert. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?
Pries: Man kann niemals ganz ausschließen, dass Menschen aus Anrainerstaaten, etwa Rumäniens, Bulgariens, dem ehemaligen Jugoslawien kommen und auch bedenken, dass die von mir vorhin erwähnten Sätze des Unterhalts relativ hoch sind im Vergleich zu dem, was sie in ihren Ländern verdienen. Wir haben aber im Sachverständigenrat verschiedene Studien durchgeführt und analysiert und festgestellt, dass die Migration aus Gründen der jeweils hoch oder niedrig gesetzten Sozialhilfesätze nirgendwo statistisch solide nachgewiesen werden kann. Häufig ist es ja auch so, dass der Unterschied zwischen wirtschaftlichen, politischen Gründen und rassischer Verfolgung etwa sehr fließend sind. Das gilt ja gerade für die Gruppe der Roma, die etwa in Serbien doch starker rassistischer und auch rechtsextremer Gewalt teilweise ausgesetzt ist.
"In Europa wird das Sankt-Florians-Prinzip hochgehalten"
Ostermann: Seit Jahren wird über eine gemeinsame europäische Asylpolitik geredet, aber es passiert nichts? Warum?
Pries: Nun, etwas ist jetzt passiert, im Juni. Im Juni wurde in Europa die gemeinsame europäische Asylsystemrichtlinie verabschiedet, sodass wir jetzt etwas weiter gekommen sind, aber grundsätzlich haben Sie natürlich recht: In Europa wird, ähnlich wie in Deutschland, das Sankt-Florians-Prinzip hochgehalten. Jeder kümmert sich zunächst um seine eigenen nationalen Interessen, und dann überlässt man gerne den Anrainerstaaten des Mittelmeeres etwa, die Arbeit und auch die Probleme mit Asylsuchenden und Flüchtlingen umzugehen.
Was die Richtlinie, die gemeinsame europäische Asylsystemrichtlinie nun angeht, da haben wir jetzt in Europa insgesamt, in allen Ländern, auch wir in Deutschland etwa zwei Jahre Zeit, diese verschiedenen Vorschriften umzusetzen. Diese beziehen sich auf die Prozeduren, auf die Infrastruktur, die für Asylanträge geschaffen werden muss. Sie bezieht sich auf die Unterbringungsbedingungen und auch auf die Kriterien, nach denen Asylanträge zu stellen sind. Denn wir wissen, dass auch in den EU-Mitgliedsstaaten nicht überall ein ordentliches und sauberes Asylverfahren gewährleistet ist. Da könnten wir also jetzt in den nächsten zwei Jahren nachbessern.
Und ich würde mich sehr freuen und der Sachverständigenrat würde es sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung bei der Umsetzung dieser gemeinsamen europäischen Asylsystemrichtlinien alle Spielräume, die sie hat, liberal nutzen würde und auch Courage zeigen würde, wie sie das ja auch bei anderen Themen getan hat, etwa bei der Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie, wo Deutschland heute durchaus als eines der führenden liberalen Einwanderungsländer gelten kann.
Ostermann: Courage wird gebraucht. Ludger Pries, der stellvertretende Vorsitzende des Unabhängigen Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Herr Pries, danke für das Gespräch!
Pries: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Pries: Nun, etwas ist jetzt passiert, im Juni. Im Juni wurde in Europa die gemeinsame europäische Asylsystemrichtlinie verabschiedet, sodass wir jetzt etwas weiter gekommen sind, aber grundsätzlich haben Sie natürlich recht: In Europa wird, ähnlich wie in Deutschland, das Sankt-Florians-Prinzip hochgehalten. Jeder kümmert sich zunächst um seine eigenen nationalen Interessen, und dann überlässt man gerne den Anrainerstaaten des Mittelmeeres etwa, die Arbeit und auch die Probleme mit Asylsuchenden und Flüchtlingen umzugehen.
Was die Richtlinie, die gemeinsame europäische Asylsystemrichtlinie nun angeht, da haben wir jetzt in Europa insgesamt, in allen Ländern, auch wir in Deutschland etwa zwei Jahre Zeit, diese verschiedenen Vorschriften umzusetzen. Diese beziehen sich auf die Prozeduren, auf die Infrastruktur, die für Asylanträge geschaffen werden muss. Sie bezieht sich auf die Unterbringungsbedingungen und auch auf die Kriterien, nach denen Asylanträge zu stellen sind. Denn wir wissen, dass auch in den EU-Mitgliedsstaaten nicht überall ein ordentliches und sauberes Asylverfahren gewährleistet ist. Da könnten wir also jetzt in den nächsten zwei Jahren nachbessern.
Und ich würde mich sehr freuen und der Sachverständigenrat würde es sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung bei der Umsetzung dieser gemeinsamen europäischen Asylsystemrichtlinien alle Spielräume, die sie hat, liberal nutzen würde und auch Courage zeigen würde, wie sie das ja auch bei anderen Themen getan hat, etwa bei der Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie, wo Deutschland heute durchaus als eines der führenden liberalen Einwanderungsländer gelten kann.
Ostermann: Courage wird gebraucht. Ludger Pries, der stellvertretende Vorsitzende des Unabhängigen Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Herr Pries, danke für das Gespräch!
Pries: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.