Militärische Übungsstadt

U-Bahn in der Heide

Ein Offizier zeigt am Truppenübungsplatz Altmark in Letzlingen auf Flächen, auf denen die Bundeswehr in der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt eine europaweit einmalige Übungsstadt für Soldaten baut.
Hier soll die größte Übungsstadt für Auslandseinsätze der Bundeswehr entstehen: auf dem Truppenübungsplatz Altmark © dpa / picture alliance / Peter Endig
Von Christoph D. Richter |
Großstadt-Attrappe mit Hochhaussiedlungen, Gleisanlagen und sogar einer U-Bahnstation: In der sandigen Steppe der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt soll Europas größte militärische Übungsstadt entstehen.
"Ich begrüße sie recht herzlich zum 260. Friedensweg. Heute ist ja Sonntag, Friedensweg ist meistens Sonntag und wie gesagt heute ist der 260. Friedensweg…."
Es soll ein Akt zivilen Ungehorsams sein. Einmal im Monat veranstaltet die Initiative Offene Heide einen Spaziergang auf das Sperrgebiet der Colbitz-Letzlinger Heide. Mit dabei sind Anhänger der Linkspartei, Friedensbewegte, Naturschützer: Bis auf wenige Ausnahmen, alle über 60. Manche kommen gar mit dem Rollator. Sie nennen es eine friedliche Besetzung des Truppenübungsplatzes Altmark. Eines der bundesweit größten Militärgelände, auf dem in Schnöggersburg die europaweit größte Übungsstadt mit Sachsen-Anhalts einziger U-Bahn und Elendsvierteln entsteht.
"Die Bevölkerung ist nicht in jedem Fall unserer Meinung, weil sie sich aus unserer Sicht durchaus nicht ernsthaft mit diesem Problem auseinandersetzt. In der Form wollen wir ihr vor Augen führen: Wir sind dagegen, wir sind nicht dafür. Das ist eines unserer Anliegen, das dort Geld sprichwörtlich in den Sand gesetzt wird."
Peter Häse, einer der Organisatoren der Bürgerinitiative Offene Heide. Das Credo: Eine friedliche Welt ist machbar. Häse ist ein ausgemachter Gegner, der – wie er sagt - NATO-Kriegsübungsstadt Schnöggersburg, die bis 2020 in der Altmark, im Norden Sachsen-Anhalts entsteht.
"Sobald der volle Betrieb losgeht und die Tiefflüge beginnen, denke ich, sind mehr Menschen bewegt. Und werden sich daran erinnern, was hier passiert, warum was passiert. Bis dahin läuft ja alles relativ geräuschlos, von der Bevölkerung abgeschottet. Das wird in ein, zwei Jahren anders aussehen. Das ist meine Meinung."
Doch der Reihe nach. Die Colbitz-Letzlinger Heide liegt etwa 20 Kilometer nördlich von Magdeburg. Sie gilt mit 60.000 Hektar als das größte zusammenhängende Heidegebiet Mitteleuropas. Und war einst ein beliebtes kaiserliches Jagdgebiet. Ob Bismarck, Kaiser Wilhelm oder Franz-Ferdinand von Österreich, hier griff der Adel zur Schrotflinte, bevor es militärisches Sperrgebiet wurde. Im Internet-Lexikon Wikipedia ist zu lesen, dass die Colbitz-Letzlinger Heide gar das größte unbewohnte Gebiet Deutschlands sei.
Der Rand der Heide ist mit dichten Mischwäldern bewachsen. Man sieht knorrige dickbäuchige 600 Jahre alte Eichen neben schlanken hochaufragenden Kiefern. Im Herzen der Heide findet man eine karge, kaum bewachsene, baumlose, leicht hüglig-wellige Landschaft. Doch sechs Jahrzehnte militärische Nutzung durch die deutsche Wehrmacht und die Rote Armee der Sowjets haben erhebliche Schäden angerichtet.
"Vegetationsarm sag ich mal. Zu Zeiten der Roten Armee noch ärmer als jetzt. Nur noch Sand. Wie in Kasachstan."
Bernd Luge. Ein pensionierter Elektrotechniker mit dem Habitus eines Studienrats. Lesebrille, Schnurrbart. Um den Hals hat der Rüstungsgegner sorgfältig ein Seidentuch gebunden. Bernd Luge ist in Cröchern am Rand der Colbitz-Letzlinger Heide groß geworden. Und kennt die Gegend aus dem Eff-Eff. Luge nennt sich auch Heidefotograf und dokumentiert seit Jahren mit seiner Kamera die Veränderungen, die die Gegend durch die militärische Nutzung erfährt.
Keine Details zum geplanten Bau
Mitten in der Heide – an der Stelle an der jetzt die NATO-Übungsstadt entsteht – war einst mal der Luftkurort Schnöggersburg. Noch bis in die 1930er-Jahre war es – wegen der so reinen Luft - das Naherholungsgebiet der damals noch 300.000 Einwohner großen Stadt Magdeburg.
"Mit sechs Gehöften, eine Gaststätte, ein Forsthaus und Häuser für Waldarbeiter. Die wurden 1935 geräumt. Wurde weiter nach dem Osten verlegt, da wurde Neu-Schnöggersburg errichtet. Das waren Bauernhäuser im westfälischen Stil. Fachwerk. Aber 1941 war auch das der damaligen Wehrmacht im Wege, die Häuser wurden wieder geräumt und die Leute wurden ausgesiedelt. Es gibt nur noch einen nachträglich aufgebauten Brunnen, der zeigt, hier war der Ort Schnöggersburg. Aber ansonsten erinnert nichts mehr an dieses Dorf."
Die Nazis errichteten hier die Heeresversuchsstelle. Getestet wurden die Geheimwaffen der Wehrmacht, darunter Hitlers Riesengeschütz Dora. Ein stählernes Riesenmonstrum. Allein für die Schießbahn rodete man eine 30 Kilometer lange und 750 Meter breite Schneise durch die damals noch dicht bewachsene Heide.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kommen erst die Amerikaner, kurz darauf übernimmt die Rote Armee das Gelände. Bis 1994 waren 50.000 sowjetische Soldaten an dem strategisch wichtigen Punkt stationiert, der damals gerade mal 30 Kilometer vom Eisernen Vorhang, von der Grenze zur Bundesrepublik entfernt war. Klein-Moskau nannte es der Volksmund, wo die Sowjets Kernwaffen, die SS 20 stationiert hatten. Egal ob Samstag oder Sonntag, die Tiefflieger der Roten Armee donnerten täglich im Tiefflug über die Gegend.
Nach der Wende haben Viele den Traum von einer zivilen Colbitz-Letzlinger Heide geträumt. Doch der zerplatzte schnell. Jetzt ist die Colbitz-Letzlinger Heide der zentrale Übungsplatz für offene Feldschlachten. Mehr noch: Bis 2020 soll mit Schnöggersburg Europas größte militärische Übungsstadt entstehen. Im Rahmen einer Public-private-Partnership wird es vom Rüstungskonzern Rheinmetall Defence gebaut und später auch betrieben.
"Also es geht darum, dass die Bundeswehr und andere NATO Kampfverbände dort eben Kriegsszenarien der Zukunft üben",
erzählt der in Berlin studierte Politologe Heiko Langner. Mitglied der Linkspartei, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro der Bundestagsabgeordneten Katrin Kunert und Experte in den Bereichen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
"Es geht insbesondere um asymmetrische Kriegsführung, also um Häuserkämpfe in Großstädten. Aber eben auch Krisenregionen außerhalb Europas. Die Linke sieht das extrem kritisch, weil das nun nichts mehr mit dem Verteidigungsauftrag des Grundgesetzes zu tun hat."
Von der Bundeswehr selbst erfährt man keine Details zum geplanten Bau der europaweit größten Übungsstadt Schnöggersburg. Eine Gelegenheit, das Gelände in Augenschein zu nehmen, wird mit dem Hinweis auf Sicherheitsinteressen rigoros abgelehnt.
"Die Bundesregierung igelt sich da sehr ein, was ihre Informationspolitik zu diesem Gefechtsübungszentrum anbelangt. Es ist für mich als Mitarbeiter nicht ohne Weiteres möglich, mir das vor Ort mal anzusehen. Und das gilt natürlich auch für die Abgeordneten."
Dreimal so groß wie die Hamburger Außenalster
Die Informationen muss man sich daher mühselig wie ein Puzzle zusammensetzen. Dazu dienen Gespräche mit Anwohnern, Initiativen, Landtagsabgeordneten. Auch in wenigen Dokumenten der Bundesregierung kann man Details über Schnöggersburg nachlesen:
So soll bis 2020 in der Übungsstadt, andere nennen es martialisch Kriegs-Kampfstadt, eine urbane Übungslandschaft entstehen. Mit allem was zu einer Großstadt gehört. Beispielsweise wird hier in die sandige Steppe der Colbitz-Letzlinger Heide die einzige U-Bahn Sachsen-Anhalts gebaut, mit Auf- und Abgängen. Ganze Gleisanlagen entstehen. Die ersten Röhren sind schon gebaut. Aber auch Autobahnausfahrten, Hochhaussiedlungen mit kompletter Kanalisation, Sakralbauten, ein Sportstadion, Industrieanlagen, eine klassische Altstadt mit Basar, ein Friedhof, gar Elendsviertel und Müllkippen sollen angelegt werden. Eine Stadtattrappe wie man sie eher aus Science-Fiction oder Horror-Filmen kennt.
"Die Mehrzahl der Leute bekommt von dem Übungsbetrieb nichts mit. Die Straßen werden nicht blockiert. Und die Mehrzahl der mittleren und kleinen Betriebe in der Region profitiert. Indem sie liefert, indem sie Unterkünfte bereitstellt, indem sie einfach für die Leute, die dort üben, für die Übungstruppe da ist."
Verspricht der CDU-Landtagsabgeordnete Ralf Geisthardt. Er hat seinen Wahlkreis in direkter Nachbarschaft zum Truppenübungsplatz Altmark. Auf dem mit Schnöggersburg Europas modernstes Trainingszentrum für multinationale Kampfverbände, wie die NATO Response Force und EU-Battle Groups entsteht. In Schnöggersburg sollen Soldaten aus ganz Europa die Aufstandsbekämpfung im urbanen Umfeld proben. Dabei werden verschiedene Waffengattungen wie Infanterie, Panzer und Artillerie zum Einsatz kommen. Um möglichst realitätsnah den Kampfeinsatz zu üben - soll ohne scharfe Munition geübt werden. Treffer werden also mittels modernster Simulationstechnik, also durch Laserstrahlen registriert. Weshalb es auch zu keinerlei Lärmbelästigung kommen werde, unterstreicht der 60-jährige Ralf Geisthardt. Oberst der Reserve. Er sieht in der Bundeswehr einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für Sachsen-Anhalt.
"Jetzt hat jede Anrainer-Gemeinde ihre Patenkompanie. Also die Leute scheinen damit sehr zufrieden zu sein. Und es ist für diese Region, die dünn besiedelt ist, ein deutlicher Wirtschaftsfaktor. Da ist jeder Arbeitsplatz der geschaffen oder erhalten werden kann, Gold wert."
Ralf Geisthardt - der sich gern in Kreisen der Bundeswehr zeigt und in den 1970er-Jahren im Medizinischen Dienst der Nationalen Volksarmee tätig war - verweist auch auf einen Brief der EU-Kommission, die keine Einwände gegen die geplante Übungsstadt Schnöggersburg in der Altmark hat, da das Bauvorhaben gegen keinerlei Naturschutz-Richtlinien verstoße.
"Die bewaffneten Konflikte der Zukunft, die spielen sich nicht mehr mit Panzern in der rheinischen Tiefebene ab, die sind asymmetrisch. Und da muss natürlich auch eine Armee drauf vorbereitet sein."
Befragt man Reservist Geisthardt, was er denn über den Stand der Bauarbeiten wisse, kann er nur mit den Schultern zucken. Der Landtagsabgeordnete, der in seinem Büro einen kleinen Panzer stehen hat, rollt aber mit den Augen, wenn Kritiker im martialischen Ton von einer Kampfstadt sprechen.
"Gegen den Begriff Kampfstadt habe ich was. Weil, das klingt so nach Kampfstern Galactica."
Die Bundeswehr selbst redet vom Ausbau des Ausbildungsbereichs "Urbaner Ballungsraum Schnöggersburg". Das sich auf einer Fläche von etwa sechs Quadratkilometern erstrecken wird. Damit ist Schnöggersburg dreimal so groß wie die Hamburger Außenalster.
Bereit zu Einschränkungen der Lebensqualität
Letzlingen. Ein kleines Heidedörfchen, in dessen Nähe – rund sechs Kilometer entfernt - Schnöggersburg liegt. Viele Einfamilienhäuser reihen sich wie Perlen aneinander. An der Durchgangsstraße, der B 71. Eine viel befahrene Straße Richtung Salzwedel/Uelzen und weiter nach Bremen. Hier befindet sich auch das letzte Hohenzollernschloss Sachsen-Anhalts. Mit seinen Türmen, Zinnen und einem Wassergraben fühlt man sich nach England versetzt. Ein malerisches, weiß glänzendes Ensemble im Tudor-Stil, das von Friedrich August Stüler entscheidend geprägt wurde. Jenem Baumeister der auch das Schweriner Schloss oder die Alte Nationalgalerie in Berlin gebaut hat.
In Letzlingen gibt es nur wenige Arbeitsplätze, weshalb die Bundeswehr ein Segen für den Ort ist, wie man von den Menschen hört. Wen man auch fragt, bei allen glänzen die Augen, wenn sie sich vergegenwärtigen, das in ihrer unmittelbaren Nähe Europas größte militärische Übungsstadt entsteht. In der gleichzeitig bis zu 1.500 NATO-Soldaten für ihre Auslandseinsätze üben können.
"Wir wollen hier alle irgendwie verteidigt sein. Und dieser Platz gibt ein Haufen Arbeitsplätze hier in Letzlingen. Kindergartenplätze, Schulplätze. Wenn das alles wegfallen würde, sollten sich die Leute mal überlegen, was dann in unserem Ort wäre. Nichts mehr."
Mit blonder Dauerwelle und im Rüschenkleid steht eine Frau mittleren Alters auf einer Stufe eines Gasthauses am Marktplatz in Letzlingen. Ihren vollen Namen möchte sie nicht nennen, sie sei aber, sagt sie, bereit für die Bundeswehr Einschränkungen der Lebensqualität hinzunehmen. Beispielsweise, wenn die Straßen mit Truppentransporten verstopft sind oder Tiefflieger kommen.
"Ich denke, dass das noch lange hin ist. Es sind noch fünf Jahre, die ins Land gehen, bis dass es überhaupt fertig ist. Und dann läuft das ja auch erstmal an. Und gut, wenn vielleicht mal eine Übung ist, läuft es eine Woche. Und Leute, die an der Bundesautobahn haben Krach jeden Tag. Und wir haben es dann einmal. Und ich denke, dass kann man ertragen für eine kurze Zeit."
Ein Trugschluss. Denn nach unseren Informationen soll die – auch weltweit einzigartige - Übungsstadt Schnöggersburg bereits 2016 in Betrieb gehen, 2020 soll die Mega-Stadtattrappe komplett fertig sein. 250 Tage wird die Anlage dann im Betrieb sein.
Für den Bau der Anlage sind 100 Millionen Euro einkalkuliert, Geld das sich schnell amortisieren wird, schätzen Experten. Kritiker Heiko Langner von der Linkspartei widerspricht:
"Also ich gehe persönlich davon aus, dass sich die 100 Millionen da nicht halten lassen, dass das deutlich teurer werden wird. Da stellt sich schon die Frage, ob das Geld nicht in anderen Bereichen besser angelegt wäre."
Die Bürgerinitiative Offene Heide protestiert unter anderem mit dem Pflanzen einer Ulme am 15.09.2012 nahe des Truppenübungsplatzes in der Colbitz-Letzlinger Heide gegen dessen Ausbau.
Die Bürgerinitiative Offene Heide protestiert gegen den Ausbau des Truppenübungsplatzes in der Colbitz-Letzlinger Heide.© dpa / picture alliance / Peter Endig
Langner verweist in diesem Zusammenhang auf den maroden Zustand vieler Bundeswehrkasernen. Und versteht es nicht, dass man einerseits 100 Millionen für ein Prestige-Objekt ausgebe, während andernorts Soldaten-Unterkünfte von Schimmel beziehungsweise Mäusen und Ratten befallen seien. Angesichts dieser Umstände hat erst kürzlich Hellmut Königshaus, der Wehrbeauftragte der Bundesregierung, angemahnt, dass die im Verteidigungshaushalt eingeplanten Mittel für den Erhalt und den Neubau von Infrastruktur bestenfalls ausreichend seien, "die Dynamik des Verfalls aufzuhalten".
Freunde der Bundeswehr
Nach Angaben der Landesregierung sind am Truppenübungsplatz Altmark, zu dem auch die Übungsstadt Schnöggersburg gehört, derzeit 440 Zivilangestellte beschäftigt. Man hört immer wieder – wenn man auf den Straßen und Plätzen der Gegend unterwegs ist - dass die Bundeswehr 1.600 Arbeitsplätze versprochen haben soll.
"Ich halte dem entgegen, dass das äußerst fragwürdige Prognosen sind. Bestenfalls handelt es sich um reines Wunschdenken. Schlimmstenfalls ist es, ich nenne es wirklich so, neoliberale Märchenpropaganda."
Der CDU – Landtagsabgeordnete Ralf Geisthardt schluckt. Er kann bei diesen markigen Worten nur heftig mit dem Kopf schütten.
"Der Bäcker liefert seine Brötchen, der Fleischer liefert dorthin. Die Soldaten müssen ja versorgt werden. Und die Bundeswehrverwaltung, die für die Versorgung zuständig ist, die kauft natürlich nicht irgendwo in Rostock, in Schwerin oder in Bonn ein. Sondern die kauft in den umliegenden Geschäften ein. Und die profitieren natürlich davon, weil dann auch die Steuern bei uns bleiben."
Doch welche Unternehmen genau beteiligt sind, darüber erfährt man nichts. Trotz einiger Anstrengungen ist es uns nicht gelungen, Firmen aus den umliegenden Ortschaften zu finden, die beim Bau der Übungsstadt Schnöggersburg involviert sind. Nicht dabei ist auch Michael Hennigs, ein Bauunternehmer aus Letzlingen. Kein Problem, sagt er.
"Also sowas in dieser Größenordnung gibt's in ganz Deutschland nicht. Europaweit. Wenn Sie mal die Deutschlandkarte nehmen und mal gucken, wo der größte freie Fleck ist, dann sehen Sie nur die Altmark. Wie gesagt, die Colbitz-Letzlinger Heide. Und das wurde früher schon militärisch genutzt, und das soll auch so weiter gehen. Ich denke mal, das ist eine gute Sache. Wir sollten froh sein, dass wir hier sowas haben."
Das Rentnerehepaar Rentner Andreas und Bärbel Peter nickt mit dem Kopf. Sie nennen sich Freunde der Bundeswehr. Wenn man die Freiheit verteidigen wolle, dann müsse man eben üben. Und zwar hier und jetzt. Manöver, Tiefflüge, Militärkolonnen – mit diesem Dingen sei man hier doch groß geworden. Das kenne man schon von früher, als die Sowjets noch mit ihren MIGs im Tiefflug über die Häuser gedonnert sind.
Frau: "Wir wussten gar nicht, was da auf dem Platz los war, dass da auch Bomben, Atombomben gelagert wurden. Jetzt werden wir mehr informiert. Und mehr Angst haben wir nicht."
Mann: "Die haben einmal pro Woche ein großes Artillerieschiessen veranstaltet, da haben bei uns die Fenster geklirrt. Jetzt nicht mehr."
Wie viele Tiefflüge nach dem Bau der europaweit größten Übungsstadt Schnöggersburg die Anwohner zu erwarten haben, darüber ist nur schwer etwas zu erfahren. Die Bundeswehr schreibt in einer Anfrage der Linkspartei – dass, "unzulässige Lärmbelästigungen für die Bürger der anliegenden Gemeinden nicht zu erwarten sind".
Für die Wehrübungen sollen langsam fliegende Propellermaschinen als Darstellung feindlicher Kampfflugzeuge eingesetzt werden, hinzukommen Hubschrauber vom Typ Black Hawk sowie diverse Drohnen. Aber auch mit Transall-Maschinen muss zu rechnen sein, sowie der neuesten Bundeswehr-Maschine der A 400M, die doppelt so groß ist, wie die Transall.
Gigantisches militärisches Drehkreuz
Schnöggersburg-Gegner Bernd Luge kriegt einen roten Kopf, die Augen blitzen. Denn das wird nicht nur Krach machen, sagt er.
"Und wenn ich mir vorstelle, ich habe es selbst mal in Rostock-Laage gesehen wie so eine Maschine gelandet ist. Wie sie eben vorher Kerosin abgelassen haben, um das Landegewicht zu bekommen. Das merkt man vielleicht unten nicht im Einzelnen. Aber es sind unglaublich viele Liter von Benzin, die in der Luft versprüht werden. Also wieder ein Einfluss auf die Landschaft."
Und eine Gefahr für die Trinkwasserqualität. Denn unter der Heide seien 3,3 Milliarden Kubikmeter Wasser bester Qualität versteckt. Lebensquelle für über 600.000 Menschen sagt Naturschützer Bernd Luge. Dennoch – das muss er zugestehen – die Colbitz-Letzlinger Heide ist wohl für den nachhaltigen Naturtourismus, für eine friedliche, zivile Nutzung wie sie auch Heiko Langner im Sinn hat, verloren. Langner schlägt eine Konversion des Geländes zur Übung von Naturkatastrophen, für Friedenseinsätze vor.
"Das würde bedeuten, dass hier eben eine Umnutzung stattfinden sollte. Und das wäre bei diesem Areal, sogar relativ einfach zu bewerkstelligen. Die Linke befürwortet beispielsweise die Aufstellung eines zivilen Hilfskorps, dass bei Naturkatastrophen oder humanitären Noteinsätzen zum Einsatz kommen soll. Und das müsste auch trainieren. Und sie könnten diesen Standort sehr wohl dafür benutzen, für einen Schwerpunkt des deutschen Engagements im Bereich der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung."
Wird wohl nicht passieren. Schnöggersburg - Europas größte Stadtattrappe wird kommen. Das steht fest, wie das Amen in der Kirche. Kommen wird ein gigantisches militärisches Drehkreuz, vielleicht das größte Deutschlands. Mit einer U-Bahn, in der nie jemand mitfahren wird, für die es keine Tickets, keinen Linienplan gibt. Mit einem eigens gebauten Flussbett mit Brücke. Mit Elendsvierteln und Müllkippen, um den Häuserkampf zu simulieren. Mitten in der Altmark, mitten im Norden Sachsen-Anhalts.
Die einen freut's…
"Das ist schon wichtig. Weil die Altmark ist ja eigentlich nicht so gut ausgestattet mit Arbeitsplätzen. Sehr viele Leute müssen nach Wolfsburg, nach Niedersachsen zum Arbeiten fahren, weil es hier in der Gegend eben keine so großen Betriebe gibt. Und Schnöggersburg bietet jetzt vielen Leuten Arbeitsmöglichkeiten."
Andere – wie Klaus Peter Keweloh aus Hillersleben mit einem bunten Peace-Cap auf dem Kopf – ärgert's. Aber mächtig.
"Die Gemeinden haben kein Geld. Das kulturelle Leben ist am Boden. Aber dafür ist Geld da. Nee, das können Sie auch so senden, das verstehe ich bis heute nicht."
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