Militärdiktatur Argentinien

"So viele verpasste Chancen"

Undatiertes Porträt von Elisabeth Käsemann, Tochter des bekannten Tübinger Theologieprofessors Ernst Käsemann. Die 30 Jahre alte Soziologin Elisabeth Käsemann soll am 24. Mai 1977 in Argentinien bei einem Schußwechsel zwischen Montonero-Untergrundkämpfern und argentinischen Sicherheitskräften erschossen worden sein. Anderen Angaben zufolge sei die Frau bereits im März verhaftet, identifiziert und auf eine Polizeiwache gebracht worden. Dort sei sie mit 15 anderen Untergrundkämpfern kaltblütig erschossen worden.
Undatiertes Porträt von Elisabeth Käsemann, Tochter des bekannten Tübinger Theologieprofessors Ernst Käsemann. © picture alliance / dpa
Eric Friedler im Gespräch mit Katrin Heise |
Die junge Deutsche Elisabeth Käsemann engagierte sich als Sozialarbeiterin in den Armenvierteln in Buenos Aires und wurde von der argentinischen Militärjunta erschossen. Der Film "Das Mädchen - Was geschah mit Elisabeth K.?" beweist, dass sie hätte gerettet werden können. Er läuft heute um 22.45 Uhr in der ARD.
Katrin Heise: Über den Sport als politisches Instrument wird ja immer wieder diskutiert, ganz aktuell in Sachen Katar. Gerade kurz vorher boten die Winterspiele in Sotschi Anlass dazu. Heute vor 37 Jahren, da machte die deutsche Fußballnationalmannschaft quasi Werbung für die argentinische Militärjunta, die zu der Zeit Tausende umbrachte, folterte, verschwinden ließ, und dort konnte man sichere Fußballspiele austragen: Am 5. Juni ein Freundschaftsspiel und ein Jahr später eben die Weltmeisterschaft.
Was die Spieler nicht wussten, der DFB aber schon und auch die Bundesregierung: Die verschleppte Deutsche Elisabeth Käsemann war wenige Tage vorher von ihren regierungsnahen Folterern in Buenos Aires erschossen worden. Den mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilmer Eric Friedler trieb auch nach Jahrzehnten noch die Frage nach der deutschen Verantwortung um. Sein Film "Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?" läuft heute Abend in der ARD und jetzt ist er mir in einem Hamburger Studio zugeschaltet. Ich grüße Sie, Herr Friedler.
Eric Friedler: Schönen guten Morgen.
Heise: Die Familie Käsemann hat nach der Ermordung Anklage erhoben, nach Jahrzehnten dann sogar erfolgreich gegen argentinische Verantwortliche. Einige sitzen im Gefängnis, Sie haben auch Tatsächlich welche vor die Kamera bekommen. Aber davon sprechen wir später. Sie haben (die Familie und auch andere) immer wieder den Vorwurf erhoben, die deutsche Regierung habe nicht genug getan, denn man wusste ja durch Zeugen von der Verschleppung und der Folter, und auch was geschah in Argentinien. Ihr Film sagt das auch. Wie untermauern Sie das?
"Auswärtiges Amt wusste wenige Tag nach Verhaftung bescheid"
Friedler: Na ja, die Akten untermauern es, aber vor allem die Zeugen untermauern es. Diana Austin, die mit Elisabeth Käsemann zumindest zwei Tage in Folterhaft war, die auf Druck der britischen Regierung frei gekommen ist, hat unmittelbar nach ihrer Freilassung Amnesty International eine Zeugenaussage gegeben, die dann sofort nach Deutschland auch ans Auswärtige Amt geschickt worden ist. Das heißt, Anfang April musste spätestens das Auswärtige Amt davon bescheid gewusst haben. Aber sie wussten schon nach Aktenlage seit dem 22. März bescheid. Das heißt, nur wenige Tage nach der Verhaftung von Elisabeth Käsemann. Und die Süddeutsche Zeitung und, ich glaube, auch der Deutschlandfunk und andere haben schon am 6. April darüber berichtet.
Heise: Es wurden – das haben Sie auch alles nachgeprüft – aber keine Unterlagen gefunden in der Botschaft beziehungsweise im Auswärtigen Amt, dass tatsächlich eine Protestnote abgegeben wurde. Es wurde nicht der argentinische Botschafter einbestellt, nichts dergleichen.
Friedler: Es gibt keinen öffentlichen diplomatischen Protest von Seiten des Auswärtigen Amtes zu Lebzeiten von Frau Käsemann. Nach ihrem Tod gab es natürlich viele Proteste, aber insbesondere in konsularischen Zusammenhängen. Aber zu Lebzeiten von Frau Käsemann – das bestätigt auch der Bundesrichter der argentinischen Regierung, Daniel Rafecas, in unserem Film – gibt es keinen Beleg für eine Intervention der deutschen Botschaft oder des Auswärtigen Amtes.
Heise: Käsemann engagierte sich in den Armenvierteln und organisierte gefälschte Pässe für Leute, die untertauchen mussten. Die Junta bezeichnete sie als Terroristin. Manchmal hat man den Eindruck, dass dieses Stichwort so verfing bei der RAF-geprüften Bundesregierung. Kann das sein?
Haltung der Bundesregierung durch Erfahrung mit RAF beeinflusst
Friedler: Ja, mit Sicherheit. Das bestätigen auch die Zeitzeugen, auch beispielsweise der ehemalige Innenminister Baum, dass das sicherlich auch Einfluss genommen hat auf diesen Fall, nämlich die Zeit damals, 1977, Stammheim, Bader und Ensslin vor Gericht, Buback umgekommen, ermordet, und all diese Dinge spielten sicherlich auch eine Rolle in der Behandlung dieses Falles, weil man sagte sich, na ja, gut, die Argentinier werden bestimmt einen Grund gehabt haben, diese Frau umzubringen beziehungsweise erst mal zu verhaften, da wird schon was dran sein, wir haben ja auch Terroristen, statt sozusagen klar zu sagen, das ist eine deutsche Staatsbürgerin und wir beurteilen zunächst einmal nicht, ob sie eine Terroristin ist oder nicht, sondern wir setzen uns ganz rechtsstaatlich dafür ein.
Heise: Andere Nationen haben Möglichkeiten gefunden, ihre Landsleute aus den Händen der Diktatur, aus den Händen auch der Folterer direkt zu befreien.
Friedler: Ja.
Heise: Warum Deutschland eigentlich nicht?
Friedler: Das ist die große Frage, die Frage, die wir auch Botschafter Kastel stellen. Er sagt, na ja, wir haben nicht so die Möglichkeiten gehabt. Aber Großbritannien zum Beispiel hat Staatsbürger rausbekommen aus Folterhaft, Frankreich aus Folterhaft und auch Österreich. Der österreichische Botschafter hat österreichische Staatsbürger aus Folterhaft auch 1977 frei bekommen. Auch Freikäufe waren möglich und wir finden ja auch in unserem Film einen Pastor, einen hoch dekorierten Mann, der auch bestätigt, dass er der Botschaft eine Woche vor dem Tod von Elisabeth Käsemann gesagt habe, es gäbe eine Möglichkeit für einen Freikauf, zumindest um weitere Informationen einzuholen, aber für Geld, und diesem Angebot ist die deutsche Botschaft nicht nachgekommen.
Heise: Aber wirtschaftliche Zusammenhänge werden immer wieder im Hintergrund genannt. Man merkt, das muss eine Rolle gespielt haben. Es gab Hermes-Bürgschaften, die Waffenverkäufe absicherten. Mit denen hätte man sogar Druck machen können, so empörend das sowieso schon ist.
Friedler: Das bestätigt auch der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Klaus von Dohnanyi, und er sagt ganz klar, wenn man diese Hermes-Bürgschaften zur Vergabe von Rüstungsaufträgen eingesetzt hätte, um zu sagen, wenn ihr Hermes-Bürgschaften wollt, gebt diese Frau frei, das hätte sicherlich eine Maßnahme sein können, Frau Käsemann frei zu bekommen, denn Argentinien war abhängig von Deutschland. Argentinien war ein starker Partner von Deutschland. Man muss sich einfach vorstellen, dass Jimmy Carter zu dieser Zeit für die Vereinigten Staaten von Amerika ein Waffenembargo auf Argentinien erlegt hat, und danach wurde Deutschland Waffenexporteur Nummer eins.
"Dohnanyi und Hamm-Brücher wollten Klartext sprechen"
Heise: Die Stelle war dann sozusagen frei geworden. – Der deutsche Umgang mit der Militärdiktatur in Argentinien – der Filmemacher Eric Friedler und sein Film dazu. – Sie haben eben Klaus von Dohnanyi genannt. Auch Hildegard Hamm-Brücher war im Auswärtigen Amt tätig. Beide sind vor Ihrer Kamera, beide äußern sich, und man ist sehr berührt von Frau Hamm-Brücher – deswegen, weil ich das Gefühl habe: Der erste Satz, den sie sagt, ist, ich bin ja mal gespannt, was Klaus von Dohnanyi dazu sagt. Die Verantwortung wird da schon nach wie vor irgendwie hin- und hergeschoben, oder?
Friedler: Ich glaube nicht, dass die die Verantwortung hin- und herschieben. Ich habe manchmal den Eindruck gehabt, nach so vielen Jahren war es beiden ein Bedürfnis, Klartext zu sprechen, und es war manchmal wie so ein Offenbarungseid. Die beiden bestätigen, man hätte nicht nur mehr tun können, sondern müssen, sondern am Ende des Tages gab es so viele Möglichkeiten, ob es nun Rüstungsexporte, Wirtschaftsbeziehungen waren, oder eben auch ein Fußballspiel, das ein Trumpf in der Hand nicht nur der Bundesregierung, sondern auch des DFB war, diese Frau zu befreien.
So viele verpasste Chancen, so viele, dass es immer noch auch eine Frau Hamm-Brücher oder Klaus von Dohnanyi empört. Man muss sich nur die Frage stellen: Warum haben beide eigentlich nicht aktiv etwas getan? Und Frau Hamm-Brücher sagt ja ganz klar, sie hätte sich mehr engagiert, sie hätte gerne mehr getan, aber Hans-Dietrich Genscher, damaliger Bundesaußenminister, hat es nicht getan. Er war nun mal "der Vorsitzende". Das lassen wir einfach mal so stehen und ich glaube, der Zuschauer kann sich dann selbst ein Bild daraus machen.
Ehemaliger Außenminister Genscher verweigert das Gespräch
Heise: So wie Sie am Ende auch einen leeren Stuhl stehen lassen, denn Genscher war bis heute nicht bereit, mit Ihnen darüber zu sprechen.
Friedler: Trotz Zusage! – Trotz Zusage, muss ich dazu sagen. Eine offizielle Zusage von ihm seit einem Jahr und er hatte bis heute noch keine Zeit, seit einem Jahr.
Heise: Sie haben eben das Fußballspiel erwähnt. Eine große Anzahl von Zeitzeugen spricht, unter anderem die Nationalspieler von damals. Paul Breitner, dessen linke politische Einstellung ist bekannt. Aber überrascht war ich von Berti Vogts, von Karl-Heinz Rummenigge, von Sepp Maier, die sich ganz eindeutig empört äußern, auch dagegen, dass der DFB hätte eingreifen müssen und sie auch quasi wie Marionetten auf den Platz gestellt wurden und spielen mussten.
Friedler: Nun, wenn man das in die heutige Zeit ziehen würde, würde man sagen, auch die Fußballspieler hätten informiert sein müssen. Aber man muss auch betrachten: ein Rummenigge war damals 21 Jahre alt und hat sich möglicherweise nicht so sehr politisch engagiert. Heute weiß er mehr denn je, wie er selber sagt, dass das ein Versagen war, seines eigenen Verbandes, der FIFA, aber auch der Bundesregierung. Und auch sie sahen, dass sie auch schon zu Lebzeiten von Frau Käsemann eine Chance gehabt hätten, sie zu befreien, wenn man schlicht und ergreifend gesagt hätte, gerade aufgrund auch der guten Beziehungen zwischen dem DFB und dem argentinischen Fußballverband, gebt diese Frau frei, sonst lassen wir dieses Spiel platzen. Das wurde nicht getan!
Heise: Haben Sie in dem Zusammenhang eigentlich auch über die Jetztzeit mit denen gesprochen? Denn ich habe anfangs ja gesagt: Sport ist eigentlich immer wieder, es entzünden sich ständig Diskussionen um den Einfluss von Sport in solchen Weltgegenden.
"Hauptsache, the games must go on!"
Friedler: Klar! Das spielt natürlich eine Rolle. Wenn auch ein DFB-Funktionär, der damals auch dabei war, wie Horst Schmidt, bestätigt, dass die Vergabe alleine der Fußballweltmeisterschaft '74 aufgrund eines starken Einflusses von Argentinien stattgefunden hat, und deshalb auch eine gewisse Dankbarkeit von Seiten des DFB um den damaligen DFB-Präsidenten Neuberger deshalb war, um deshalb möglicherweise Dinge einfach zu ignorieren, ist natürlich auch ein Kreislauf zu heute zu sehen, dass man sagt, es gibt offensichtlich Dankbarkeiten und auch mögliche Dinge, die man dann einfach gerne ignoriert oder einfach außer Acht lässt, Hauptsache, the games must go on! Will Brandic war ja nicht anders.
Heise: Kaum auszuhalten im Film sind die Aussagen des Folterers, des verhafteten und für diesen Fall jetzt noch 15 Jahre einsitzenden Gefängniswärters Cioliti, der sehr reuevoll herüberkommt. Haben Sie ihm das abgenommen?
Friedler: Ich habe ihm das abgenommen. Ich habe großen Respekt gehabt vor ihm, dass dieser Mann sich der Kamera stellt. Erst einmal ist bezeichnend, dass die argentinische Regierung bis heute versucht, diesen Fall aufzuklären, und Menschen nicht nur verhaftet, sondern vor Gericht stellt und verurteilt. Einer von denen ist Roberto Cioliti: 69 Jahre alt, er sitzt in Haft und er wollte mit uns sprechen.
Er spricht von der Deutschen Elisabeth Käsemann und er spricht auch darüber, was ihr angetan wurde. Das ist schon eine große Sache und er entschuldigt sich auch am Ende des Films. Das lasse ich natürlich so stehen. Aber wenn Sie mich persönlich fragen, finde ich das schon stark von ihm, dass er das tut. Was in einem Mann vorgeht, ob er wirklich Reue hat oder nicht, oder ob er jetzt irgendeine Gelegenheit nutzt, sich zu rehabilitieren, das vermag ich nicht zu sagen. Ich habe die Chance genutzt, mit ihm zu sprechen, und ich fand das schon eine starke Geste.
Kleine Anfrage im Bundestag der Grünen – bis heute keine Antwort
Heise: Sie betonen die Sachen, die die argentinische Regierung macht, um diesen Fall aufzuklären. Wie ist der offizielle Umgang der deutschen Regierung heute damit?
Friedler: Na ja. Es gab jetzt noch 2013 eine kleine Anfrage im Deutschen Bundestag von Seiten der Grünen, von den Abgeordneten Ströbele und Künast und anderen, und wenn man sich die Antwort dann durchliest, dann merkt man: Es wird immer wieder darauf verwiesen, wir können keine Antwort darauf geben, das ist eine Sache jetzt, die erarbeitet werden soll von Seiten von Historikern und Journalisten.
Wir wissen nicht genau, warum Frau Hamm-Brücher so gehandelt hat und warum Klaus von Dohnanyi so gehandelt hat. Und dann haben wir uns gedacht, dann gehen wir zu Klaus von Dohnanyi und Frau Hamm-Brücher und stellen ihnen mal die Fragen, die noch 2013 eine kleine Anfrage im Bundestag erfragt hat und bis heute keine Antwort da ist. Das zeigt, und das ist doch auch klar: Ein heutiges Auswärtiges Amt würde ungern beurteilen, was eine Vorgängerregierung gemacht hat. Aber ich glaube, es ist die Zeit, das einfach aufzuarbeiten.
Heise: Die Antworten, die Klaus von Dohnanyi gibt, können Sie sich heute Abend anschauen. Filmemacher Eric Friedler über seinen Film "Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?". Der Titel bezieht sich übrigens auf eine Aussage von Hans-Dietrich Genscher, der wohl mal so geantwortet haben muss, ach, das Mädchen Elisabeth. – Danke, Herr Friedler.
Friedler: Bitte.
Heise: Der Film wird heute Abend erstmalig um 22:45 Uhr in der ARD ausgestrahlt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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