Mike Shinoda: "Post Traumatic"

Wenn aus Trauer Lieder werden

Mike Shinoda von Linkin Park
Mike Shinoda verarbeitete mit einem Album seine Trauer. © imago / ZUMA Press
Von Kerstin Poppendieck |
Nach dem Freitod ihres Frontmannes Chester Bennington im vergangenen Jahr stand die Rockband "Linkin Park" unter Schockstarre. Der zweite Sänger Mike Shinoda hat über diese Zeit des Trauerns ein Album geschrieben.
Kerstin Poppendieck: Im ersten Lied des Albums, da singen Sie: Ich will nicht das Ende wissen. Alles, was ich will ist ein Ort, um anzufangen. Wie nah sind Sie denn diesem Ort des Anfangens gekommen mit dem neuen Album?
Mike Shinoda: Dieses Album ist so etwas wie mein Tagebuch der vergangenen Monate. Als ich anfing es zu schreiben, war alles noch ganz frisch. Zu dem Zeitpunkt war das schreiben so etwas wie eine Musiktherapie oder Kunsttherapie. Ich habe damals viel gemacht und Musik komponiert, aber das waren noch keine Lieder. Mit der Zeit begann ich dann wieder in die Zukunft zu schauen. Ich glaube, das hört man auch auf dem Album, das ist so nach der Hälfte der Songs. Zu dem Zeitpunkt ging es mir langsam besser.
Poppendieck: Chester Bennington hat sich am 20. Juli im vergangenen Jahr das Leben genommen. In weniger als einem Jahr haben Sie dieses Album also geschrieben, produziert und veröffentlicht. Andere Bands brauchen dafür gerne mal mehrere Jahre und hatten auch kein so traumatisches Erlebnis dabei zu verarbeiten. Warum war es Ihnen denn so wichtig, dieses Album so schnell zu veröffentlichen?
Shinoda: Kurz nachdem es passiert ist, hab ich mir angesehen, wie andere Bands, denen etwas Ähnliches passiert ist, damit umgegangen sind. Die Foo Fighters zum Beispiel, AC/DC oder auch Run DMC. Es gibt eine ganze Menge Leute, die Ähnliches erlebt haben, aber alle haben anders reagiert.
AC/DC haben zum Beispiel sechs Monate nach dem Tod von Bon Scott ein neues Album veröffentlicht mit Brian Johnson als Sänger. So schnell war ich nicht, aber ich wollte den Fans so schnell wie möglich etwas geben, das ihnen sagt, was in meinem Leben passiert, wie's mir geht. Ich fand, sie fast in Echtzeit zu informieren, würde mir und ihnen helfen.

"Es war sehr meditativ"

Poppendieck: Auf diesem Album gibt es den Titel "Nichts hat mehr Sinn". Wie hat denn Musik tatsächlich Ihrem vergangenen Jahr Sinn gegeben, wie hat sie das geschafft?
Shinoda: Es war sehr meditativ. Jedes Mal, wenn ich eine Idee hatte, etwas erlebt oder einen Gedanken, hab ich so schnell wie möglich versucht, einen Text darüber zu schreiben und den dann auch gleich aufzunehmen, um es so authentisch wie möglich zu machen. Ein Beispiel. In dem Lied "Hold it together" beschreibe ich eine Kindergeburtstagsparty. Damals kamen ständig Leute zu mir und sagten Dinge wie: "Tut mir leid, was passiert ist. Gehts dir gut? Mein Beileid."
Es ist eine Sache, wenn man das sagt, wenn man sich zufällig über den Weg läuft, aber auf einer Kindergeburtstagsparty? Da könnte der Zeitpunkt wirklich besser sein! Deshalb war auch einer der Beweggründe für mich dieses Album zu machen, all meine Gedanken und Gefühle zu sammeln und dann durch meine Lieder jedem, der es wissen will, zu sagen, wie es mir geht.
Dass ich nicht mehr auf Stufe eins stehe und geschockt bin, sondern mich weiterentwickelt habe. Ich wollte meine Fans einladen, mit auf meiner Reise zu begleiten.
Poppendieck: Beim Schreiben der Texten mussten Sie sich natürlich zwangsläufig ständig mit sich selbst und Ihren Gefühlen auseinander setzen. Was haben Sie denn durch dieses Album, durch das Schreiben der Lieder über sich selbst gelernt?
Shinoda: Ich wollte meine Entwicklung nachvollziehbar machen, welche Fortschritte ich bei der Verarbeitung gemacht hatte und meinen Weg durch das vergangene Jahr zeigen - und das so ehrlich und wahrheitsgetreu wie nur möglich. Dabei musste ich lernen zu vertrauen. Das war ein bisschen so, als würde mir jemand eine Augenbinde umlegen und mich dann in irgendeine Richtung schubsen.
Normalerweise zerbreche ich mir den Kopf über jedes Wort, jeden Melodiebogen, den Rhythmus, die Produktion - einfach alles. Diesmal habe ich aber auf meine Intuition vertraut. Ich habe eher geschaut: transportiert dieser Klang meine Gefühle? Klingt es echt? Unterstreicht die Melodie den Text? Natürlich sollten die Lieder gut klingen, aber es kam diesmal mehr aus dem Bauch heraus, und es war gut zu sehen, dass ich das kann.
Poppendieck: Traurigkeit, vielleicht auch Wut, das sind so Gefühle, an die man denkt, wenn man einen nahestehenden Menschen verliert. Und das hört man auch Beides auf Ihrem Album "Post Traumatic". Aber was man auch hört, sind die Raps, für die Sie ja auch bei Linking Park verantwortlich waren. Aber eben auch viel Pop und eingängige Melodien. Wie haben Sie denn den Sound für Ihre Texte gefunden?

"Dieses Album ist der Beginn von etwas Neuem"

Shinoda: Tatsächlich haben schon eine ganze Menge Menschen den Stil und Klang meines Albums kommentiert. Aber ganz ehrlich, darüber hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht. Als ich mit dem Album fertig war und es dann an mein Management und Label geschickt habe, wollte sie von mir wissen, unter welches Musikgenre es bei iTunes und Spotify eingeordnet werden soll. Und ich hab' gesagt: keine Ahnung. Am Ende haben wir es unter "Alternative" einsortiert.
Ja, auf dem Album sind viele Genres gemixt. Und das ist für mich auch absolut sinnvoll, denn genauso höre ich Musik. Ich gehe eher nach Stimmungen als nach Genres. Die wahrscheinlich schrägste Entscheidung des ganzen Albums war, bei dem Lied "Nothing makes sense anymore" keinerlei Perkussionsinstrumente einzubauen. Normalerweise hätte ich bei so einem Song wenigstens ein Schlagzeug verwendet. Aber als ich mir das Lied angehört habe, dachte ich: das ist fertig. Ich sage immer: mein Leben zu der Zeit war hart, aber die Musik kam ganz leicht.
Poppendieck: Es gibt auf dem Album 16 Lieder. Eigentlich überdurchschnittlich viele. Wie schwer ist es Ihnen denn gefallen, die Arbeit an diesem Album zu beenden? War es vielleicht am Ende nicht so, dass man sich nochmal von Chester Bennington verabschieden musste und deswegen eben nicht zu einem Ende kommen wollte?
Shinoda: Nein, so denke ich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Dieses Album hat mir geholfen, von den Erlebnissen des vergangenen Jahres loszulassen. Alles Negative hab ich in den ersten sechs Liedern der Platte verarbeitet. Das war wie eine innere Reinigung, ich habe mich gut dabei gefühlt.
Normalerweise wenn ich Soloalben veröffentlicht habe oder Alben mit der Band, war es immer so, dass wir das damit eine abgeschlossene, beendete Geschichte präsentiert haben und dann im Anschluss auf Tour gingen. Diesmal ist es aber nicht so. Dieses Album ist der Beginn von etwas Neuem. Was dieses Neue ist, weiß ich noch nicht und dieses Album ist auch kein Abschluss. Es ist der erste Schritt auf meinem neuen Weg.
Poppendieck: Mike Shinoda, thank you very much and good luck for your journey.
Shinoda: Thank you.
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