Autorin: Grit Kienzlen
Es sprechen: Anja Jazeschann, Martin Schaller, die Autorin
Produktion: Anastasia Nürnberg
Redaktion: Winfried Sträter
Vom Scheitern in der Physik und in der Liebe
31:05 Minuten
Ihre Beziehung startete modern: Mileva und Albert Einstein studierten, rechneten und diskutierten gemeinsam - und heirateten trotz enormer Widerstände. Eine Lovestory. Bis Albert berühmt wurde.
"Du sorgst dafür, dass meine Kleider und Wäsche ordentlich in Stand gehalten werden, dass ich die drei Mahlzeiten im Zimmer ordnungsgemäß vorgesetzt bekomme, dass mein Schlafzimmer und Arbeitszimmer stets in guter Ordnung gehalten sind, insbesondere, dass der Schreibtisch mir allein zur Verfügung steht."
Das schreibt Albert Einstein am 18. Juli 1914 seiner Frau Mileva. Fritz Haber hat ihr die Notiz überbracht. Er ist der Leiter des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts, an dem Albert seit drei Monaten arbeitet. Bei Habers Familie sind Mileva und die beiden Söhne vorübergehend untergekommen.
"Du verpflichtest Dich ausdrücklich, im Verkehr mit mir folgende Punkte zu beachten: Du verzichtest auf alle persönlichen Beziehungen zu mir, soweit deren Aufrechterhaltung aus gesellschaftlichen Gründen nicht unbedingt geboten ist. Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen. Du hast eine an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich darum ersuche. Du hast mein Schlaf- und Arbeitszimmer sofort ohne Widerrede zu verlassen, wenn ich darum ersuche."
Unter diesen Bedingungen sei er bereit, die Ehe weiter zu führen, schreibt er. Aber wirklich nur wegen der Kinder. Ausgezogen ist er da schon und hat ihr dann ein paar Mal potentielle Nachmieter für die gemeinsame Wohnung vorbei geschickt. Da ist sie zu Habers geflüchtet.
Nächtelang hatten sie zusammen gerechnet
Zehn Tage später bricht der Erste Weltkrieg aus und Mileva packt ihre Sachen, um mit den Jungs nach Zürich zurückzukehren.
Es ist das Ende einer Beziehung, die für die damalige Zeit ungeheuer modern und gleichberechtigt gestartet ist: Sie hatten gemeinsam Physik studiert, tage- und nächtelang zusammen gerechnet und diskutiert, unter enormen Widerständen geheiratet und sind dann sozusagen im Hafen der Ehe – abgesoffen.
Als sich Albert Einstein und Mileva Maric 1896 am Polytechnicum in Zürich kennen lernen, ist er 17 und sie 20 Jahre alt. Er hat in der Schweiz das Abi - die Matura - nachgemacht, nachdem er in München das Gymnasium geschmissen hatte.
Sie kam aus der Wojwodina *, also Österreich-Ungarn damals, und ist in Novi Sad, in Sabac und in Zagreb zur Schule gegangen: Wobei das in Zagreb ein Jungengymnasium war. Mädchen gingen normalerweise nur zur Volksschule. Sie musste für das Gymnasium eine Aufnahmeprüfung machen und brauchte eine Sondergenehmigung vom Bildungsministerium für den Physikunterricht. Jetzt studierte sie also in Zürich Physik, wieder als einzige Frau ihres Jahrgangs und als erste Serbin überhaupt.
Der Eigenwillige und die Introvertierte
Es gibt ein Foto aus dem Jahr von ihr. Da sieht sie ziemlich keck aus, ein schmales Persönchen mit Puffärmeln und einer riesigen Schleife unterm Kinn.
"Man sieht das ja auch an seinen Briefen, dass er immer wieder stark betont hat, wie sehr er das 'Zigeunerleben', was sie miteinander führten, zu schätzen wusste. Und das gemeinsame Arbeiten und fast in wilder Ehe zusammen leben – und er war in mehrerlei Hinsicht da sehr gegen materielle Dinge", sagt Dennis Lehmkuhl, Professor für Geschichte und Philosophie der Physik an der Uni Bonn.
Einstein war ein Freigeist. Eigenwillig, witzig, wenig beeindruckt von Autoritäten und Konventionen. Unkonventionell war auch sie, dabei aber schüchtern und introvertiert.
"Also es ging ihm vor allem um geistige Dinge", sagt Dennis Lehmkuhl, "geistigen Austausch, auch mit ihr, und er hat sie lange Zeit auch als eine intellektuelle Partnerin wertgeschätzt, mit der er Sachen durchsprechen konnte. Er nennt sie manchmal so 'mein Gassenbub', so jemand mit dem man Pferde stehlen kann, nicht klassisch feminine Attribute, sondern eher ein 'Partner in Crime' sozusagen."
"Sie sind halt ein Hauptkerl"
"Und Sie Gute schreiben mir noch, dass Ihnen die Stopfkur fürs Examen ganz gut tut, das lass ich mir gefallen. Sie sind halt ein Hauptkerl und haben viel Lebenskraft und Gesundheit in Ihrem kleinen Leibchen. Ich hab den Band Helmholtz zurück getragen und studiere gegenwärtig noch einmal aufs Genaueste Hertz‘ Ausbreitung der elektrischen Kraft. Der Anlass dazu war, dass ich Helmholtz‘ Abhandlung über das Prinzip der kleinsten Wirkung in der Elektrodynamik nicht verstand. Es wird mir immer mehr zur Überzeugung, dass die Elektrodynamik bewegter Körper , wie sie sich gegenwärtig darstellt, nicht der Wirklichkeit entspricht, sondern sich einfacher wird darstellen lassen."
Das schreibt Albert ihr im August 1899, als sie bei ihren Eltern in Novi Sad auf die Zwischenprüfung lernt, während er mit seinen Eltern in den Schweizer Alpen urlaubt. Solche Passagen mit physikalischen Überlegungen gibt es oft in seinen Liebesbriefen. Niemand weiß, was sie darauf geantwortet hat. Einstein hat nur wenige Briefe von ihr aufbewahrt.
Obwohl Albert seiner Mutter schon mal ein Foto von Mileva gezeigt hat, siezen sich die zwei im Sommer 1899 noch.
"Lieber Herr Einstein, ihre Briefchen haben mich glücklich in unserer Einsiedelei gefunden; schönen Dank dafür und bitte recht bald wieder um eines", schreibt Mileva. "Ihre Briefe heimeln mich jedes Mal so schön an."
Sie ist Alberts "Dockerl-Affaire"
Mileva lernt in Novi Sad auf die Zwischenprüfung, die sie im Oktober nachholen muss, weil sie ein Zwischensemester in Heidelberg eingelegt hatte.
"Sie Arme", schreibt Albert. "Sie haben´s eigentlich viel härter als ich letztes Jahr, weil Sie so allein sind! Doch halt – ich sehe Sie schon lächeln über meine Trösterei und denken: Aus so etwas macht sich ein Dockerl wenig; das weiß allein, was es will und kann und hat´s schon öfters bewiesen."
Sein "Dockerl", sein "Püppchen" nennt er sie seit diesem Sommer und ihre Affäre, das ist die "Dockerl-Affaire". Albert sucht sich zum Wintersemester 1899 ein Zimmer ganz nah bei der Pension Engelbrecht, in der Mileva ihr Zimmer hat – "zum Schein" wie er selbst schreibt. Die Pension Engelbrecht in der Plattenstraße 50 ist so eine Art Frauen-WG, ein Haus voller Studentinnen, die alle hier sind, weil sie anderswo in Europa noch keine Abschlüsse bekommen. Auch in Deutschland nicht.
"Jetzt aber was Schöneres, ich meine natürlich unsere Haushaltung", schreibt Albert. "Da wird´s wieder nett werden. Ich bring ein paar prächtige Leckereien mit von Mama, die mir dazu versprach, uns auch direkt was in die Haushaltung zu schicken: direkt Plattenstraße 50. Holen Sie doch einstweilen Helmholtz‘ elektromagnetische Lichttheorie! Ich hab schon Hunger danach."
Pures Glück durch gemeinsames Lernen
"Gerade dieses gemeinsame Lernen, das wird immer wieder betont, ist damals wie heute ein integraler Bestandteil von einem Physikstudium", erklärt Dennis Lehmkuhl. "Also klar, man muss zu den Vorlesungen hingehen und man muss Laborversuche machen, aber ganz zentral sind wöchentliche Aufgaben, die man zu Hause durcharbeitet und meistens in Kleingruppen und da steigt man richtig ein, da lernt man so richtig zu verstehen, was die Physik bedeutet, man kriegt das in die Fingerspitzen, das scheinen Albert und Mileva gemeinsam sehr intensiv erlebt zu haben."
Es ist das pure Glück. Vor allem, wenn man sich überlegt, mit welchen Widerständen Mileva sonst zu kämpfen hat. Gelehrte Frauen gelten als irgendwie "entartet". Der Physiker Max Planck zum Beispiel hält es für "höchst verfehlt", Frauen zum akademischen Leben heranzuziehen. Amazonen seien auch auf geistigem Gebiet "naturwidrig."
Noch dazu hat Mileva einen körperlichen Makel, eine Fehlbildung der Hüfte. Sie muss einen dicken orthopädischen Schuh tragen und hinkt. Sie hat sicher nicht damit gerechnet, in Zürich einen Mann zu finden. Aber da ist Einstein, der gerade ihre Unabhängigkeit liebt und ihren klugen Kopf.
"Er thematisiert sie nicht mal als die große Ausnahme", sagt Dennis Lehmkuhl, "so nach dem Motto: 'Obwohl du eine Frau bist'. Das kommt gar nicht an. Sondern er scheint einfach sich darüber zu freuen, jemanden zu haben, mit dem er sich auf diese Art und Weise austauschen kann."
Mileva ist aber nicht nur glücklich. Sie hat auch Angst. Ihrer Freundin Helene, die sie in der Pension Engelbrecht kennen gelernt hat, schreibt sie im März 1900: "Sie haben mich ganz richtig beurteilt in meinem Leide, hie und da empfinde ich wirklich eine gelinde Furcht vor allzu großem Glück, wie wenn ich es nicht ertragen könnte, und schnappe dann nach jeder Kleinigkeit, durch die ich mir jede Möglichkeit der Erfüllung meiner schönsten Wünsche auszureden suche."
Mileva, das wird sich bald zeigen, ist eine Meisterin der selbsterfüllenden Prophezeiung.
Aber jetzt, im Frühling 1900, plant sie ihr Diplom: "H. Prof. Weber hat meinen Vorschlag zur Diplomarbeit angenommen und war sogar sehr zufrieden damit. Ich freue mich sehr auf die Untersuchungen, die ich da zu machen habe. Auch Einstein hat sich ein sehr interessantes Thema gewählt."
Er schafft das Diplom, sie fällt durch
Mileva und Albert bekommen gute, aber keine Spitzen-Noten in ihren Diplomarbeiten. Die Abschluss-Prüfungen laufen für beide ganz ok, bis auf Funktionentheorie, also Mathe. Damit ruiniert sich Mileva den Durchschnitt. Sie fällt durch und will das Examen im nächsten Jahr nachholen. Albert kommt mit der Funktionentheorie besser klar und schafft das Diplom, allerdings auch nur mit mäßigem Durchschnitt.
Die beiden trennen sich für die Sommerferien und fahren mit gemischten Gefühlen zu ihren Familien, auch Albert. Bei Einsteins im Schweizer Kurort Melchtal wird die "Dockerl-Affaire" der Aufreger des Sommers werden. Albert weiß, wie bieder und borniert seine Mutter sein kann und dass sie von der jungen Frau aus Serbien gar nichts hält...
"Wir kommen heim, ich auf Mamas Zimmer", schreibt er. "Zuerst muss ich ihr vom Examen erzählen, dann frägt sie mich so recht harmlos: 'Nun, und was wird denn aus Dockerl?' 'Meine Frau', sag ich ebenso harmlos, doch auf eine gehörige Szene gefasst. Die kam auch gleich. Mama warf sich auf ihr Bett, verbarg den Kopf in den Kissen und weinte wie ein Kind. Als sie sich von dem ersten Schreck erholt hatte, ging sie sofort zu einer verzweifelten Offensive über: 'Du vermöbelst dir deine Zukunft und versperrst dir deinen Lebensweg', 'die kann ja in gar keine anständige Familie', 'wenn sie ein Kind bekommt, dann hast du die Bescherung'. Bei diesem letzten Ausbruch, dem noch mehrere vorangegangen waren, brach mir endlich die Geduld."
Das schreibt er Mileva brühwarm nach Novi Sad. Die pathetische Szene und seine Rolle als Rebell darin – das macht ihm offensichtlich Spaß.
Aber es ist ihm doch nicht egal, was seine Eltern denken: "Ich wies den Verdacht, dass wir unsittlich zusammen gelebt hätten, mit aller Energie zurück, schimpfte tüchtig und wollte eben das Zimmer verlassen, als Mamas Freundin, Frau Bär, ins Zimmer trat. … Da sprachen wir sofort mit größtem Eifer vom Wetter, von neuen Kurgästen, ungezogenen Kindern etc. Nun ging`s zum Essen. Dann musizierten wir etwas. Beim Gute Nacht unter vier Augen ging wieder dieselbe Historie los, doch piu piano… Die Bekehrungsversuche beruhten in Reden wie 'sie ist ein Buch wie du – du solltest aber eine Frau haben', 'Bis du 30 bist, ist sie eine alte Hex'."
Albert fehlt der Segen der Familie
"Mileva kam ja nicht in einem klassischen Sinn aus einer 'guten' Familie und die Einsteins waren ja schon eher bürgerlich drauf", erklärt Einsteinforscher Dennis Lehmkuhl die Ablehnung: "Also eine assimilierte jüdische Familie, die, bis es bergab ging, ja doch sehr klar der eher wohlhabenden Mittelklasse angehörten."
Milevas Familie geht es eigentlich ganz gut. Sonst hätten sie der Tochter kaum ein Studium finanzieren können. Die Marics besitzen ein Landgut bei Novi Sad, der Vater ist Justizangestellter und spricht gut Deutsch. Aber sie sind halt keine Bildungsbürger wie die Einsteins, bei denen der Urlaub im Schweizer Kurort zum guten Ton gehört.
"Ich fühle mich nicht wohl in dieser Faulenzerei unter diesen verweichlichten Menschen", schreibt Einstein aus Melchtal. "Besonderes wenn ich die aufgeputzten faulen Frauen sehe, denen immer was nicht recht ist, dann denke ich mit Stolz: Johonnesl, dein Doxl ist doch eine andere Maid."
Aber Albert fehlt zum Heiraten nicht nur der Segen der Familie, sondern auch ein Job. Er wartet täglich auf Post wegen einer der in Zürich frei werdenden Assistentenstellen. Es wird September. Mileva ist zurück in Zürich und macht sich an ihre Doktorarbeit, obwohl sie die Diplomprüfung erst schaffen muss, bevor sei promovieren kann.
Albert schreibt ihr: "Ich freu mich auch sehr auf unsere neuen Arbeiten. Du musst jetzt Deine Untersuchung fortsetzen – wie stolz werd ich sein, wenn ich gar vielleicht ein kleines Dokterlin zum Schatz hab und selbst noch ein ganz gewöhnlicher Mensch bin."
Eine Stellenabsage nach der anderen
Albert hat offensichtlich kein Problem damit, dass seine Geliebte vor ihm promovieren könnte, dabei kassiert er in dieser Zeit selbst eine Stellenabsage nach der anderen. Im März 1901 von Eduard Rieke in Göttingen.
"Riekes Absage hat mich nicht überrascht",schreibt er. "Auch bin ich ganz fest überzeugt, dass Weber Schuld ist. Ich bin überzeugt, dass es unter diesen Umständen keinen Sinn hätte, nochmals an Professoren zu schreiben, da es sicher ist, dass sie sich alle bei Weber erkundigen würden, wenn es weit genug wäre und dieser wieder eine schlechte Auskunft gäbe. Ich werde mich an meine früheren Lehrer in Aarau und München wenden, hauptsächlich aber einen Versuch machen, in Italien eine Assistentenstelle zu bekommen. Erstens fällt nämlich hier eine Hauptschwierigkeit weg, nämlich der Antisemitismus, der mir in deutschen Ländern ebenso unangenehm als hinderlich wäre, zweitens habe ich hier ziemlich Protektion."
Über seinen Freund Michele Besso knüpft er Kontakt zu den italienischen Unis. "Bald werde ich alle Physiker von der Nordsee bis an Italiens Südspitze mit meinen Offerten beehrt haben", schreibt Einstein.
Was ist das Problem?
"Also erst mal war es klar", erklärt Dennis Lehmkuhl, "dass Einstein während seines Studiums sich nicht besonders angestrengt hat, sich bei seinen Professoren beliebt zu machen und deshalb auch niemanden hatte, der für ihn in die Bresche gesprungen ist, um ihm zu helfen, eine Assistentenstelle an einer Uni zu finden und selbst diejenigen, die er dann aus Eigeninitiative anschreibt, fragen natürlich bei seinen Professoren nach: Was hältst du denn von dem Typen, der mir hier geschrieben hat. Und da gehört natürlich auch noch dazu dass, wenn er dann da war und sich mit den Professoren auseinandergesetzt hat: Er wird wahrscheinlich viele Fragen gestellt haben, was auch in einem bestimmten Rahmen respektlos scheinen kann – vielleicht war es das sogar auch."
Mileva bringt das Problem ihrer Freundin Helene gegenüber auf den Punkt: "Du weißt, mein Schatz hat ein böses Maul und ist obendrein ein Jude. Aus allem siehst Du, dass wir eine trauriges Pärchen sind. Und doch, wenn wir zusammen sind, sind wir so lustig wie kaum jemand."
Liebe zur Physik und Liebe zueinander
Ja. Dumm. Aber die zwei kämpfen weiter. Und sie arbeiten weiter zusammen - machen sich über alle möglichen Gebiete der Physik ihre Gedanken: Mal über Thermodynamik, mal über die Elektrodynamik bewegter Körper – was später die Spezielle Relativitätstheorie wird, oder auch über physikalische Chemie.
"Du wirst Freude daran haben, wenn wir's zusammen durchnehmen", schreibt Albert. "Auch die benützten physikalischen Untersuchungsmethoden sind sehr interessant. Das allerprachtvollste ist die Ionentheorie, welche sich in den verschiedensten Gebieten glänzend bewährt hat. Gelt, Dir gefällt das philiströse Leben auch nicht mehr recht! Wer halt die Freiheit genossen hat, der kann die Fesseln nicht mehr ertragen. Wie glücklich bin ich, dass ich in Dir eine ebenbürtige Kreatur gefunden habe, die gleich kräftig und selbständig ist wie ich selbst! Außer mit Dir bin ich mit allen allein."
Die Liebe zur Physik und die Liebe zueinander gehen bei den beiden Hand in Hand.
"Wie glücklich und stolz werde ich sein", schreibt Albert, "wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben! Wenn ich so andere Leute sehe, da kommt mir's so recht, was an Dir ist!"
Es ist nicht klar, worin Milevas Beitrag zu diesen frühen Arbeiten genau bestanden hat, Ihre Briefe an Albert sind ja fast alle verloren, und in den Briefen an Helene verweist sie eher auf Albert. Nirgendwo äußert sie eigene physikalische Ideen.
Gleichzeitig ist sie über den Inhalt seiner Arbeiten aber voll im Bilde: "Albert hat eine physikalische Abhandlung geschrieben, die nächstens wahrscheinlich in den physikalischen Annalen veröffentlicht wird. Kannst Dir vorstellen, wie stolz ich auf mein Schatzerl bin. Es ist nämlich keine alltägliche Arbeit, sondern sehr bedeutend, aus der Theorie der Flüssigkeiten."
Und dann, Anfang Mai 1901, treffen sich Mileva und Albert für ein verlängertes Wochenende in Como in der Schweiz. Albert ist zuvor ein paar Wochen in Mailand gewesen.
"Am 5. Mai ging ich nach Como, wo mich jemand mit offenen Armen und klopfendem Herzen erwartete", schreibt Mileva. "Ich muss Dir ein kleines bisschen über unsere Reise erzählen, denn sie war so schön, dass ich dabei all meine Trübsal wieder vergessen habe. Wir mieteten uns einen ganz kleinen Schlitten, wie sie dort in Gebrauch sind, wo gerade zwei Menschen, die sich gern haben, Platz haben, und wo hinten auf einem Brettl der Kutscher steht und die ganze Zeit schwatzt und einen 'Signora' nennt. … Wie glücklich war ich, wieder meinen Liebsten ein bisschen zu haben, besonders weil ich sah, dass er ebenso glücklich ist!"
Schwanger - aber nicht verheiratet
In der zweiten Maihälfte 1901 stellt Mileva fest, dass sie schwanger ist.
Sie ist jetzt 25, hat studiert, aber den Abschluss noch nicht geschafft. Sie ist schwanger und nicht verheiratet. Der Vater ist ein schlauer Typ, der aber keine Stelle findet, weil er mit seinen 22 Jahren zu respektlos gegenüber den Herren Professoren ist. Gleichzeitig intrigiert die Schwiegermutter in spe gegen sie. Wenn Albert sie sitzen lässt, kann sie ihren Eltern überhaupt nicht mehr unter die Augen treten. Dann ist sie erledigt.
"Ich verlasse Dich ja nicht und werde schon alles zum guten Ende bringen", schreibt Albert. "Man muss halt eben nur Geduld haben! Wirst schon sehen, dass man nicht schlecht ruht im meinen Armen, wenn´s auch ein bisserl dumm anfängt. Wie geht´s Dir denn, Liebe? … Meinst, wie schön es sein wird, wenn wir wieder ganz ungestört zusammen schaffen können und uns niemand mehr was dreinreden darf… Wie geht‘s denn unserem Söhnchen und deiner Doktorarbeit?"
Der Doktorarbeit geht's nicht so doll. Mit ihrem Doktorvater, Professor Weber, hat Mileva dauernd Streit. Und in der Prüfung zum Fachlehrerdiplom fällt sie im Juli 1901 zum zweiten Mal durch. Da ist sie im dritten Monat schwanger und womöglich nicht ganz bei der Sache.
"Meine Studien habe ich nun abgeschlossen", schreibt sie an Helene, "obwohl es mir, durch Webers Fürsorge, noch nicht gelang, den Doctor zu erlangen. Ich habe durch ihn sehr viel ausgestanden, aber jetzt gehe ich nimmer zu ihm."
Nach der missratenen Prüfung fährt Mileva heim nach Novi Sad, um ihren Eltern die Schwangerschaft beizubringen. Albert kommt nicht mit, obwohl sie ihn darum bittet. Stattdessen schickt Alberts Mutter, Pauline Einstein, einen Brief an Milevas Eltern. :
"In dem sie mich derart beschimpfen, dass es eine Schande war", schreibt Mileva. "Zu was für einem Konflikt es dadurch kam, wirst Du Dir vielleicht denken können."
Die Tochter "Lieserl" lernt er nie kennen
Immerhin hält Albert weiter zu ihr. Kurz bevor das "Lieserl" im Januar 1902 zur Welt kommt, hat er durch die Vermittlung eines Freundes doch eine feste Stelle in Aussicht - am Patentamt in Bern. Es ist keine Assistentenstelle an einer Uni. Aber – es ist eine feste Stelle.
"Mir schwindelt vor Freude, wenn ich daran denke", schreibt er. "Es freut mich noch mehr für Dich als für mich. Wir wären die glücklichsten Menschen auf Erden zusammen, das ist sicher. Wir bleiben Student und Studentin, solange wir leben und kümmern uns keinen Dreck um die Welt. Das einzige, was noch zu lösen übrig wäre, das wär die Frage, wie wir unser Lieserl zu uns nehmen könnten; ich möchte nicht, dass wir es aus der Hand geben müssen."
Albert Einstein tritt den Posten am Berner Patentamt im Juni 1902 an. Aber das Lieserl wird er nie kennen lernen. Mileva lässt ihr Kind bei den Großeltern in Novi Sad zurück, um Albert im Januar 1903 in Bern zu heiraten.
Jetzt sind sie da, wo sie hinwollten – ungefähr jedenfalls. Ihre Tochter fehlt natürlich. Mileva fährt im Spätsommer 1903 noch einmal zu ihr nach Novi Sad. Von dort schreibt sie Albert wohl, dass Lieserl krank ist, denn er antwortet: "Die Geschichte mit dem Lieserl tut mir sehr leid. Es bleibt so leicht vom Scharlach etwas zurück. Wenn nur alles gut vorbei geht."
Danach wird das Lieserl nie wieder in einem Brief oder Dokument erwähnt. Wahrscheinlich stirbt sie in diesem Sommer mit eineinhalb Jahren. Mehr als 20 Jahre später wird Mileva einmal an Helene schreiben, dass sie sich immer eine Tochter gewünscht hat.
Weil Albert den ganzen Tag im Patentamt ist, hat Mileva jetzt sehr viel Zeit. In Bern kennt sie keinen. Außerdem ist sie Ausländerin und sehr viel gebildeter als fast alle Berner Hausfrauen. Sie findet keinen Anschluss, gilt als schweigsam und ernst.
"Ich bin, wenn möglich, noch mehr an mein Schätzchen gewachsen als ich es in den Züricher Zeiten schon war", schreibt sie. "Er ist mein einziger Verkehr und Gesellschaft, und ich bin am glücklichsten, wenn er neben mir ist und bin oft böse auf das langweilige Amt, das ihn so viel in Anspruch nimmt."
Der erste Sohn und fünf bahnbrechende Arbeiten
Das schreibt sie schon drei Monate nach der Hochzeit an Helene. Nach dem Amt sitzen die beiden an seinen wissenschaftlichen Überlegungen. Die neue Schwangerschaft mit dem ersten Sohn der beiden kommt wieder eher ungeplant. Hans Albert wird im Mai 1904 geboren.
Briefe aus dieser Zeit sind nur wenige erhalten, aber es entstehen in dem Haushalt in der Berner Kramgasse bis Ende 1905 fünf bahnbrechende wissenschaftliche Arbeiten auf ganz unterschiedlichen Gebieten der Physik.
Arbeit Nummer eins über den Photoeffekt legt die Grundlagen für die Quantenphysik. Arbeit Nummer zwei erklärt die Brownsche Molekularbewegung in Flüssigkeiten. Arbeit Nummer drei über die Elektrodynamik bewegter Körper ist der Kern der Speziellen Relativitätstheorie.
In einem Nachtrag dazu, Arbeit Nummer vier, taucht die berühmte Formel "E = mc²" zum ersten Mal auf. Arbeit Nummer fünf ist Alberts Dissertation, die im Zusammenhang mit der Arbeit über die Brownsche Molekularbewegung steht.
Das Jahr 1905 geht als "Annus mirabilis", also als Wunderjahr, in die Wissenschaftsgeschichte ein. Albert Einstein ist da gerade 26 Jahre alt.
Milevas Beitrag bleibt unbekannt
Wie groß Milevas Beitrag zu seinen Veröffentlichungen war und was sie genau gemacht hat, wenn die beiden zusammen gearbeitet haben, das wird vermutlich nie mehr ans Licht kommen.
"Die spezielle Relativitätstheorie ist nicht auf einmal entstanden in seinem Wunderjahr 1905", erläutert Dennis Lehmkuhl, "sondern geht zurück schon auf die Studienzeit und deswegen auch auf die Zeit, wo er besonders viel mit Mileva zusammengearbeitet hat, wo er sich mit Elektrodynamik einerseits, mit klassischer Mechanik andererseits auseinandergesetzt hat und wo diese Spannungsfelder zwischen diesen beiden Theorien für ihn immer klarer wurden. Und das ist jetzt natürlich die Frage, wie stark sie daran beteiligt war und sicher können wir es nicht wissen. Also wir können nicht wissen: Hat er sie als eine Art 'Sounding Bord' benutzt, um Dinge sprachlich besser auszuarbeiten und Nachfragen zu bekommen, oder hat sie sozusagen dazu beigetragen, indem sie selbst eigene Ideen reingebracht hat? Und tatsächlich würde ich sagen, ist es gar nicht so leicht zu unterscheiden zwischen diesen beiden Situationen."
Er macht Karriere, sie den Haushalt
Jedenfalls wird Albert Einstein jetzt in Fachkreisen bekannt. Er wechselt Briefe mit den bekanntesten Physikern seiner Zeit. Und im gleichen Maß, wie er zu Anerkennung kommt, geht es mit der Liebe der beiden bergab. Mileva macht den Haushalt und kümmert sich um den kleinen Sohn. Sie klammert, ist einsam und eifersüchtig. Für den Austausch über wissenschaftliche Fragen braucht er sie immer weniger. Im Herbst 1909 wird Albert als Professor nach Zürich berufen.
Ihrer Freundin Helene schüttet Mileva ihr Herz aus: "Mitte Oktober, am 14. verlassen wir Bern, wo ich nun 7 Jahre, so viele schöne, und ich muss schon sagen, auch bittere und schwere Tage verlebt habe. … Mein Mann ist gegenwärtig in Salzburg auf der Versammlung Deutscher Naturforscher, wo er einen Vortrag halten soll. Er zählt jetzt zu den ersten Physikern deutscher Zunge und es wird ihm furchtbar viel der Hof gemacht. Ich bin sehr glücklich über seine Erfolge, denn er hat sie wirklich verdient, nur hoffe und wünsche ich, es möge der Ruhm keinen nachteiligen Einfluss auf seinen menschlichen Teil ausüben."
Was Mileva wahrscheinlich nicht weiß: Als sie im Sommer 1909 mit dem sechsjährigen Hans-Albert in Novi Sad war, hat Albert eine Affäre mit seiner Jugendliebe Marie Winteler begonnen.
Im ersten Züricher Winter schreibt er an Marie: "Ich denke in innigster Liebe an Dich in jeder freien Minute und bin so unglücklich wie nur ein Mensch sein kann. Verfehlte Liebe, verfehltes Leben, so klingt es mir immer nach."
Mileva ist da mit dem zweiten Sohn, mit Eduard, schwanger. Sie glaubt, dass sie vor allem hinter der Wissenschaft zurückstehen muss.
"Du siehst", schreibt sie an Helene, "bei solcher Berühmtheit bleibt nicht gar viel Zeit für die Frau übrig. Ich las einen gewissen Schelm zwischen den Zeilen, als Du schriebst, ich müsse eifersüchtig sein auf die Wissenschaft, aber was kann man machen, dem einen die Perle, dem anderen die Truhe."
Für sie die Truhe, für ihn die Perle
Das ist ein Zitat aus einem Gedicht von Heinrich Heine, den sie oft lesen, und die Truhe, das ist in dem Gedicht ein Sarg. Den hat sie abbekommen. Albert die Perle, meint sie.
"Ich hatte so grosse Freude an Deinem ersten Brief", schreibt sie. "Es that mir so wohl zu sehen, was für eine gute Meinung Du von mir hast und dass Du mich lieb hast. Ich frage mich auch oft, ob ich dieser Meinung auch in Wirklichkeit einigermassen entspreche, oder ob ich vielmehr ein Mensch bin, der viel und leidenschaftlich empfindet, viel kämpft und meinetwegen dadurch auch leidet und aus Stolz oder vielleicht Scheu vor fremden Blicken eine siegesbewusste und überlegene Miene aufsetzt, bis er selber glaubt, sie sei echt."
1911 muss Mileva mit Albert nach Prag umziehen, einer besseren Professur wegen. Wieder Neuanfang, Sohn Eduard ist gerade ein Jahr alt. Albert hat die Entscheidung allein gefällt, auch die Entscheidung, 1913 nach Zürich zurückzukehren und auch die, im Frühling 1914 einem Ruf nach Berlin zu folgen, wo im Übrigen schon seine neue Liebe Elsa auf ihn wartet.
Und dort, in Berlin, sitzt Mileva dann wenige Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs am Küchentisch der Habers und liest Alberts Bedingungen für seine Rückkehr in die gemeinsame Wohnung:
"Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen. Du hast eine an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich darum ersuche. Du hast mein Schlaf- und Arbeitszimmer sofort ohne Widerrede zu verlassen, wenn ich darum ersuche."
Nobelpreisgeld im Scheidungsvertrag abgetreten
Mileva kehrt mit den Jungs zurück nach Zürich. In die Scheidung willigt sie erst 1918 ein, als der Krieg zu Ende geht. Als Teil der Scheidungsvereinbarung gesteht ihr Albert den Nobelpreis zu, also das Preisgeld, das er allerdings noch nicht hat:
"Der Nobelpreis würde Dir im Falle der Scheidung und für den Fall, dass er mir zuteil wird, a priori vollständig abgetreten. Die freie Verfügung über die Zinsen bliebe Dir überlassen. Das Kapital würde in der Schweiz deponiert und für die Kinder in Sicherheit gestellt."
Das Preisgeld entspricht 49 Jahresgehältern von Albert. Im Frühjahr 1919 wird die Scheidung rechtskräftig, nur wenige Monate, bevor zwei Physiker bei einer totalen Sonnenfinsternis beweisen können, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie stimmt. In diesem Jahr wird er weltberühmt und erhält 1922 rückwirkend für 1921 den Nobelpreis.
Das Geld wird nicht, wie im Scheidungsvertrag vereinbart, in der Schweiz angelegt, sondern in den USA. Mileva bekommt die Zinsen und kann außerdem ein Mietshaus in Zürich kaufen.
Im Mai 1924 schreibt Albert ihr: "Ich will einmal in absehbarer Zeit nach Zürich kommen, und wir wollen alles Vergangene, soweit es schlecht ist, vergessen sein lassen. Du musst auch nicht immer so bärmeln, sondern Dich über das Schöne freuen, das Dir das Leben gebracht hat, z. B. die prächtigen Kinder, das Haus, und dass Du — nicht mehr mit mir verheiratet bist."
* Wir haben eine geografische Angabe geändert.