Milchbauernsterben hält an

Romuald Schaber im Gespräch mit Joachim Scholl · 16.11.2010
Jedes Jahr gibt es "ca. 5000 Milchbauern weniger", erklärt der Chef des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter Romuald Schaber. Für manche Milchbauern ist tatsächlich Selbstmord der letzte Ausweg aus der Misere des Preisverfalls, berichtet er in seinem Buch "Blutmilch".
Joachim Scholl: Vor zwei Jahren hat die Öffentlichkeit sie wahrgenommen: die deutschen Milchbauern. Als sie nämlich streikten – gegen den Verfall des Milchpreises, gegen die Agrarkonzerne, die den Milchpreis immer weiter nach unten drückten. Was diese Entwicklung für viele Bauern bedeutet, lässt sich jetzt in einem Buch nachlesen, das Romuald Schaber geschrieben hat, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter: "Blutmilch" lautet der Titel, und das ist keine Metapher. Hören wir uns eine Passage an:

"Milch ist weiß, frisch, warm, cremig, gesund – bis sie zum roten Tuch wird, bis sie wieder Blutzoll fordert, bis der Bauer tot im Stall hängt. Weil er nicht mehr aus noch ein gewusst hat. Weil er den neuen Stall gebaut hat, wie man es ihm geraten hat. Weil er Risikokapital aufgenommen hat, wie man es ihm geraten hat. Weil er auf Verbandsvertreter und Politiker gehört hat, die ihm geraten haben: Vergrößere dich!

Wenn er dann eine halbe Million oder eine Million in den neuen Stall investiert hat, dann sinkt der Milchpreis um 20, um 30 Prozent. Einfach so. Der Weltmarkt ist schuld, heißt es dann. Tut uns leid, sagt die Bank. Tut uns leid, sagen die Verbandsvertreter, aber zahlen musst du trotzdem. Dann sagt der Bauer: Mehr schaffen kann ich nicht. Meine Frau auch nicht, die Kinder auch nicht. Der Hof, seit Jahrzehnten oder seit Jahrhunderten in Familienbesitz, ist hin.

Tut mir leid, sagt der Bauer dann still und geht in den Stall. Bis ihn die Frau, die Kinder finden. Dann hat's wieder einen erwischt. Einen, der nichts dazu kann. Einen, von dem man es nicht gedacht hätte, der doch mutig war, der gebaut hat, der mithalten wollte. Wieder einer, dem die weiße, die gesunde, die frische Milch zur Blutmilch geworden ist."


Scholl: "Blutmilch", aus dem Buch von Romuald Schaber. Er ist jetzt im Studio, guten Tag, Herr Schaber!

Romuald Schaber: Guten Tag!

Scholl: Wie oft haben Sie denn persönlich erfahren müssen, dass wieder ein Bauer keinen Ausweg mehr wusste?

Schaber: Na ja, es gibt schon einige Fälle, die einem immer wieder bekannt werden, und jedes Mal geht es einem kalt den Rücken runter, und man fragt sich: Ja, ist es das Ganze wert? Und vor allem schießt durch den Kopf: So kann es einfach nicht weitergehen.

Scholl: Wie viel Milchbauern gibt es eigentlich noch derzeit in Deutschland oder wie viele haben in den letzten Jahren aufgegeben?

Schaber: Es haben etwas mehr aufgegeben als die Jahre vorher, aber die Entwicklung läuft seit Jahren, nahezu seit Jahrzehnten. Ich schätze, dass es zurzeit noch etwa 75.000 in Deutschland gibt, also jedes Jahr werden ca. 5000 Milchbauern weniger.

Scholl: Sie betreiben selbst einen Hof im Allgäu, Herr Schaber, wie geht's Ihrem Betrieb, wie geht's Ihnen?

Schaber: Nun, zurzeit ist die Situation so, dass es gerade so umgeht, wie man sagt. Man kann die Rechnungen bezahlen, aber wirklich keine großen Sprünge machen. Der Milchpreis ist ja jetzt etwas über 30 Cent, aber es reicht einfach nicht, um Rücklagen zu bilden, um eine ordentliche Zukunft zu haben.

Scholl: 40 Cent, das war die Forderung damals vor zwei Jahren. 40 Cent, damit lässt sich wirtschaften. Vor zwei Jahren war dieser große Streik der Milchbauern, hat sich die Situation denn gar nicht gebessert?

Schaber: Es ist ja damals nach dem Streik dann so gelaufen, dass die Politik zunächst Zusagen machte, die aber dann alle wieder gekippt worden sind. Letztendlich ist nichts Substanzielles beschlossen worden, ganz im Gegenteil: Im Herbst 2008 ist dann der sogenannte Health Check der EU-Kommission umgesetzt worden – mit Ausdehnungen der Menge, mit Aufstocken der Quoten –, und seitdem sind die Preise einfach noch mal weiter verfallen.

Und wie gesagt, das hat dann zu der dramatischen Situation im Jahre 2009 geführt, wo die Milchpreise auf 20 Cent, teilweise auf unter 20 Cent gefallen sind, und damit konnten ja nicht mal die laufenden Produktionskosten noch gedeckt werden. Das Fatale ist, dass Bauern nicht einfach aussteigen können – es ist investiert worden, man kann nicht einfach aufhören und morgen was anderes machen. Die Leute sind dazu verdammt, weiterzuproduzieren, und es hat sogar dazu geführt, dass noch mehr Milch auf den Markt gekommen ist, weil natürlich jeder versucht, mit etwas mehr Produktion noch mal Kosten aufzufangen.

Und jetzt hat sich die Situation leicht gebessert, aber die Löcher, die letztes Jahr gerissen worden sind, die sind noch lange nicht gestopft, und es zeigt einfach, dass wir eine vernünftige Steuerung des Angebots brauchen, um einfach kostendeckende Preise zu erreichen.

Scholl: Was ist mit den Agrarsubventionen, Herr Schaber, die schon seit Jahrzehnten immer wieder in der Diskussion sind für die Landwirtschaft – profitieren die Milchbauern nicht davon?

Schaber: Nicht wirklich, das ist ja das Verrückte. Im Grunde genommen sind diese Agrarsubventionen für die wirtschaftenden Betriebe durchlaufende Posten. Es läuft so: Das ganze Jahr über wird gewirtschaftet, gegen Jahresende wird das S, das Soll auf dem Konto immer größer, dann kommen am Jahresende die Subventionen, kommen die Prämien. Man kann das Ganze dann, wenn es gut geht, auf null stellen, und dann beginnt die Leidensgeschichte von vorne.

Also dieses Geld, was vom Staat kommt, bleibt gerade mal, was weiß ich, 14 Tage bei uns auf dem Konto, und dann ist es wieder futsch. Letztendlich ist es ein Heruntersubventionieren der Lebensmittel für die Allgemeinheit, nur das will eigentlich niemand hören, aber aus Sicht der Bauern ist es so.

Scholl: Die Situation der Milchbauern. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Romuald Schaber. Er ist Milchbauer und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter. Sie vertreten nicht nur deutsche Milchbauern, Herr Schaber, sondern als Präsident des European Milk Board auch die Rechte von über 100.000 Bauern in ganz Europa. Wenn man Ihr Buch nun liest, Herr Schaber, hat man den Eindruck, als ob die Bauern in Brüssel gänzlich auf verlorenem Posten stehen, ist das so?

Schaber: Nicht ganz. Also die letzten Monate hat sich dort natürlich auch einiges getan. Die europäischen Milchbauern waren ja im Jahr 2009 sehr, sehr aktiv, haben diese schlechte Situation benutzt, um wirklich Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben in Brüssel. Es gab unzählige Aktionen, Demonstrationen, Kundgebungen. Das hat dazu geführt, dass dann zu Anfang dieses Jahres, also im Februar 2010, ein neuer Agrarkommissar eingesetzt worden ist, nämlich Ciolos aus Rumänien. Seine Vorgängerin war die Frau Fischer Boel aus Dänemark.

Und wir haben schon das Gefühl, dass jetzt einfach ein anderes Denken auch auf der europäischen Ebene herrscht, nicht mehr so marktliberal, wie das die Frau Fischer Boel noch war. Und wir sind jetzt in einem Prozess, wo wir wirklich mit vielen gesellschaftlichen Gruppen versuchen, Einfluss auf die weiterführende Agrarpolitik zu nehmen. Und das macht uns Hoffnung, dass wir wirklich hier aus der Gesellschaft heraus Unterstützung bekommen haben, und vielleicht hat ja auch die Entwicklung auf dem Finanzmarkt ein kleines Umdenken im Agrarbereich ausgelöst und in die Wege geleitet.

Scholl: Wir sind ja alle daran gewöhnt, Herr Schaber, dass immer Milch, Butter, Joghurt ausreichend im Kühlschrank steht – wie wichtig ist denn Ihrer Meinung auch so der Bewusstseinswandel bei den Konsumenten? Stellen Sie da einen fest? Es gab ja auch viel Solidarität für die Bauern in den Streikwellen auch unter der Bevölkerung.

Schaber: Wir stellen durchaus eine Sensibilisierung in der Bevölkerung fest. Das sind also nicht nur Lippenbekenntnisse. Natürlich kann man Umfragen nicht immer eins zu eins dann auf das Verhalten der Leute übertragen, aber die Sensibilisierung ist da. Wir haben ja auch jetzt in einer ganzen Reihe von Ländern faire Milch eingeführt, unter anderem auch in Deutschland, und da zeigt sich, dass doch viele Leute diese Chance jetzt nutzen, faire Milch einkaufen, weil sie sicher sind, dass hier mehr Geld zu den Bauern kommt. Und insofern ist es in der Tat so, dass eine Sensibilisierung in der Bevölkerung da ist, ein Bewusstseinswandel da ist.

Nur die Leute müssen halt immer ganz konkrete Beispiele haben, wo sie dann sicher sind, dass dieses Geld, was sie mehr auf den Tisch legen, auch tatsächlich zu den Bauern kommt – das ist der springende Punkt.

Scholl: Ihr Buch ist neben der Problembeschreibung zur Situation der Milchbauern ja auch ein Plädoyer für den Bauernstand allgemein, für eine Kultur und die Tradition – was geht denn verloren, Herr Schaber, wenn es den Bauern in dieser Form nicht mehr gibt, also der Bauer, der alleine mit seiner Familie seinen Hof betreibt und diesen Hof dann an die Kinder weitergibt, sondern wenn es, ja, nur noch Agrarökonomen vom Großbetrieb gibt?

Schaber: Ja, das ist eine ganze Menge, was verloren geht, und ich habe immer das Gefühl, dass vielen Leuten gar nicht bewusst ist, was alles am Bauernstand hängt. Einfach die, ich sag mal, die soziale Kultur auf dem Land, das Engagement in Vereinen, in der freiwilligen Feuerwehr beispielsweise. Die Bauern sind ja oft die Einzigen, die während der Woche untertags noch vor Ort sind und dann einschreiten können, wenn dann Not am Mann ist. Bis hin zu Landschaftsveränderungen, die natürlich gar nicht ausbleiben können, wenn die Betriebe immer größer und noch größer werden. Also eine ganze Reihe von sozialen, von kulturellen Aspekten.

Arbeitsplätze fallen mir ein, die einfach direkt an den landwirtschaftlichen Betrieben hängen, im vor- und im nachgelagerten Gewerbe. Und wir haben ja nicht umsonst auch immer wieder Unterstützung von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten bekommen, die die Arbeit in den Molkereien beispielsweise vertreten, weil die natürlich genau auch die Zusammenhänge kennen. Wenn mehr Betriebe wegrationalisiert werden, dann stehen auf allen Ebenen einfach Arbeitsplätze zur Disposition, und ja, das hängt letztendlich auch an den Bauern.

Scholl: Aber ist es nicht auch ein Problem, Herr Schaber, dass der Nachwuchs ausbleibt oder vielmehr weggeht, weil viele Kinder von Bauern auch nicht mehr bereit sind, so diesen 24-Stunden-Job, 365 Tage im Jahr, ohne Urlaub zu machen?

Schaber: Na ja, das ist die Frage: Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei? Wir hören ja oft von Statistikern, dass sie sagen, ja, der Strukturwandel ist gerechtfertigt, weil der Nachwuchs fehlt. Nur so einfach ist es nicht. Der Nachwuchs fehlt deshalb, weil die Perspektiven fehlen. Es ist ja nicht so, dass die jungen Leute nicht wollen. Die sehen schon, dass dieser Beruf auch tolle Vorteile hat: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beispielsweise.

Aber da muss natürlich Geld verdient sein, da muss für das Angehängtsein – wie Sie richtig sagen, 365 Tage im Jahr –, muss finanziell entsprechend was rüberkommen, dann wird das in Kauf genommen. Aber es kann nicht sein, dass ich 365 Tage angehängt bin, auch nachts immer noch auf dem Sprungbrett, und dann weniger habe als der Nachbar, der acht Stunden zur Arbeit geht und ein, ich sag mal ein ordentliches Leben führen kann. Diese Diskrepanz führt dazu, dass dann viele Jungen sagen, nö, ohne mich.

Scholl: Romuald Schaber. Er ist Milchbauer im Allgäu und kämpft für seinen Berufsstand in Brüssel – auch mit diesem Buch, das jetzt im Pattloch Verlag erschienen ist: "Blutmilch: Wie die Bauern ums Überleben kämpfen". Alles Gute Ihnen, Herr Schaber!

Schaber: Danke schön!
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