"Krebspatienten wollen nicht auf ihre Krankheit reduziert werden"
08:12 Minuten
Im Film „Milla Meets Moses“ von Regisseurin Shannon Murphy trifft die krebskranke Milla den wohnungslosen Moses. Mit ihm entdeckt sie die Liebe und sich selbst. Ein gelungenes Drama, das auch durch seinen Humor und Leichtigkeit überzeugt.
In Venedig lief im letzten Jahr Shannon Murphys Debütfilm "Babyteeth" im Wettbewerb. Die Australierin hatte bis dahin vor allem Theater gemacht hat - auch in Berlin, an der Schaubühne. Ihr Darsteller Toby Wallace hat schließlich den Preis als Bester Nachwuchsschauspieler gewonnen. Jetzt kommt der Film unter dem Titel "Milla Meets Moses" in die Kinos.
Der Film basiert auf einem Theaterstück von Rita Kalnejais. Die Geschichte um die Teenagerin Milla, die unheilbar Krebs hat, die mit ihren Eltern in einem schönen Haus in Sydney wohnt und die auf dem Weg nach Hause auf einem Bahnsteig Moses kennenlernt. Filmredakteurin Susanne Burg hat mit der Filmemacherin gesprochen:
Susanne Burg: Moses ist liebenswert und ein Junkie und sie freunden sich an – nicht sehr zur Freude der Eltern. Aber Moses bringt alles auf gute Art und Weise durcheinander. "Milla Meets Moses" ist ein Film über das Leben mit einem sehr absehbaren Ende, aber es gibt viel Humor im Film, auch zu großen Teilen eine Leichtigkeit. Es gibt nur eine Krankenhausszene, Milla sieht im Film auch immer ziemlich gut aus. Abgesehen vom Haar, das sie verliert und der Glatze, die man zwischendurch sieht, würde man sie gar nicht unbedingt als Krebspatientin ausmachen.
Shannon Murphy: Wir haben in der Vorbereitung viele Krebspatienten getroffen, und viele von ihnen sahen ziemlich gut aus. Nicht alle verlieren unbedingt Gewicht und sehen abgemagert aus. Bei Milla haben wir die Haut ein bisschen verändert und ihr Augenränder gemacht, und ihre Kleidung hängt am Ende des Films etwas lockerer am Körper.
Shannon Murphy: Wir haben in der Vorbereitung viele Krebspatienten getroffen, und viele von ihnen sahen ziemlich gut aus. Nicht alle verlieren unbedingt Gewicht und sehen abgemagert aus. Bei Milla haben wir die Haut ein bisschen verändert und ihr Augenränder gemacht, und ihre Kleidung hängt am Ende des Films etwas lockerer am Körper.
Aber für mich geht es im Film genauso um ein junges Mädchen, das Geige spielt und sich verliebt. Viele Krebspatienten wollen nicht auf ihre Krankheit reduziert werden, sie wollen auch nicht ständig darüber reden. Ich wollte eine ehrlich gelebte Erfahrung auf die Leinwand bannen. Auch bei den anderen Figuren. Auch Moses will ja nicht nur als Drogenabhängiger definiert werden. Deswegen freundet er sich ja auch mit Milla an, denn sie sieht ihn nicht so.
"Eine Perücke nannten wir die Amy-Winehouse-Perücke"
Burg: Eine Sache, die Milla macht, ist: Sie trägt unterschiedliche Perücken. Eine ist grellgrün, eine andere sieht nach natürlichem blondem langem Haar aus. Welche Rolle wollten Sie dem Haar im Film zuschreiben?
Murphy: Ich glaube, es ist eine große Sache für jemanden, alle Haare zu verlieren. Es ist beängstigend. Gleichzeitig dachten wir, für Milla ist es auch ein ziemlich radikaler, punkiger Look. Und er passt dazu, wo sie sich gerade in ihrem Leben befindet. Sie will dazu stehen, dass sie sich verändert, dass sie sich aus dem Kokon mit ihren Eltern löst. Die Perücken sollten daher sehr ausdrucksstark sein und ihr Bild und ihr Selbstbild verändern. Eine Perücke nannten wir die Amy-Winehouse-Perücke. Sie war blond und hochgesteckt und die war für ihre aufregende lange Nacht im Club.
Die Grüne war spielerisch, eine Mischung aus junger Frau und Teenager, eine Art Manga-Look. Und die mit den langen Haaren war eine traditionelle Krebs-Perücke. Die bekommen Krebspatienten. Sie sieht sehr echt aus, ist aufwendig gemacht und teuer. Und Toby Wallace, also Moses, hat Millas Haar in der einen Szene, in der sie punkiger aussehen will, wirklich abgeschnitten. Das sollte live passieren, weil ich auch die Angst von Eliza Scanlen als Darstellerin aufnehmen wollte, wenn sie ihr echtes Haar verliert. Der Haarschnitt sollte auch etwas roh und fehlerhaft aussehen.
Burg: Wie Sie schon sagten, Milla möchte nicht durch ihre Krankheit definiert werden. Es ist ja auch ein Film über eine junge Frau, die versucht, Kindheit und Erwachsensein, die erste und letzte Liebe miteinander zu vereinbaren, und das alles in einer sehr komprimierten Zeit. Was waren die Herausforderungen, das so zu verdichten?
Burg: Wie Sie schon sagten, Milla möchte nicht durch ihre Krankheit definiert werden. Es ist ja auch ein Film über eine junge Frau, die versucht, Kindheit und Erwachsensein, die erste und letzte Liebe miteinander zu vereinbaren, und das alles in einer sehr komprimierten Zeit. Was waren die Herausforderungen, das so zu verdichten?
Murphy: Das ist das Spannende an der Art, wie Rita Szenen schreibt. Man ist sofort und unmittelbar in der Szene, es gibt keine Einführung. Ich habe im Laufe der Arbeit noch mal ihr Theaterstück gelesen. Da gibt es Kapitelüberschriften, und ich habe zu Rita gesagt: Wir müssen die mit in den Film nehmen.
Das unterstützt die Unmittelbarkeit. Man denkt nicht mehr über Zeit nach, über die Krebsbehandlung, man landet sofort in Millas Leben. Die Überschriften sind am Anfang sehr praktisch orientiert. Zum Beispiel: "Als Milla Moses am Gleis 4 traf". Im Laufe des Filmes werden sie poetischer und mehr zu ihrem inneren Tagebuch und Monolog. Und dann werden sie episch. So etwas wie "Was die Toten Milla sagten". Sie ändern also ihre Regeln im Laufe des Films.
Burg: Sie haben ja auch selber sehr viel Erfahrungen im Theater gesammelt. Hat Ihnen das geholfen, das Stück in einen Film umzuwandeln, oder war es so schwierig, gerade weil Ihnen das Theater so vertraut ist?
Murphy: Das Tolle daran ist, dass ich zuerst im Theater gearbeitet habe: Ich will nicht, dass meine filmische Arbeit so aussieht wie meine Theaterarbeit. Film ist ein anderes Medium. Man ist nicht in der Totale gefangen und hat viel mehr Freiheiten. Rita war das sehr bewusst. Sie wollte nicht, dass sich das Drehbuch wie Theater anfühlt.
Die Nahaufnahmen sind sehr nah. Viele australische Filmen bestehen aus Landschaftsaufnahmen. Wir wollten, dass die Gesichter die Landschaft bilden. Wir haben also ständig über Theater nachgedacht und wollten nichts Theatralisches im Film haben. Und gleichzeitig liebe ich ja auch das Theater. Das heißt, die Farben und die Körperlichkeit finden sich schon im Film wieder.
Burg: Es gibt – wie Sie sagten – viele Nahaufnahmen. Und es gibt auch viel Bewegung im Film. Sie haben mit einer Steadycam gearbeitet. Auch um es filmischer und dynamischer zu machen?
Murphy: Ja, wir haben mit der Handkamera, mit der Steadycam und manchmal auch mit einem Einbeinstativ gearbeitet, um die kinetische Energie bei den Schauspielern zu halten. Unser Kameramann Andrew Commis war häufig wie eine andere Figur im Film, weil er sich mit den Schauspielern bewegt, mit ihnen mit der Kamera tanzt. Wir hatten alles genau geplant, sind dann aber auch beim Drehen immer mit der Energie im Raum mitgegangen.
"Moses sprengt die Familiendynamik"
Burg: Wenn wir von Energie sprechen: Die Familiendynamik, die Energie in der Familie, ist ja auch interessant. Sie bewegt sich von Leichtigkeit über Verweigerung zur Implosion. Wie würden Sie die Dynamik zwischen den Eltern und der Tochter und den Eltern untereinander beschreiben?
Murphy: Das Verhältnis zwischen den Eltern und der Tochter ist komplex. Schön und gleichzeitig einengend. Milla ist Einzelkind und sie gibt den Eltern so viel. Als Moses dann in die Familie kommt, sprengt er die gesamte Dynamik. Die Eltern wissen nicht, wie sie mit ihm umgehen sollen. Für Milla ist es toll, ihre Eltern erstmals dabei zuzusehen, wie sie die Kontrolle verlieren. Die Grenzen dessen, was sie erlauben, werden immer weiter ausgedehnt. Milla genießt das und nutzt es aus. Es geht für mich im Film viel darum, wie viel Druck wir durch unsere Gefühle auf Kinder ausüben.
Burg: Der Film spielt in Sydney. Aber es gibt keine Postkartenansichten der Stadt. Welches Bild von Sydney wollten Sie vermitteln?
Murphy: Ein Sydney, in dem ich lebe. Wir haben zum Beispiel in Glebe gedreht, an einem Basketballfeld, wo Moses viel abhing. Das ist ein tolles Viertel mit Cafés und Studenten und einer Mischung verschiedener Welten. Ihre Clubnacht verbringt Milla in Redfern, wo es viele Bars gibt und auch viele indigene Bewohner. Ich wollte Sydney – wie die Figuren auch – sehr authentisch zeigen. Da ist nichts Malerisches dabei. Sogar bei der letzten Szene am Strand wollte ich nicht, dass es sonnig ist, dass es ein perfekter Tag ist, denn so ist das Leben nicht. Meine Arbeit ist farbig und lebendig, aber nicht hübsch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.