Millionenschwerer Kunstbetrug
Der Selbstmord Mark Rothkos, ein bedeutender Vertreter des Abstrakten Expressionismus, war der Beginn einer großen Verschwörung in der Kunstwelt. Aufgedeckt wurde sie in einem Gerichtsprozess. Die Journalistin Lee Seldes war anwesend und arbeitete 14.500 Seiten Protokoll durch. In "Das Vermächtnis des Mark Rothkos" liefert sie einen Einblick in das Haifischbecken des globalen Kunstmarktes.
Am 25. Februar 1970 begeht der Maler Mark Rothko in seinem New Yorker Atelier Selbstmord. Er ist zu diesem Zeitpunkt einer der bedeutendsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus. Seine großformatigen Gemälde mit den schwebenden, verschwimmenden Farbfeldern werden mit etwa 50.000 Dollar pro Leinwand gehandelt. Nach seinem Tod steigen die Preise rasant. Und Rothkos Werk wird so gründlich von einem skrupellosen Galeristen und drei korrupten Nachlassverwaltern geplündert, dass die zeitgenössische Presse von einem "Watergate der Kunstwelt" sprechen wird.
Es ist die Klage der 19-jährigen Tochter des Malers, Kate Rothko, die den betrügerischen Ausverkauf 1971 vor Gericht und in den kommenden Jahren ans Licht bringt. Während des Prozesses, der 89 Verhandlungstage dauert und Millionen Dollar an Anwaltskosten verschlingt, ist Lee Seldes die einzige Journalistin im Gerichtssaal. In den folgenden zwei Jahren wird sie sich durch 14.500 Seiten Gerichtsprotokoll arbeiten, Interviews mit allen Beteiligten führen, die sie zum Gespräch überreden kann und 1974 eine Rekonstruktion all der Insidergeschäfte, Scheinverkäufe und Vertragsfälschungen vorlegen, die den Beklagten nachgewiesen werden können. 1996 erscheint dieser Bericht in einer zweiten, erweiterten Auflage - seit diesem Februar liegt er auch in deutscher Übersetzung vor.
Endlich. Denn man wird so schnell keine zweite Fallstudie finden, die mit so gewissenhafter Akribie den inzestuösen Verstrickungen des damaligen Kunstmarktes nachgeht: Dem Interessenskonflikt des Freundes und Finanzberaters, der gleichzeitig als Vertreter von Rothkos Nachlass und als Schatzmeister der Galerie auftritt, die sich diesen Nachlass weit unter Wert unter den Nagel reißen will. Der Gerissenheit des Galeristen, der Rothkos Werke in einem Labyrinth aus Liechtensteiner Scheinfirmen verschwinden und seine Kontakte in die Aufsichtsräte der New Yorker Museen spielen lässt, um deren Ausstellungs- als Verkaufsräume zu nutzen. Dem Geschäftsgebaren der "Art Dealers Association of America", deren Mitglieder von der amerikanischen Steuerbehörde gebeten werden, die eigenen Abschreibungen zu begutachten. Und - im Zentrum des Spinnennetzes: Dem Verrat von Freunden und Vertrauten an den immer wieder formulierten Wünschen des Malers Mark Rothko, der sein Werk bewahren und es der Öffentlichkeit in großen Ensembles präsentieren wollte.
Lee Seldes erzählt die Geschichte von der Entstehung des globalen Kunstmarkts so, als würde sie ein Haifischbecken äußerst präzise vermessen und ausloten. Detailliert und ausführlich schildert sie Winkelzüge und Transaktionen – und verleiht der Kaltblütigkeit auf diese Weise scharfe Konturen. Wenn sie berichtet, dass der Galerist Sidney Janis dem Nachlassverwalter des verstorbenen Künstlers Franz Kline 200.000 Dollar überweist – und die Information hinzusetzt, dass der Maler bis zu seinem Tod von 5.000 Dollar im Jahr leben musste – dann lässt das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Die Kehrseite dieser Präzision und Ausführlichkeit ist eine Materialüberfülle von über 500 Seiten, deren Lektüre dem Leser streckenweise die gleiche Ausdauer abfordert, die die Autorin bei ihrer Recherche sicherlich aufbringen musste. Erschwerend kommt hinzu, dass Seldes sich nicht auf die Strukturen ihres Spinnennetzes konzentriert, sondern auch Lebens- und Leidensgeschichte des Künstlers Mark Rothko erzählt – im Dienste einer Dramaturgie, die den depressiven, kranken Künstler immer wieder plakativ mit den gierigen Plünderern seines Werks kontrastiert. Es wäre nicht nötig gewesen.
Ein Tipp noch: Bis zum dritten August sind wichtige Werke Mark Rothkos in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. In einer Ausstellung, die ohne die Unterstützung von Kate Rothko Prizel und Christopher Rothko, den Kindern des Malers, nicht zustande gekommen wäre. Wer sich vor dem Ausstellungsbesuch der Lektüre dieses Buchs widmet, wird die Betrachtung der leuchtenden Leinwände im Wissen um ihre Irrfahrten und Gefährdungen umso mehr genießen können.
Rezensiert von Alexandra Mangel
Lee Seldes: Das Vermächtnis Mark Rothkos
Aus dem Amerikanischen von Marcus Mohr
Parthas Verlag Berlin 2008
523 Seiten, 29,80 Euro
Es ist die Klage der 19-jährigen Tochter des Malers, Kate Rothko, die den betrügerischen Ausverkauf 1971 vor Gericht und in den kommenden Jahren ans Licht bringt. Während des Prozesses, der 89 Verhandlungstage dauert und Millionen Dollar an Anwaltskosten verschlingt, ist Lee Seldes die einzige Journalistin im Gerichtssaal. In den folgenden zwei Jahren wird sie sich durch 14.500 Seiten Gerichtsprotokoll arbeiten, Interviews mit allen Beteiligten führen, die sie zum Gespräch überreden kann und 1974 eine Rekonstruktion all der Insidergeschäfte, Scheinverkäufe und Vertragsfälschungen vorlegen, die den Beklagten nachgewiesen werden können. 1996 erscheint dieser Bericht in einer zweiten, erweiterten Auflage - seit diesem Februar liegt er auch in deutscher Übersetzung vor.
Endlich. Denn man wird so schnell keine zweite Fallstudie finden, die mit so gewissenhafter Akribie den inzestuösen Verstrickungen des damaligen Kunstmarktes nachgeht: Dem Interessenskonflikt des Freundes und Finanzberaters, der gleichzeitig als Vertreter von Rothkos Nachlass und als Schatzmeister der Galerie auftritt, die sich diesen Nachlass weit unter Wert unter den Nagel reißen will. Der Gerissenheit des Galeristen, der Rothkos Werke in einem Labyrinth aus Liechtensteiner Scheinfirmen verschwinden und seine Kontakte in die Aufsichtsräte der New Yorker Museen spielen lässt, um deren Ausstellungs- als Verkaufsräume zu nutzen. Dem Geschäftsgebaren der "Art Dealers Association of America", deren Mitglieder von der amerikanischen Steuerbehörde gebeten werden, die eigenen Abschreibungen zu begutachten. Und - im Zentrum des Spinnennetzes: Dem Verrat von Freunden und Vertrauten an den immer wieder formulierten Wünschen des Malers Mark Rothko, der sein Werk bewahren und es der Öffentlichkeit in großen Ensembles präsentieren wollte.
Lee Seldes erzählt die Geschichte von der Entstehung des globalen Kunstmarkts so, als würde sie ein Haifischbecken äußerst präzise vermessen und ausloten. Detailliert und ausführlich schildert sie Winkelzüge und Transaktionen – und verleiht der Kaltblütigkeit auf diese Weise scharfe Konturen. Wenn sie berichtet, dass der Galerist Sidney Janis dem Nachlassverwalter des verstorbenen Künstlers Franz Kline 200.000 Dollar überweist – und die Information hinzusetzt, dass der Maler bis zu seinem Tod von 5.000 Dollar im Jahr leben musste – dann lässt das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Die Kehrseite dieser Präzision und Ausführlichkeit ist eine Materialüberfülle von über 500 Seiten, deren Lektüre dem Leser streckenweise die gleiche Ausdauer abfordert, die die Autorin bei ihrer Recherche sicherlich aufbringen musste. Erschwerend kommt hinzu, dass Seldes sich nicht auf die Strukturen ihres Spinnennetzes konzentriert, sondern auch Lebens- und Leidensgeschichte des Künstlers Mark Rothko erzählt – im Dienste einer Dramaturgie, die den depressiven, kranken Künstler immer wieder plakativ mit den gierigen Plünderern seines Werks kontrastiert. Es wäre nicht nötig gewesen.
Ein Tipp noch: Bis zum dritten August sind wichtige Werke Mark Rothkos in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. In einer Ausstellung, die ohne die Unterstützung von Kate Rothko Prizel und Christopher Rothko, den Kindern des Malers, nicht zustande gekommen wäre. Wer sich vor dem Ausstellungsbesuch der Lektüre dieses Buchs widmet, wird die Betrachtung der leuchtenden Leinwände im Wissen um ihre Irrfahrten und Gefährdungen umso mehr genießen können.
Rezensiert von Alexandra Mangel
Lee Seldes: Das Vermächtnis Mark Rothkos
Aus dem Amerikanischen von Marcus Mohr
Parthas Verlag Berlin 2008
523 Seiten, 29,80 Euro