Vor der Krise ist nach der Krise
Nach der Milchkrise im vergangenen Sommer hatten EU und Bundesregierung diverse Hilfspakete geschnürt. Im Frühjahr 2017 ziehen die Verantwortlichen eine erste Bilanz dieser Nothilfen: Welche Markteffekte haben die Programme - und wie geht es den Milchbauern heute?
Irgendwie ist es immer wieder die gleiche Geschichte – schon seit ein paar Jahren gilt für die Milchbauern: Nach der Krise ist vor der Krise. Hans Foldenauer vom Bund Deutscher Milchviehhalter, BDM, bringt es auf den Punkt.
"Die Milchpreise haben sich zwar ein Stück weit erholt aber verharren jetzt auf Anfang 30 Cent. Damit ist es zwar möglich, die variablen Kosten zu decken – aber die Schulden abzubauen, die wir aufgebaut haben, oder gar Rücklagenbildung … nicht dran zu denken."
Nach dem Auslaufen der europäischen Milchquote im April 2015 hatte es weltweit ein Überangebot an Milch gegeben. In den Jahren 2015 und 2016 führte das zu einem massiven Preisverfall – die EU hatte daraufhin ein Hilfspaket mit einem Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro aufgelegt. 150 Millionen Euro davon waren für Landwirte gedacht, die freiwillig ihre Milchliefermenge reduzieren wollten. Dabei wollte auch Peter Habbena aus dem ostfriesischen Krummhörn mitmachen.
"Wir können bei uns ganz klar sagen – wir haben in drei Monaten 32.000 Liter Milch weniger angeliefert. Das kann man sich umrechnen: Wir liefern 15 Tage im Monat ab, das sind 45 Tage, und 32.000 Liter geteilt durch 45 Tage – dann weiß man, was wir pro Tag weniger abgeliefert haben. Es ist gar kein Thema, das ist spielerisch möglich."
Weniger Kühe heißt weniger Milch
Spielerisch – das klingt nach wenig Aufwand, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Klar, eine Möglichkeit ist, einfach Kühe zum Schlachter zu bringen – weniger Kühe heißt weniger Milch. Tatsächlich wurden in Niedersachsen 2016 etwa 22 Prozent mehr Milchkühe als 2015 geschlachtet, bundesweit waren es knapp sieben Prozent mehr. Auch Peter Habbena hat in den vergangenen Krisenjahren die Zahl seiner Milchkühe um etwa 60 Tiere auf aktuell gut 220 reduziert – bei dieser Zahl soll es aber auch bleiben, betont er.
"Wir haben einfach die Zeit vor dem Kalben … Kühe bleiben bei uns vor dem Kalben acht Wochen aus der Milchproduktion, das haben wir verlängert auf 12 Wochen. Und wir haben in der Kraftfutterzusammensetzung … wir hatten vorher ungefähr drei Viertel Kraftfutter und ein Viertel Getreide, das haben wir gedreht auf drei Viertel Getreide, ein Viertel Kraftfutter – auch um den Einkauf zu minimieren."
Insgesamt hatten sich mehr als 2.500 Landwirte in Niedersachsen für das EU-Programm zur Mengenreduzierung angemeldet – sie sollten pro nicht gemolkenem Liter Milch 14 Cent Entschädigung bekommen. In ganz Europa führte das Programm schnell zu einer geringeren Milchmenge – hinzu kamen noch andere Markteinflüsse, der Milchpreis stieg recht flott wieder leicht an.
Das wiederum führte dazu, dass nicht alle Milchbauern wirklich bei der Stange blieben. So manch einer entschied sich dann doch, angesichts der wieder steigenden Preise auch wieder mehr zu melken. Peter Habbena sieht das zwar durchaus kritisch – aber, wer wolle es dem einzelnen Bauern verdenken, meint er, trotz der absehbar negativen Folgen für den Milchpreis.
"Ok – das eine oder andere Mal wird man vielleicht sagen Gier frisst Gehirn – aber grundsätzlich meine ich: Alle die im Moment in der Milchproduktion tätig sind – die sind stehend k.o.! Letztes Jahr sind die ganzen Reserven aufgebraucht worden, im zweiten Jahr der Krise, wir gehen ins dritte Jahr der Krise – ganz klar, es kommt wieder mehr Milch sobald der Weideaustrieb kommt – der Preis fällt, es ist erschreckend!"
Weniger Milch im gleichen Zeitraum
Immerhin – am Ende haben in Niedersachsen rund 1700 Landwirte bei der Mengenreduzierung mit gemacht, sie bekommen von der EU insgesamt knapp acht Millionen Euro ausgezahlt. Von Oktober bis Dezember 2016 wurden so etwa 55 Millionen Kilogramm weniger Milch als im gleichen Zeitraum 2015 produziert. Das klingt nach viel, ist aber nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, betont Frank Feuerriegel von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen. So recht mag er nicht an eine durchschlagende Wirkung des EU-Hilfsprogramms für die Landwirte glauben.
"Das bezweifele ich – also ich glaube nicht, dass das Milchverringerungsprogramm jetzt eine marktstabilisierende Wirkung an sich ausgelöst hat. Ich glaube viel eher, dass die Milchviehhalter zu einem Zeitpunkt, wo der Milchpreis bei 21, 22 Cent im Sommer letzten Jahres lag, eben doch dann selbst auf den Markt reagiert haben. Im Juni konnte man schon spürbare Rückgänge an den Milchleistungen erkennen – das hat eigentlich zur Marktstabilisierung beigetragen."
Die Landwirte haben diese sogenannte Marktstabilisierung teuer bezahlt – viele mussten aufgeben. Stand November 2016 gab es in Niedersachsen laut Landesvereinigung der Milchwirtschaft knapp fünf Prozent weniger Milchbauern als Ende 2015. Und wer nicht aufgab – der musste schwere Einkommensverluste hinnehmen, trotz der EU-Hilfsprogramme. Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian Meyer rechnet vor:
"Allein in Niedersachsen haben unsere Milchbauern – wenn ich die Milchmenge nehme und sage, die haben 20 Cent zu wenig bekommen – dann bin ich bei fast zwei Milliarden Euro, in Deutschland dürften es vier bis fünf Milliarden Euro sein an Einkommensverlusten. Die Zahlen der Ökonomen zeigen, dass die Einkommen der Milchbauern um 50 bis 80 Prozent gesunken sind insgesamt – und das gleicht keine Prämie aus!"
Kein Ende der Milchkrise in Sicht
Deshalb könne auch noch keine Rede sein vom Ende der Milchkrise, denn …
"… es ist immer noch viel zu viel Milch auf dem Markt, weil es immer noch Förderungen gibt, Stallbauförderungen, es gibt Anreize dafür, als Milchbauer möglichst viel zu produzieren, weil mir meine Molkerei alles abnimmt – gerade in Irland, gerade in den Niederlanden, aber auch in Deutschland ist die Milchmenge eben deutlich gestiegen. In Niedersachsen haben wir in den letzten fünf Jahren 15 Prozent mehr Milch aber 18 Prozent weniger Betriebe – und das ist ja eigentlich gesellschaftlich nicht gewollt, weil das heißt, dass man dauerhaft auf einem niedrigen Preisniveau arbeitet."
Es müsse eine europaweite flexible Mengensteuerung geben, fordert Minister Meyer – und trifft damit auch den Kern der Forderungen von Landwirten wie Peter Habbena. Der war Ende vergangener Woche aus Ostfriesland nach Hannover zur Agrarministerkonferenz der Länder und des Bundes gefahren, um vor dem Tagungshotel der Minister gemeinsam mit Milchviehhaltern aus ganz Deutschland für ein dauerhaftes europäisches Krisenmanagement zu demonstrieren.
Der Erfolg des Mengenreduzierungsprogramms zeige, was möglich sei, meint Peter Habbena – jetzt müsse daraus ein System von Maßnahmen entstehen, mit dem im Krisenfall EU-weit die produzierte Milchmenge schnell und frühzeitig reguliert werden könne. Viele Bauern hätten ihre Bereitschaft daran mitzuwirken unter Beweis gestellt – jetzt seien die Politiker gefordert!
"Wir haben jetzt die Voraussetzungen geschaffen, der Politik zu zeigen: Wir können, wir wollen, und wir machen. Und jetzt muss die Politik das aufnehmen und für uns die Rahmenrichtlinien schaffen, dass wir das langfristig umsetzen können."