Ein noch fast unbekanntes Flugobjekt
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Plastik schwimmt nicht nur im Wasser und verschmutzt Flüsse, Böden und Ozeane. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass es auch fliegen kann. Was wissen wir über Mikroplastik in der Luft? Drohen Folgen für die Gesundheit - und kann man sich schützen?
Plastik schwimmt nicht nur im Wasser und verschmutzt Flüsse, Böden und Ozeane. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass es auch fliegen kann. Was wissen wir über Mikroplastik in der Luft und die Folgen für unsere Gesundheit? Und was könnten wir tun, um vorzubeugen?
Die Nationalparks im Westen der USA wie der Grand Canyon oder die Rocky Mountains sind weltberühmt. Doch auch hier landet Plastikmüll – in fast unsichtbarer Form. Die Geologin Janice Brahney von der Utah State University fand zufällig bunt gefärbte Teilchen im Staub. Im Anschluss untersuchte sie das Regenwasser und die Böden.
"Wir waren überrascht, dass es überhaupt in unseren Proben vorkam", sagt sie. "Und als wir dann die Ablagerungsraten berechneten, fragten wir uns, wo haben wir uns verrechnet? Denn die Menge an Plastik war so hoch. Wir waren echt schockiert, denn wir hatten erwartet, dass wir weniger als ein Prozent Mikroplastik im Staub finden würden – aber es waren zwischen zwei und sechs Prozent."
In allen elf untersuchten Naturschutzgebieten fanden die Forschenden winzige Fasern und Partikel, die offenbar aus der Luft gefallen waren. Über 1000 Tonnen könnten so in den Nationalparks jedes Jahr zusammenkommen, was dem Gewicht von 123 Millionen Plastikflaschen entspräche.
Ähnlich flugfähig wie Saharastaub
Dabei scheint trockener Niederschlag besonders weite Strecken hinter sich zu legen. Ähnlich wie Saharastaub könnte Mikroplastik ganze Ozeane überwinden. Ein Team des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung fand die Teilchen sogar im Schnee von arktischen Eisschollen. Auch Proben aus Bremen und den Schweizer Alpen untermauern die These, dass neben Regen und Wind auch Schnee eine Rolle spielt.
Besonders hoch dürfte die Belastung über dicht besiedelten Gebieten sein. Die Umwelttoxikologin Stephanie Wright vom Imperial College London hat untersucht, was in der britischen Großstadt herunterfällt.
"Wir fanden sehr hohe Konzentrationen, also Ablagerungsraten – durchschnittlich über 700 Stück pro Quadratmeter pro Tag", erklärt sie. "Der größte Teil davon waren Fasern aus Zellulose – aber 17 Prozent waren aus Kunststoffen."
Diese Menge war deutlich höher als etwa in den Bergen der französischen Pyrenäen. Was die gesundheitlichen Folgen von Mikroplastik und Mikrofasern in der Atmosphäre sind, ist jedoch noch kaum erforscht.
Noch viel feinere Messungen nötig
Und es fehlen Daten – denn viele der bisherigen Untersuchungen messen nur Teilchen bis hinunter zu einer bestimmten Größe. Es brauche noch viel feinere Messungen, sagt Stephanie Wright.
"Mein Interesse war von Anfang an die menschliche Gesundheit und was das für die Atemwege bedeuten könnte", erzählt sie. "Dabei geht es vor allem um die Größe der Partikel. Mich interessieren besonders die ganz, ganz kleinen Teilchen. Denn das sind die, die in die Luftröhre oder sogar tiefer in die Lunge gelangen könnten."
Über die Auswirkungen von winzigen Plastikteilen in der Lunge lässt sich zurzeit nur spekulieren. Zwar wurden schon in den 1990er-Jahren Fasern aus Kunststoff und Zellulose im Gewebe menschlicher Lungen gefunden, weiterverfolgt wurde das aber nicht. Denkbar wäre, dass das Entzündungen auslöst.
Wie gefährdet ist die Lunge?
Die Teilchen müssten winzig sein, sieben bis zehn Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Ein Partikel der Größe PM10, also einem hundertstel Millimeter, kann eingeatmet und verschluckt werden, landet dann aber im Magen.
Tiefer in die Lunge eindringen können Partikel ab Größe PM2.5, die nochmal deutlich kleiner sind. Aber wie viele solcher feinen Plastikpartikel fliegen überhaupt durch die Luft? Das ist zurzeit noch unbekannt.
"Das, was wir mit bisherigen Methoden finden, ist im Vergleich zu anderen Partikeln relativ wenig", sagt Stephanie Wright. "Bei Luftverschmutzung geht es typischerweise um Konzentrationen von Millionen, Milliarden oder sogar Billionen von Partikeln pro Kubikmeter. Aber – da werden dann auch die sehr kleinen Nanopartikel mit einberechnet, die wir gerade beim Plastik noch nicht messen können."
Um die Luft umfassend und schnell zu untersuchen, fehle es noch an Instrumenten, sagt Wright. Hätte sie alles Geld der Welt, würde sie ein Gerät bauen, mit dem sich Proben zügig auf Mikro- und Nanoplastik analysieren ließen. Auch zur Frage, ob Plastik in der Luft zu Krankheiten bei Mensch und Tier beiträgt, fehlt es an Daten.
Feine Plastikteilchen in der Raumluft
Die Luft in Innenräumen ist ebenfalls kaum untersucht. Teppiche, Vorhänge, Sofas, Farben und synthetische Kleidung sorgen dafür, dass auch hier feine Plastikteilchen durch die Luft schweben. So könnten sie auch auf dem Teller landen.
Eine Studie stellte fest, dass mehr Mikroplastik aus der Raumluft auf den Teller rieseln kann, als in einer Portion Muscheln steckt. Um zu simulieren, ob ein Mensch die Teile einatmet, hat Chemiker Alvise Vianello von der Aalborg-Universität eine Atempuppe in drei Wohnungen gesetzt.
"Sie funktioniert ähnlich wie ein menschlicher Körper, aber natürlich stark vereinfacht", erklärt er. "Die Puppe kann atmen, weil sie an eine spezielle Pumpe angeschlossen ist, die das Ein- und Ausatmen simuliert, je nach Stoffwechselrate des menschlichen Körpers."
Die, wenn man so will, gute Nachricht, lautet: Das meiste, was die Puppe einatmete, war organischen Ursprungs, etwa Hautfetzen oder Haare. Doch immerhin 4 Prozent der Partikel, die die Puppe aufnahm, waren Mikroplastik.
"Ich sauge mehr Staub"
Die Forschenden fingen außerdem nur relativ große Teilchen ein, die für die Atemwege keine wirkliche Gefahr darstellen. Auch wenn die Menge und Folgen von noch kleinerem Plastik in der Raumluft unklar sind, sorgt Alvise Vianello schon mal vor.
"Ich persönlich versuche mein Apartment noch sauberer zu halten als vorher", sagt er. "Ich sauge mehr Staub und habe mir einen Staubsauger mit HEPA-Filter gekauft, der sehr kleine Partikel einfangen kann. Denn das Problem mit den alten Geräten ist, dass sie die kleinsten Teile wieder ausspucken, was die Sache nur noch schlimmer macht.
Ob Staubsaugen wirklich hilft, die Belastung zu senken, muss erst erforscht werden. Ökotoxikologin Stephanie Wright hält das nicht für abwegig – doch allgemeine Empfehlungen kann sie nur schwer auszusprechen.
"Ich könnte sagen, umgeben Sie sich mit Textilien aus Naturfasern", sagt sie. "Aber das Risiko, dass die dann Mikrofasern abgeben, ist genauso groß – und wir wissen nicht, ob die wirklich besser sind als synthetische Stoffe. Die fallen ja auch auseinander, und es könnten Farbstoffe oder Chemikalien drin sein."
Erste Studien deuten darauf hin, dass die Luft in Innenräumen stärker mit Mikroplastik belastet sein könnte als die draußen. Wie wäre es also damit, öfters zu lüften?
Wenn man lüftet, kommt der Schmutz von draußen
"Das ist nicht so einfach", sagt Stephanie Wright. "Man könnte sagen, machen Sie die Fenster auf, lüften Sie durch. Aber wenn man an einer Hauptstraße mit viel Verkehr lebt, muss man dann entscheiden – will ich die schmutzige Verkehrsluft reinlassen, um weniger Mikroplastik drinnen zu haben? Das ist also abhängig von der Situation um einen rum, in der man lebt."
Nach den Meeren, Flüssen, Seen und Böden wird klar: Mikroplastik fliegt auch durch die Luft. Aber die Forschung dazu, wie viel, wie winzig und wie harmlos oder schädlich das sein könnte, steht noch gänzlich am Anfang.