Wer die Anfänge des Netzes prägte
Woher kommt das Internet eigentlich? War es eine militärische Entwicklung? Oder ist es eher die Geburt einer technik-euphorischen Gegenkultur? Die Frage lautet also: "Hippie meets Techi" oder doch rational-kühles Militärkalkül?
Leonard Kleinrock: "Und diese Maschine da drüben ist das erste Internet-Gerät der Welt."
Einer der vielen Väter des Internets ist der Informatiker Leonard Kleinrock.
"Wenn ich hier öffne, vorsichtig, weil dieses Scharnier schwächelt - sieht man wie unvorstellbar hässlich das Gerät ist. Es ist eine wunderbar hässliche Maschine."
Zusammen mit anderen Wissenschaftlern seiner Zeit, wie dem Informatiker Paul Baran, entwickelte er in den 60er-Jahren die Idee, Informationen in kleinen Bündeln, in Daten-Paketen, zu verschicken. Mit dieser dezentral paketvermittelten Datenübertragung, so Baran, könne das Kommunikationssystem des US-Militärs sogar einen sowjetischen Atomschlag standhalten. Bis heute ist es in der medialen Öffentlichkeit weit verbreitet, das Internet als ein militärisches System darzustellen, sagt der Schriftsteller und Kommunikationswissenschaftler Günter Hack.
"Die Erzählung, dass das Internet geschaffen wurde, um einem Atom-Schlag zu widerstehen, dass man eben verschiedene Knotenpunkte hat und keine zentral gesteuerte Infrastruktur, das kommt sehr früh."
Günter Hack hält das für eine Legende, die der Science Fiction Autor Bruce Sterling in einem Aufsatz Anfang der 90er-Jahre in die Welt gesetzt habe.
"Man darf nicht vergessen, das Militärische, das ist ja auch immer eine gute Komponente in der Geschichte. Da geht's dann eher darum, dem ganzen so eine Funkyness, so eine militärische Attraktivität zu verleihen. Und da muss man auch sehen, Bruce Sterling ist Schriftsteller und Cyberpunk-Autor. Da ging's halt darum, eine Geschichte zu erzählen, die möglichst sexy ist."
Ist das Internet noch heute militärisch geprägt?
Das Internet wurde zwar aus dem US-Amerikanischen Militär-Budget finanziert, aber nicht vorrangig um die militärische Kommunikation vor einem Atomkrieg abzuwenden, argumentiert Hack. Vielmehr müsse man es als ein Gemeingut höchster Ingenieurskultur sehen. Ein neutrales System, dessen Wirkung davon abhänge, wer es benutzt und für welchen Zweck. Martin Schmitt, Informatiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, hingegen sagt, die Technologie des Internets sei noch heute von ihrem militärischen Ursprung geprägt.
"Es ist ganz klar, dass die Gedanken des technologisch-industriellen-militärischen Komplexes auf die Ausprägung des Internets als sozial gestaltetes System gewirkt haben."
Die Finanzierung habe dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Die kam von der Advanced Research Projects Agency (ARPA). Eine Behörde des US-Verteidigungsministeriums. Wie Hack verweist aber auch Schmitt auf die Bedeutung der nicht-militärischen Akteure.
"Das Internet ist nur zur Hälfte ein militärisches System, weil man die anderen Player auch noch berücksichtigen muss. Es waren Wissenschaftler, die dieses System entwickelt haben, mit Finanzierung des Militärs. Die hatten den Traum, ein technologisches Projekt zu bringen, das unglaublich weitreichend ist. Nicht nur Technologie nehmen und erneuern. Sie wollten revolutionieren, das war ihr Anspruch."
Mehr Grundlagenforschung
Dazu gehörte die Idee, Ressourcen zu verteilen und für jeden nutzbar zu machen, egal, wo er sich aufhält. Auch die ARPA selbst hatte versucht, sich von US-militärischen Projekten zu emanzipieren und mehr in Grundlagenforschung zu investieren. Für neue Ideen warben sie Studenten von den Universitäten an:
"Und diese gegenkulturell geprägten Studenten haben maßgeblich an der Entwicklung von grundlegenden Technologien vom Internet mitgearbeitet. Und haben dort zum einen ihre Kreativität ausleben lassen können. Auf der anderen Seite konnte sie aber auch die Ideen und Gedanken der auf der Straße protestierenden Gegenkulturellen mitnehmen und diese Prägung findet sich auch in der Technologie des Internets."
Als in den 90er-Jahren immer mehr junge Unternehmen in das Netzwerk drängen, treten viele Ideen aus den Anfangsjahren des Internets wieder hervor, sagt Schmitt.
"Nämlich die Idee der Egalität, dass egal ist, wer an den jeweiligen Netz-Endknoten sitzt. Dass aber auch jeder gleichberechtig im Internet und dann später im Web, Inhalte einstellen kann und damit selbst zum Produzenten wird."
Historisch sind Martin Schmitt zufolge sowohl die militärische, als auch die zivile Erzählung des Internets Teil seiner Geschichte. Welche Interpretation in der öffentlichen Wahrnehmung aber überwiegt, ist für den Schriftsteller und Autor Günter Hack ein Politikum. Eine Argumentationshilfe, die aus dem Internet ein neutrales oder bedrohliches System machen kann.