Wenn Tante Emma die Puste ausgeht
Einen Stundenlohn von 8,50 Euro können sie nicht zahlen, sagen viele Betreiber kleiner Läden auf dem Land oder in Kleinstädten. Droht die Provinz zu veröden, wenn "Tante Emma" Mindestlohn zahlen muss?
Das "City Center" mitten in der 11.000-Einwohner-Stadt Mühlheim-Kärlich ist die moderne Version des Tante-Emma-Ladens. Links hinten gefliest, mit Dosenerbsen und Katzenfutter in Regalen, rechts hinten der Boutique-Bereich auf Parkett, mit Damenblusen und Modeschmuck. Vorn rechts Zeitschriften und Postagentur. Vorn links Backshop und Mini-Café. Dort hat sich Anni Dott niedergelassen.
"Und dann trink isch mir ne Kaffee, und wir treffen immer mittwochs und freitags hier mit nen paar Senioren, und das ist immer so schön."
"Isch schneid Ihne dat Brot gleisch, gä, Frau Dott - Sie sind ja doch noch n bisschen da."
Sonja Heilmann arbeitet im City Center als Teilzeitkraft. Der Laden brummt an diesem frühen Nachmittag, Heilmann pendelt zwischen Zeitschriften und Backshop, kassiert bei den Lebensmitteln, bringt der Stammkundin Anni Dott die voll gepackte Tüte an den Kaffeetisch und vergisst nicht, auch das Brot noch zu schneiden.
Heilmann und die verbliebenen Teilzeitkräfte sind im Stress, sie bekommen zu spüren, dass ihr Chef unter dem Kostendruck des Mindestlohns Stellen und Stunden eingespart hat. City-Center-Inhaber Gerd Harner sah sich gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen.
Jobkiller Mindestlohn?
"Eine Dame, die als Langzeitarbeitslose gezählt wurde, habe ich in das Unternehmen letztes Jahr mit hineingenommen, weil sie gewisse Arbeiten gut machen konnte. Ich habe sie beschäftigt, sie war sozial aufgefangen, hatte eine Perspektive und geregelte Arbeitszeiten. Und aufgrund dieser Situation war es mir jetzt einfach nicht mehr möglich, die Dame weiter zu beschäftigen, und die Konsequenz war, dass die wieder in Hartz IV reingefallen ist und da natürlich jetzt erst mal wieder persönlich ein Problem hat."
Außerdem reduzierte Harner die Zahl der Minijobs in seinem Einkaufszentrum und seinen vier Postagenturen in der Kleinstadt.
Harner: "Da ist die Rentnerin, die einfach nebenher noch n bisschen arbeiten will. Die konnte man bisher beschäftigen, auch für 6,50, oder sieben Euro. Die war zufrieden, die wollte nicht mehr, die wollte nur beschäftigt werden."
Dehnert, Verdi: "Das ist im Einzelfall verständlich, es mag auch Leute geben, denen es egal ist, wie sie bezahlt werden, aber sie die Arbeitsbedingungen kaputt."
Kontert Jürgen Dehnert von Verdi Rheinland-Pfalz. Ohne den Mindestlohn wären die Löhne bei den Arbeitgebern, die nicht im Verband sind, weiter im freien Fall, meint er. Der Mindestlohn ziehe da endlich eine Decke ein. Gerd Harner konkurriert in Mühlheim-Kärlich mit einem der größten Fachmarktzentren Deutschlands auf der grünen Wiese. Für ihn als Einzelhändler ist das Problem, dass
"letztendlich, wenn ich die Stunden alle mit 8,50 Euro bezahlen muss, das Geschäft nicht mehr rentabel ist. Und dann müsste ich dieses Geschäft jetzt aus wirtschaftlichen Gründen schließen ... und sagen, ich kann dat nicht mehr aufrechterhalten, weil irgendwann ist dann auch die soziale Komponente am Ende, ja."
Der Laden als Treffpunkt
Auf die soziale Komponente legte Harner bislang viel Wert: Sein Laden soll in Mühlheim-Kärlich Nahversorger und Treffpunkt sein. Senioren wie Anni Dott sind froh, dass sie dort ein paar Schritte von zu Hause entfernt umsorgt werden. Das Riesen-Fachmarktzentrum auf der grünen Wiese ist für sie unerreichbar.
"Da muss ich jedes Mal noch zwölf Euro Taxi bezahlen für hin und zurück, und das seh' isch nit ein, für die zwölf Euro kann ich hier nämlich einkaufen. Und ich bin hier zufrieden. Ich bin wirklich, froh, dass es hier noch alles gibt."
Der Chef steht jetzt mehr im Laden, die Mindestlohn-Dokumentation beschäftigt ihn abends und am Wochenende. Für Gerd Harner steht fest: Der Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze, schwächt den inhabergeführten Einzelhandel und lässt die Provinz weiter veröden. Der kleine Händler steht unter Druck, bestätigt Jürgen Dehnert von Verdi Rheinland-Pfalz, aber vor allem deshalb, weil die Politik seit Jahrzehnten die Einzelhandelsriesen hofiere:
"Verlängerte Ladenöffnungszeiten, erweiterte Sonntagsöffnungszeiten - das Ausweisen von Verkehrsflächen zu Vorzugspreisen - das kommt nur den Großen zugute, das kommt nur den Konzernen zugute - das ist die Schieflage dabei. Diese Bereiche machen den Druck auf den kleinen, inhabergeführten Einzelhandel und bringen ihn an den Rand des Ruins. Den Mindestlohn trifft dabei die geringste Schuld."
Für City-Center-Chef Gerd Harner schlägt Mitte des Jahres die Stunde der Wahrheit. Dann will er Bilanz ziehen, ob seine kleine Handelskette in Mühlheim-Kärlich dem Kostendruck standhalten kann. Stammkundin Anni Dott hält jedenfalls die Daumen.
"Dat hier dat läuft, dat is schon wat wert!"