Der Trostspender
Michael Rohde muss bei Menschen Trost spenden, die dem Tod oft sehr nahe kommen: Soldatinnen und Soldaten. Als Militärdekan ist er bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr dabei und hat auch selbst schon Schlimmes erlebt.
Im Keller seines Hamburger Pfarrhauses herrscht rustikale Pub-Atmosphäre. An einer Pinnwand hat Militärdekan Michael Rohde dutzende Stoffaufnäher aus Auslandseinsätzen gesammelt. Besucher spüren sofort: Hier geht es nicht um schickes Repräsentieren, sondern Entspannen in Freizeitklamotten – und um Gespräche von intellektuell bis handfest.
Rohde kann nicht nur beides, er mag auch beides. Über Kirchengeschichte – das Thema seiner Promotion – spricht er genauso gerne und leidenschaftlich wie über die Stammtische mit den robusten Jungs der freiwilligen Feuerwehr damals, in seiner ersten Gemeinde als Dorfpfarrer. Der 42-Jährige trägt Trekkinghose, Wanderschuhe, Funktionsjacke – praktische Kleidung, die auch seine Schäfchen gerne anziehen, wenn sie aus der Flecktarnuniform schlüpfen – dieselbe Uniform, die auch Rohde trägt, wenn er seine Soldaten in den Einsatz begleitet. 2010 und 2013 war der Vater zweier Kinder in Afghanistan, 2014 im Ebola-Einsatz in Liberia. Fotos an den Wänden der Hamburger Kellerbar berichten davon:
"Das eine Bild zeigt einen Posten der Bundeswehr in der Nähe von Kundus, wo am Tag zuvor Granaten eingeschlagen sind. Und wenn man an diesem Punkt steht, dann macht man sich schon darüber Gedanken, was passiert wäre, wenn ich an dem Tag (davor) genau an diesem Punkt gestanden hätte. Dann würden wir jetzt dieses Interview nicht führen."
Anschlag in Kundus erschütterte den Pfarrer
Es war nicht die einzige Situation, in der Rohde in Gefahr geriet. Am 18. Februar 2011 erlebte er in einem Außenposten nahe Kundus, wie ein afghanischer Soldat in eine Gruppe von Deutschen schoss. Schreie, Blut, Verletzte und Tote – die Bilder wird der Militärgeistliche nie vergessen. Zurück im Hauptlager in Masar-i-Scharif sah er in so viele verzweifelte Gesichter wie noch nie.
Beim Trauergottesdienst sang der Chor, den sonst der Seelsorger leitet, auf einmal auch für ihn. Die Soldaten spürten, dass der Anschlag auch ihren sonst so robusten Pfarrer erschüttert hatte. Rohde, der sonst Kraft spendete und tröstete, brauchte nun selbst Unterstützung und Anteilnahme.
"Und die zweite wichtige Erfahrung war, dass im Anschluss an diese Andacht eine Soldatin zu mir kam – wir kannten uns eigentlich nur sehr oberflächlich – aber die mich in den Arm nahm und sagte: ´Mensch, dir geht’s auch scheiße, oder?`. Und dieses Angenommen-Werden, dieses Gefühl ´Wow, sie nimmt mich wahr und sie nimmt wahr, wie es mir gerade ging`, weil sie genau Recht hatte – war für mich ein großartiges Erlebnis und hat für mich nochmal gezeigt, wie wichtig es ist, Menschen zu begleiten. Nicht immer komplette Theorien zu kennen, wie man Menschen begleitet, sondern für sie da zu sein und in schwierigen Situationen ihres Lebens beizustehen."
Seminare sind für alle Soldaten verpflichtend
Eine wichtige Erfahrung, von der heute auch die von ihm betreuten Soldaten profitieren. In Hamburg ist der 42-Jährige nicht nur für das Bundeswehrkrankenhaus, sondern auch für Universität der Bundeswehr zuständig. Dort studiert Leutnant Karen Haak, die Pfarrer Rohde bei einem lebenskundlichen Unterricht kennenlernte hat. Diese Seminare sind für alle Soldaten verpflichtend. Hier sollen sie sich mit ethischen Grundsatzfragen, aber auch mit Problemen des Alltags auseinandersetzen.
Als Leutnant Haak mit ihren Uni-Kameraden an der Tür von Rohdes Pfarrhaus klingelt, steht das Thema "Umgang mit Alkohol" auf dem Plan des Tagesseminars. Die aus Sachsen-Anhalt stammende Soldatin hatte mit der Kirche bis dahin nichts am Hut und war zunächst skeptisch. Rohde hatte als Gast einen Soldaten eingeladen, der von seiner eigenen Sucht berichtete – woraus sich ein lebendiges Gespräch entwickelte. Der Unterricht gefiel der 29-Jährigen.
"Mir hat an Pfarrer Rohde vor allen Dingen auch gefallen, dass er es geschafft hat, uns den Eindruck zu vermitteln, wirklich für uns da zu sein, immer und jederzeit. Und er sagt das nicht nur, sondern er gibt einem auch das Gefühl, das so zu meinen."
Vor zwei Jahren hatte Leutnant Haak einen lebensgefährlichen Autounfall. Die körperlichen Verletzungen heilten schnell, und die disziplinierte Studentin legte sich an der Uni wieder voll ins Zeug. Doch der Gedanke, dass ihr Leben fast vorbei gewesen wäre, beschäftigte Karen Haak mehr, als sie zuerst dachte.
"Einige Monate später, als ich im Urlaub ein bisschen mehr Zeit hatte, ist das alles wieder hochgekommen, ich hab schlecht geschlafen, ich hatte Albträume, ich hab jeden Tag über den Unfall nachgedacht. Und da hab ich mich daran erinnert, dass der Pfarrer Rohde immer ein offenes Ohr für uns Soldaten hat, und hab ihm dann einfach eine E-Mail geschrieben und saß dann sehr schnell bei ihm im Büro, konnte ein sehr offenes Gespräch mit ihm führen, hab ihm zwei Stunden lang die Bude vollgeheult, und er hat einfach nur zugehört, und das hat mir im ersten Schritt sehr gut geholfen."
Passte nicht ins Selbstbild einer starken Soldatin
Eltern und Freunde wollte sie nicht mit ihren Problemen belasten. Und auch sie selbst war verunsichert: Sich plötzlich so verletzlich zu fühlen, passte gar nicht zu ihrem Selbstbild der starken Soldatin. Eine Zwickmühle, die auch ihre Kameraden kennen:
"Für uns Soldaten gilt ja immer die Maxime, dass die Auftragserfüllung vor den eigenen Bedürfnissen steht. Und das ist ja auch gut und richtig. Aber diese Grundeinstellung kann auch dazu führen, dass man sich selbst kaputtmacht. Wenn man sich selbst keine Atempause gibt, sondern immer nur den nächsten Auftrag im Blick hat, dann fällt man irgendwann vielleicht komplett aus, und dann ist weder sich selbst, noch den Kameraden, noch der Bundeswehr geholfen."
Leutnant Haak geht es heute wieder gut. Doch durch die Konfrontation mit dem Tod hat sie sich verändert – genauso wie Rohde. Nach seinem Einsatz hat der Militärpfarrer seine Prioritäten neu geordnet:
"Für mich hat das die Achtung und die Wichtigkeit und Wertigkeit der Zeit, die ich in meinem Leben habe, neu definiert. Und das bedeutet auch, dass ich mir neu Gedanken darüber gemacht habe, wie viel Zeit ich wofür einsetze und auch, wie viel Energie ich wofür einsetze."
Befehle mit gravierenden Folgen
Zur Christin ist Karen Haak durch die Arbeit mit Pfarrer Rohde nicht geworden, dennoch besucht sie regelmäßig seine Gottesdienste. Die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen ist ihr wichtig. Als Offizier rechnet sie damit, Befehle mit gravierenden Folgen geben zu müssen. Um damit leben zu können, sei ein stabiles Wertefundament wichtig, bei dessen Aufbau ihr Rohdes kurze Andachten helfen. Dass Leutnant Haak am Anfang keine Ahnung von Liturgie hatte, machte dem Militärdekan nichts aus. Er gab ihr auch diesmal einen praxisnahen Rat:
"Ich hatte zuerst ein bisschen die Furcht davor, dass ich im Gottesdienst irgendwas falsch mache. Auch die Sorge hat er mir genommen, indem er ganz flapsig sagte: ´Wenn alle aufstehen, stehen Sie auch auf`, und das war so einfach, da dachte ich mir: ´Da kannst auch du nichts falsch machen.`"