Jung, motiviert, bloß geduldet
Die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge wächst, bis zu 8000 könnten im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sein. Der Afghane Yazdan Scharifi ist einer davon. Er hat bereits eine Ausbildung begonnen, doch ihm droht die Abschiebung.
Die Blechnerei "Otto Carle" in Mannheim. Seit über drei Jahren der Arbeitsplatz von Yazdan. Im Blaumann steht der Lehrling an der Werkbank, arbeitet hochkonzentriert. Funken sprühen, als der Chef vorbeischaut......
"Also Yazdan, das hast du gut geschweißt! Das ist eine sehr schöne Kehl-Naht. Vielleicht etwas langsamer fahren. Gell? Probierst noch einmal, ja?"
Die Kollegen verschwinden in den Pausenraum- Yazdan hat nun Zeit zu erzählen. Von seinem Leben, dass vor einundzwanzig Jahren begann. Tausende Kilometer von Deutschland entfernt.
"Ich komme aus Afghanistan. Meine Eltern haben einen Bauernhof. Ich hatte als Schäfer gearbeitet, wir haben ziemlich viele Tiere. Und - da bin ich aufgewachsen."
Mitten in der Nacht spontan geflohen
Ein raues, aber schönes Leben hoch oben in den Bergen, berichtet Yazdan. Bis irgendwann der Krieg auch sein Heimatdorf erreichte. Yazdan´s Vater schließt sich dem Widerstand an gegen die Taliban, er befehligt bald 500 Kämpfer. Immer dann, wenn marodierende Truppen das Dorf tyrannisieren, muss er untertauchen. Auf der Suche nach ihm, setzten die Taliban seine Familie unter massiven Druck:
"Die haben uns bedroht immer wieder, geschlagen. Meine Mutter haben sie an den Haaren gezogen und sie gegen die Wand geschlagen. Und sie wollten, dass ich mich als Selbstmordattentäter in die Luft sprenge und meinen kleiner Bruder dazu. Ich wusste nicht, was noch als nächstes kommt."
Yazdan ist damals 13 Jahre alt. Die Gefahr ist schließlich so groß, dass sein Vater eine Entscheidung trifft. Mitten in der Nacht holt er den Sohn aus dem Bett, der Junge muss Abschied nehmen. Für immer! Mit Schleppern flüchtet er über die Berge – sein Ziel: Europa. Eineinhalb Jahre bin ich unterwegs gewesen, erzählt Yazdan - dabei hält er sich leicht verschüchtert an der Werkbank fest, die dunklen Augen gehen zu Boden. Oft standen tagelange Fußmärsche an, dann ging es zusammengepfercht mit anderen im LKW weiter, mit dem Boot übers Mittelmeer, bis er irgendwann Deutschland erreicht. Im Zug. Ein Schaffner entdeckt ihn ohne Fahrkarte – übergibt ihn der Bundespolizei in Mannheim. Zwei Tage verbringt der inzwischen 15jährige in Abschiebehaft, wo er schließlich kollabiert.
"Das war für mich sehr schrecklich, ich konnte auch nicht essen. Und dann hat die Polizei den Arzt verständigt, dass ich krank bin. Und dann hat der Arzt herausgefunden, dass ich minderjährig bin und dass ich das nicht aushalten kann!"
Als minderjähriger Flüchtling ohne Angehörige steht Yazdan unter besonderem Schutz. Er muss nicht, wie andere, in eine Erstaufnahmestelle, sondern wird dem Jugendamt übergeben, das sich um alles weitere kümmert: einen Heimplatz, soziale Betreuung, seine Ausbildung. Eine Chance, die der junge Afghane zu nutzen weiß. Im Handumdrehen lernt Yazdan, der in seiner Heimat nie zuvor eine normale Schule besucht hatte, Deutsch. Zwei Jahre später macht er den Hauptschulabschluss, beginnt eine Lehre als Metallbauer.
"Ich konnte nicht schlafen, ich konnte nicht unterwegs sein!"
Ein "schwindelerregendes" Tempo, das minderjährige Flüchtlinge häufiger "an den Tag legen würden", erklärt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özogus, am Rande eines Fachkongresses:
"Sie merken, sie sind alleine! Sie haben ja eben dann auch wirklich niemanden -außer vielleicht andere junge Leute, die sie bei der Flucht kennengelernt haben oder mit denen sie in einer Unterkunft sind. Die sind wahnsinnig engagiert! Darüber spricht man halt nur leider viel zu selten. Die versuchen irgendwie hier Fuß zu fassen und das ist doch wunderbar! Ich meine, wir reden ständig darüber, dass wir junge Menschen brauchen, dass wir sie ausbilden müssen. Die kommen ja schon zu uns und wollen gerne etwas leisten. Ich glaube, wir müssen hier einfach schneller und aktiver sein – aber ich sehe uns da auch auf einem guten Weg."
Auf einem guten Weg? Für Yazdan jedenfalls war er überaus steinig! Bis heute sei er lediglich „geduldet", erzählt er im Betrieb, habe keinen festen Aufenthaltsstatus. Die Vorstellung, von Beamten nachts geholt und mit dem Flugzeug zurück nach Afghanistan verfrachtet zu werden, ließ ihn während der gesamten Lehrzeit nicht zur Ruhe kommen - drohte ihm den Boden unter den Füßen zu entreißen.
"Ich konnte nicht schlafen, ich konnte nicht unterwegs sein! Ich konnte nicht mein Zimmer oder mein Heim verlassen, außer zur Schule. Immer Angst, diese Angst abgeschoben zu werden. Dieser ganze Fluchtweg und alles. Das kann man nicht zweimal oder dreimal mitmachen!"
Dabei hält sein Meister, Andreas Carle, große Stücke auf ihn. Yazdan habe sich zu einem ausgezeichneten Handwerker entwickelt, lobt der Fachmann. Nach der Prüfung würde er ihn gerne übernehmen.
"Es wäre ja auch schade, wenn wir den Mann gehen lassen würden. Er kennt sich in der Firma aus, er kennt jeden Lichtschalter, jede Maschine."
"Das wäre bitter für Sie, oder?"
"Auf jeden Fall ein Verlust, ja!"
"Das wäre bitter für Sie, oder?"
"Auf jeden Fall ein Verlust, ja!"