Die Filmreihe zur Kampagne "Nunca Mais/Niemals mehr" startet heute in Berlin im "Eiszeit-Kino".
"Raserei gegen den Kommunismus"
Brasilien ist das einzige Land im Süden des Kontinents, das seine Diktatur weder ausreichend erforscht noch die Gräueltaten der Militärs aufgearbeitet hat. Eine Reihe von Dokumentar- und Spielfilmen ist jetzt erstmals in Deutschland zu sehen.
Mit der Mobilisierung ihrer Streitkräfte, der sogenannten Kanonen-Boot-Politik, hatten US-Militärs am Beginn des 20. Jahrhunderts kleine Regierungen in Zentralamerika in die Knie gezwungen: Sie stationierten einfach eine Armada von Kriegsschiffen vor deren Küsten. Diese Strategie wandten die USA 1964 in Brasilien an.
Damit wollte die Weltmacht verhindern, dass Brasilien, das größte Land Lateinamerikas, in die Hände des Kommunismus fiel. Dabei störte es die Regierung Kennedy nicht im Geringsten, dass Präsident João Goulart demokratisch gewählt worden war und keineswegs revolutionäre Ziele verfolgte. Er war links und musste weg.
Den Putsch vom 31. März 1964 und dessen Vorgeschichte hat Camilo Tavares in seinem Dokumentarfilm "Der Tag, der 21 Jahre dauerte" minutiös rekonstruiert. Er konnte dafür inzwischen zugängliches Geheimmaterial verarbeiten.
Tavares: "In der Kennedy-Bibliothek in Washington fand ich viele Telegramme und Tonaufzeichnungen von Gesprächen John F. Kennedys und seiner Mitarbeiter sowie CIA-Dokumente. Auf dieser Basis konnten wir Zusammenhänge dieser Konspiration deutlich machen, die unbekannt waren oder an die sich kaum noch jemand erinnerte. So hat z.B. das Weiße Haus bereits drei Jahre vor dem Putsch, also kurz nach dem Amtsantritt Goularts, mit viel Geld eine Kampagne zur Destabilisierung der Regierung begonnen."
Waffenbrüder im Norden um Intervention gebeten
Die brasilianischen Militärs hatten ihre Waffenbrüder im Norden um Intervention gebeten, und daran waren ebenfalls das Großkapital und die politische Rechte im Land höchst interessiert, denn sie fürchteten um ihre Pfründe. Deshalb beschreibt Camilo Tavares den Staatsstreich als einen Pakt verschiedener Kräfte.
Tavares: "Das war ein zivil-militärischer Putsch. Es haben auch viele Unternehmer teilgenommen und sogar den Folterungen zugesehen. Es herrschte so etwas wie eine künstlich geschaffene Raserei gegen den Kommunismus."
In der Filmreihe der Kampagne "Nunca Mais/ Niemals mehr" geht es aber nicht nur um den Sturz des Sozialreformers Goulart, sondern auch um die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Folgen für die Opfer der Gewaltherrschaft, die bis heute kaum entschädigt wurden, werden ebenso thematisiert wie die Operación Condor, das heißt der systematische Staatsterror gegen jegliche Opposition, zu dem sich in den 70er-Jahren alle Diktaturen im Süden Lateinamerikas vereinigt hatten.
"Warum foltert ein Mensch einen anderen?"
Die Sichtweise einer Betroffenen hat dagegen Lúcia Murat gewählt in ihrem Spielfilm "Erinnerungen, die sie mir erzählen". Hier treffen zwei Generationen aufeinander, die sich völlig entfremdet haben: ehemalige Mitglieder des bewaffneten Widerstands und ihre erwachsenen Kinder.
Sie diskutieren über die Vergangenheit, die sie nie bewältigt haben, und scheitern an den Konflikten der Gegenwart. Lúcia Murat hat selbst als Guerrillera gegen die Militärs gekämpft. Sie wurde - ähnlich wie Staatspräsidentin Rousseff - verhaftet, wochenlang gefoltert und musste eine dreijährige Gefängnisstrafe durchleiden. Die meisten ihrer Filme handeln von dieser Vergangenheit.
Murat: "Ich war zwanzig Jahre alt, als ich festgenommen und gefoltert wurde. Deshalb ist diese extreme Erfahrung der Gewalt in meinem gesamten Werk präsent, auch in den Filmen, in denen ich mich nicht ausdrücklich mit der Diktatur beschäftige. Warum foltert ein Mensch einen anderen? Zu was ist ein menschliches Wesen überhaupt fähig? Was ist ‚das Böse‘ - wie Hannah Arendt sagt. Diese Fragen bewegen mich ständig."
"Im wilden Kapitalismus gelandet"
In ihrem jüngsten Spielfilm "Erinnerungen, die sie mir erzählen" geht es ihr auch um "das andere, das bessere Brasilien", für das ihre Generation gekämpft hat und das sie damals für ihre Utopie hielt.
Murat: "Die Utopie ist verschwunden. Und dennoch war es wunderbar, eine Utopie zu leben. Aber ich muss auch sagen, dass diese Utopie in ihrem Kern autoritär war: diese Idee von einer marxistisch-leninistischen Regierung, der Diktatur des Proletariats, und an was wir sonst noch alles geglaubt haben. Aber unsere eigene Erfahrung von Diktatur und Gewalt hat uns von der Notwendigkeit demokratischer Mittel überzeugt. Das ändert nichts daran, dass wir jetzt im wilden Kapitalismus gelandet sind. Wir wissen jedoch, dass wir nur auf diesem demokratischen Weg eine gerechtere Gesellschaft verwirklichen können. Ich bin jedenfalls sehr glücklich, nicht in einer Diktatur leben zu müssen."