Uniformierte Kinder im Kämpferkurs
Das Militär ist ein russisches Heiligtum. Damit das so bleibt, veranstaltet die Armee riesige Events, auf denen Kriegsgerät vorgeführt oder Schlachten in Schützengräben nachgestellt werden. Schon Zweijährige spielen so auf diesen Festivals Krieg.
Zwei Stunden vor Moskau. Panzer. Geschütze. Schützengräben. Erdhütten. 1500 Freiwillige stellen Schlachten des Zweiten Weltkrieges nach - ein Armeefestival. An Ständen gibt es Feldflaschen und Helme zu kaufen und T-Shirts mit Abbildungen russischer Elitekämpfer und der Aufschrift "höfliche Menschen". So werden die russischen Soldaten genannt, die im vergangenen Jahr auf der Krim im Einsatz waren.
Zweijähriger besucht "Kurs des kleinen Kämpfers"
Im Schatten unter Birken gibt es den "Kurs des kleinen Kämpfers". Der zweijährige Jurij steckt in einer Rotarmistenuniform. Nur Stiefel gab es nicht in seiner Größe, stattdessen trägt er Sandalen.
Seine Schwester Lisa ist sechs. Sie hat gerade den Hindernislauf hinter sich gebracht: Ist über Sandsäcke gesprungen und unter Stacheldraht hindurchgekrochen – der ist allerdings mit weichen Fäden nachempfunden. Ihre Mutter nimmt ihr den Helm ab.
"Sie hat das gut gemacht. Jetzt muss sie wahrscheinlich Granaten werfen und durch Schützengräben laufen."
Der Kommandeur schickt die Kleine los. Die Mutter feuert sie an.
"Duck dich ordentlich, damit du nicht erschossen wirst."
Geduckt läuft Lisa zu einem Soldaten. Mit ihm soll sie schießen. Michail Kononenko, der Kommandeur, ist Sportdozent. In seiner Freizeit leitet er einen Militärsportklub für Kinder.
"Wir führen die Kinder an die Armee heran. Sie sollen schon mal spüren, wie sich eine Uniform trägt. Männer und Frauen müssen wissen, wie man ein Gewehr hält. Sie müssen bereit sein, ihr Vaterland zu verteidigen. Das geht nicht ohne Waffe. Ich will jetzt keinen Aggressor beim Namen nennen. Wir jedenfalls greifen niemanden an."
Amerika wird als Aggressor gesehen
Der Vater der kleinen Lisa wird deutlicher:
"Amerika hat weltweit die größte Armee und demonstriert aggressive Absichten gegenüber anderen Ländern. Angesichts des Krieges der Amerikaner im Irak und des Überfalls auf Libyen und Syrien ist mir klar, dass nur ein Land mit einer starken Armee ruhig in die Zukunft blicken kann. Länder mit einer schwachen Armee und mit Rohstoffvorkommen sind potenzielle Opfer Amerikas."
Aus dem Schützengraben kommt ein anderes kleines Mädchen, steht stramm, nimmt die rechte Hand an die Stirn und macht Meldung. Unter dem bräunlichen Schiffchen gucken goldene Haarbänder hervor. Die Eltern fotografieren. Kommandeur Kononenko klopft dem Mädchen anerkennend auf die Schulter.
"Es ist irgendwie modern, Uniform zu tragen und zu schießen. Es ist auch in, bei Betriebsfesten schießen zu gehen. Man muss das aber mit Ideologie verbinden. Und mit der Geschichte. Es geht darum, die Heimat zu verteidigen."
Auf dem Feld beginnt die Schlacht. Die Wehrmacht rückt vor. Die Sowjetarmee schlägt zurück. Staub vermischt sich mit grauem und schwarzem Rauch. Ein Panzer qualmt. Ein Mann brennt. Ein Körper fliegt durch die Luft. Natalja, Ärztin, ist mit ihrem achtjährigen Sohn da.
"Das ist nun mal die Realität, unser Leben. Soll er ruhig sehen, wie hart das ist. Und lernen, so etwas zu vermeiden. Herzensgut zu sein."
Militär ist russisches Heiligtum
Das Militär ist ein russisches Heiligtum, sagt der Politologe Aleksej Makarkin. Der Wehrkundeunterricht aus sowjetischen Zeiten, in den 90er-Jahren kurzzeitig abgeschafft, ist längst wieder Pflichtfach an russischen Schulen. Fernsehen und Kinos zeigen massenweise Kriegsfilme. Gefragt nach bedeutenden Persönlichkeiten ihrer Geschichte, nennen Russen regelmäßig viele Generäle. Und die Regierung tut viel, um die Armee bei der Bevölkerung populär zu machen.
Im August findet in Russland auch die Weltmeisterschaft im Panzerbiathlon statt, gefördert vom Verteidigungsministerium. Dies Jahr sind erstmals Zuschauer zugelassen. Bei der Eröffnungsfeier bewegen sich Profitänzer im Walzertakt Tschaikowskijs, dazu drehen sich vier Panzer im Kreis. Ein fünfter kommt ins Bild und dreht eine Pirouette. Panzerbalett.
Panzerbiathlon mit 17 teilnehmenden Ländern
Beim Panzerbiathlon treten 17 Länder an, darunter unter anderem China, Indien, Angola, die Mongolei, Serbien. Die Mannschaften müssen Hindernisse überwinden und schießen. Das russische Fernsehen sendet ausführlich.
"Die Mongolei ist gestartet. In den Vorläufen waren die Mongolen nicht schlecht, auch Angola nicht. Das wird kein Spaziergang für die russische Mannschaft."
Gefahren wird auf russischen Panzern. Der Wettkampf ist auch eine Marketingmaßnahme. Russland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenexporteur weltweit und steigert seine Verkäufe seit Jahren. Unter den Teilnehmern des Panzerbiathlons sind wichtige Abnehmerländer.
"Schauen Sie, wie schnell der russische Panzer fährt! Stolz weht die rote Fahne."
Zurück auf das Schlachtfeld, zum Armeefestival. Der kleinen Lisa war das Schießen im Schützengraben dann doch unheimlich. Sie ist zurückgelaufen zu ihrer Mutter. Der Kurs für die kleine Feldkrankenschwester gefällt ihr besser. Jetzt hockt sie unter einer Zeltplane im Heu und verbindet einem kleinen Jungen die Kopfverletzung. Ihre Mutter hat Verständnis.
"Das ist wahrscheinlich richtig. Denn Frauen sind ja eher dazu bestimmt, zu helfen und zu lieben. Sie hat dort ihren Platz gefunden."