Miika Nousiainen: "Quality Time"
Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat
Kein & Aber, Zürich 2021
336 Seiten, 22 Euro
Das Wohlfühlland Finnland aufs Korn genommen
05:15 Minuten
"Quality Time" - wer sucht sie nicht? In seinem gleichnamigen Roman übergießt der finnische Autor Miika Nousiainen diesen überstrapazierten Begriff mit beißendem Spott. Das liest sich originell, farbenfroh und sehr, sehr komisch.
Was für Gedanken Trauernden bei einer Beerdigung durch den Kopf gehen können, spielt der finnische Autor Miika Nousiainen nach Herzenslust auf den ersten Seiten seines neuen Romans durch. Am Grab seines viel zu früh verstorbenen Vaters muss sich der fast 40-jährige Sami eingestehen, dass "es nie zu spät ist, eine schlimme Kindheit gehabt zu haben".
Ein anderer Trauergast fragt sich, ob der "Leichenwagen eine vernünftige Federung hat, schließlich soll der Tote auf seinem letzten Weg nicht durchgeschüttelt werden". Als sich dann noch ein ruhebedürftiger Schulfreund von Sami selbst gern "eine Weile in den Sarg legen" möchte, denn "der Held des Tages hatte heute absolute Ruhe", ist die verrückt skurrile Anfangsszene perfekt.
Ein turbulentes Wohlfühlkarussell
Dass der Bestsellerautor Miika Nousiainen das Tragikomische bestens beherrscht, hat er in seinen bissig schönen Romanen mit so ausgefallenen Themen wie dem Wunsch, schwedisch zu sein ("Verrückt nach Schweden", dt. 2007) oder der skandinavischen Identität buchstäblich auf den Zahn zu fühlen ("Die Wurzel alles Guten", dt. 2016) aufs Schönste bewiesen.
In seinem neuen Roman "Quality Time" spielt er nun mit viel Situationskomik mit diesem längst überstrapazierten Begriff. Geschickt wirft er sein turbulentes Wohlfühlkarussell an, das seine fünf Großstadthelden aus Helsinki ordentlich durchschütteln wird. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt er ihre Geschichten vom glücklichen Scheitern, denn ja, das Glück verlässt sie ja eigentlich nie.
Auf der Suche nach dem Klammer-Glück
Im Zentrum steht der sympathisch linkische Sami, bei dem bereits die biologische Uhr tickt, und zwar so laut, dass er an nichts anderes mehr denken kann. Er sucht nicht nur eine Freundin, sondern immer gleich eine "feste Beziehung mit Nachwuchsperspektive" und tappt mit seiner "Klammer-Mentalität" zuverlässig in jedes Fettnäpfchen.
Auch seine Schwester Hanna kommt zu Wort, die sich ebenso sehnlichst Kinder wünscht und ihre "Excel-Kennnisse aus der Studienzeit in Fruchtbarkeitstabellen" anwendet. Ihre Mutter Asta verstärkt den Druck, weil sie nach dem Tod ihres Mannes nur noch Oma werden möchte. Auch seine Schulfreunde Markus und Nojonen kämpfen sich durchs Leben, der eine völlig erschöpft als alleinerziehender Vater, der andere als Pfleger seiner kranken Eltern.
Und als wäre das alles nicht genug, überblendet Nousiainen diese Lebensgeschichten mit der kitschigen Wohlfühlwelt einer scheinbar perfekten Lifestyle-Bloggerin. "Quality Time" heißt das Blog, das sämtliche Probleme der Welt mit Bäumeumarmen, Hirsekeksen und ätherischen Ölen zu lösen verspricht. Aber entspannt ist es eben nicht.
An Trugbildern festzuhalten lohnt nicht
"Quality Time" ist ein herrlich ironischer Blick auf das Wohlfühlland Finnland, in dem es den Menschen zwar immer besser geht, aber keiner zufrieden scheint. Natürlich lässt der geschulte Drehbuchautor Nousiainen keine Pointe aus, wie jene über eine typische Umarmung finnischer Männer: "eine Mischung aus hilflosem Geklopfe und peinliches Arm-um-die-Schulter-Legen".
Mag manche Erkenntnis auch einfach oder selbstverständlich sein, mit welchem Schwung und Witz sie Nousiainen erzählt, macht aus diesem Glückssucherbuch mehr als einen Feelgoodroman. "Quality Time" ist eine illustre Abrechnung mit dem, was von uns erwartet wird und dass es sich nicht lohnt, an Trugbildern festzuhalten. Kurzweilig, uneitel im Schreibstil und auf jeden Fall sehr komisch.