Miljenko Jergovic: "Die unerhörte Geschichte meiner Familie"
Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert
Schöffling und Co., Frankfurt am Main 2017
1144 Seiten, 34,00 Euro
Ein fetter Hase namens Göring
Vier Generationen, vier Nationen, drei Kriege: In "Die unerhörte Geschichte meiner Familie" schildert Miljenko Jergovic anhand seiner Familiengeschichte das Jugoslawien des 20. Jahrhunderts. Eine Sammlung emotional aufgeladener Anekdoten, Fotografien, Traumata.
Es ist eine deutsch-slowenisch-kroatisch-bosnische Familiengeschichte, die Jergovic aus den Trümmern der alten Donaumonarchie und Jugoslawiens hervorgezogen hat: zersplittert, unvollständig, fragmentiert. Und genauso hat Jergovic die Chronik der Familie Stubler und ihrer Nachkommen aufgeschrieben. Deshalb ist es zugleich mehr und weniger geworden als eine Chronik: um die zentrale Figur, den Urgroßvater Karlo Stubler, seines Zeichens K.u.k.-Eisenbahnbeamter, gruppieren sich die Figuren und Geschichten seiner Nachkommen, Freunde, Nachbarn und Kollegen in immer wieder wechselnden Mustern.
Deutsche Hasenzucht und bosnischer Hungerwinter
Stubler war ein Deutschstämmiger aus dem Banat, also dem heutigen Rumänien, seine Schwiegersöhne waren Slowenen und Kroaten. Er legte Wert darauf, Deutscher zu sein, aber, so befindet sein Urenkel, der Autor: Er konnte nur ein Deutscher sein, wo andere es nicht waren.
Eine der typischen metaphorisch aufgeladenen Erzählungen in diesem Buch ist die von Uropas Hasenzucht: Diese deutsche Gepflogenheit rettet die Familie durch die bosnischen Hungerwinter der Nachkriegszeit – und lässt den alten Stubler über sein Deutschsein nachdenken: "Die Hasen wurden seine Juden, der Hasenstall war sein Konzentrationslager." Am Ende ist er froh, dass seine Kinder und Kindeskinder keine Deutschen mehr sind. Und diese, ein typischer Jergovic-Dreh, nennen den schlachtreifen fetten weißen Hasen mit den blauen Augen ausgerechnet Göring. Dass Göring schließlich von einem verstörten russischen Emigrantenpaar entwendet wird, die ihn als ihren verlorenen Sohn betrachten wird, ist ein weiterer Dreh.
Eine der typischen metaphorisch aufgeladenen Erzählungen in diesem Buch ist die von Uropas Hasenzucht: Diese deutsche Gepflogenheit rettet die Familie durch die bosnischen Hungerwinter der Nachkriegszeit – und lässt den alten Stubler über sein Deutschsein nachdenken: "Die Hasen wurden seine Juden, der Hasenstall war sein Konzentrationslager." Am Ende ist er froh, dass seine Kinder und Kindeskinder keine Deutschen mehr sind. Und diese, ein typischer Jergovic-Dreh, nennen den schlachtreifen fetten weißen Hasen mit den blauen Augen ausgerechnet Göring. Dass Göring schließlich von einem verstörten russischen Emigrantenpaar entwendet wird, die ihn als ihren verlorenen Sohn betrachten wird, ist ein weiterer Dreh.
Ein Spiel zwischen Fiktion und Überlieferung
Es gibt zahllose solcher Geschichten in diesem Buch. Es ist wunderbar, wie Jergovic solche im Familienkreis stets wiederholten Anekdoten in Szene setzt: komisch, traurig und ergreifend. Dass er spielerisch zwischen Fiktion und Überlieferung wechselt, ständig die Perspektiven verschiebt, Randfiguren kurzzeitig zu Helden ihres eigenen kleinen Romans macht, und sich gelegentlich selbst widerspricht, ist dabei erzählerisches Programm. Denn eigentlich ist dieses Buch viel mehr als Roman, es ist ein Geflecht vieler Leben, vieler Romane, nicht zuletzt seines eigenen.
So bildet Miljenko Jergovic in diesem großartigen Werk tatsächlich einen Ausschnitt der großen Geschichte ab: vier Generationen, vier Nationen, drei Kriege. Jugoslawien im 20. Jahrhundert.