"Museen werden mit den Mehrkosten alleingelassen"
Der Mindestlohn sorgt für Mehrkosten, auch in der Kultur. Wieder einmal würden die Konsequenzen einer politischen Entscheidungen einfach auf die Institutionen abgewälzt, beklagt Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes.
Seit dem 1. Januar gilt in Deutschland der Mindestlohn - zwar mit vielen Einschränkungen, aber im Prinzip darf niemand mehr weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen. Und wie andere Branchen klagen auch Teile des Kulturbetriebes über die negativen Folgen des Mindestlohns.
Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes und Leiter des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, sieht die Angelegenheit gelassener: Viele prekäre Arbeitsverhältnisse kämen dadurch zustande, dass beispielsweise Theater trotz unzureichender finanzieller Ausstattung mit allen Mitteln ein ambitioniertes Programm verwirklichen wollten, kritisiert er: "Ich finde, so fair kann man der Politik gegenüber schon sein, auch der Gesellschaft, dass man sagt: Wir können nur das machen, wofür man uns auch die Ressourcen zur Verfügung stellt."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Seit gut einem Monat gilt nun in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde, und seitdem hört das Wehklagen nicht auf in einigen Branchen, zum Beispiel bei der Taxibranche, der Gastronomie, bei den Verlagen, die sagen, sie können ihre Zusteller morgens nicht mehr bezahlen.
Aber auch Teile des Kulturbetriebs sehen Schwierigkeiten. Da war schon einiges von den Theatern zu hören, aber auch für Museen sind 8,50 Euro offenbar nicht immer eine absolute Selbstverständlichkeit. So bekam das Deutsche Historische Museum schon 2008 von der Organisation Fair Work die Goldenen Raffzähne verliehen, weil dort eine junge Frau mit abgeschlossenem Studium sechs Monate lang 36 Stunden pro Woche arbeiten sollte – und zwar unentgeltlich. Das wäre so aber inzwischen ohnehin nicht mehr möglich, denn auch das regelt ja das Mindestlohngesetz: Praktika dürfen nur noch maximal drei Monate am Stück dauern.
Wir wollen über die Folgen dieses Gesetzes und wie gerade die Museumsbranche damit umgehen kann, soll und muss jetzt mit Dr. Eckart Köhne reden. Er ist einerseits der Leiter des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe und andererseits auch der Präsident des Deutschen Museumsbundes. Erst mal schönen guten Morgen, Herr Köhne!
Eckart Köhne: Guten Morgen!
"Ein Deal, der vielleicht nicht immer gut ist"
Kassel: Wenn wir ja doch noch mal bei diesem, ich gebe es ja zu, nun schon sieben Jahre alten Fall des Deutschen Historischen Museums bleiben: Sind Museen manchmal Raffzähne und Abzocker?
Köhne: Also es gibt solche persönlichen Regelungen, und es ist eben auch so, dass Wissenschaftler, die vorankommen wollen, natürlich auch, ich sage mal, der Gefahr ausgesetzt sind, sich selber auszubeuten. Das muss keiner machen, aber wenn ein Museum so etwas zulässt, dann haben beide Seiten einen Deal geschlossen, der vielleicht nicht immer gut ist.
Kassel: Aber Sie kennen das, dann bleiben wir doch noch mal dabei: Wenn diese Frau jetzt gesagt hätte damals, ich mache das nicht, hätten sich wahrscheinlich zehn andere gefunden, die es machen. Also so groß ist die Wahl dann ja auch nicht.
Köhne: Weiß ich nicht. Also es ist eben einfach in den Museen mittlerweile so – und deswegen ist das Beispiel vielleicht nicht ganz so gut gewählt, weil es eben auch viele Jahre zurückliegt – dass gerade die größeren Häuser ja dem Tarifrecht unterliegen sowieso, aber die größeren Häuser einen Personalrat haben, dass man heute sehr viel genauer hinguckt. Es ist auch in den Personalvertretungsgesetzen weit mehr passiert in den vergangenen Jahren. Und ich würde denken, dass es ja zu solchen Situationen früher gekommen ist, und vielleicht bringt das Mindestlohngesetz hier ja sogar Hilfe.
Kassel: Die Theaterbranche klagt ja sehr darüber, dass Praktika jetzt maximal drei Monate am Stück dauern dürfen, hat sogar gesagt, das wird zur Folge haben, dass wir den Kontakt zu jungen Mitarbeitern verlieren. Wir können gewisse Dinge nicht mehr machen. Wie wichtig sind denn Praktika in der Museumsbranche?
Köhne: Also es gibt sie in der Berufsausbildung, bei den Restauratoren beispielsweise. Da ist aber auch das Mindestlohngesetz kein Problem. Darüber hinaus haben wir immer Praktika, weil eben Studierende während ihres Studiums ja auch einen Bezug zur Berufswelt finden müssen, aber die sind in der Regel während der Semesterferien und normalerweise sechs bis acht Wochen lang. Also diese Fälle von Langzeitpraktikanten, die gab es sicherlich, aber ich könnte mir vorstellen, dass man ... Wenn man das regelmäßig gemacht hat – ich kenne die Praxis nicht aus meinen Museen –, könnte man sicher drauf verzichten.
Betroffen sind vor allem Wach- und Reinigungspersonal
Kassel: Aber nun gibt es ja eine sehr unterschiedliche finanzielle Ausstattung in den Museen, wobei, ohne darauf rumreiten zu wollen, damit ist das DHM jetzt nicht raus aus diesen Vorwürfen, das ist nicht das ärmste, aber es gibt ja auch sehr kleine. Können Sie sich überhaupt nicht vorstellen, dass manchmal doch gewisse Ausstellungen von Volontären konzipiert werden und die Praktikanten arbeiten zu?
Köhne: Das Volontariat ist wieder was anderes. Da empfehlen wir ja TVöD 13 halbe als Deutscher Museumsbund, wenn man das bezahlt ...
Kassel: Das müssen Sie kurz erklären. TVöD, das ist der Tarifvertrag öffentlicher Dienst?
Köhne: Ja, das ist der Tarifvertrag. Also im Kern bedeutet das, dass man einem Volontär die Hälfte eines Wissenschaftlergehaltes zahlen soll. Das ist die Forderung des DMB. Und damit ist man dann über dem Mindestlohn für einen Ausbildungsvertrag, was ich für angemessen halte. Nicht alle Museen können das machen, weil die Träger das nicht zulassen.
Grundsätzlich muss ja der Grundsatz gelten, dass man für ordentliche Arbeit auch gut bezahlt wird. Und bei den Museen sind eben Bereiche, wo es um den Mindestlohn wirklich geht, Dinge, die normalerweise outgesourct werden, nämlich Wachdienst oder Reinigungsdienst. Sie kennen das Problem, dass man im Wachdienst oftmals im Museum auf Menschen trifft, die vielleicht nicht so kulturaffin sind oder dafür nicht so geeignet sind, weil sie eben diesen niedrigen Lohn bekommen, und ja, natürlich wird das jetzt für die Museen teurer, aber das bietet dann vielleicht auch die Chance, Mitarbeiter zu finden, die man über eine höhere Bezahlung vielleicht besser auswählen kann.
Kassel: Outsourcing heißt ja oft, ich bezahle eine Dienstleistung, und dann kriege ich halt die Mitarbeiter in der verabredeten Menge regelmäßig zu mir. Das ändert sich jetzt? Museen können sich das wieder besser aussuchen?
Köhne: Na ja, die Tarifverträge im Wachgewerbe lagen deutlich unter dem, was jetzt als Mindestlohn festgeschrieben worden ist, und es würde wahrscheinlich die Attraktivität dieser Leistungen erhöhen. Im Gegenzug ist das Problem, dass die Museen natürlich mit den Mehrkosten alleine gelassen werden. Also es ist ja oft so, dass bei politischen Entscheidungen dann die Konsequenzen, sagen wir mal, den Institutionen übertragen werden. Sicherlich kann man sich damit weniger Personal leisten, muss da gezielter gehen, aber dadurch, dass man das besser bezahlt, könnte man ja versuchen, eine qualitative Verbesserung zu erreichen.
Wir können nur das machen, wofür wir Ressourcen bekommen
Kassel: Aber müssen Sie nicht eigentlich, und ich finde, so indirekt haben Sie das gerade getan, aber auch als Reaktion auf das neue Gesetz zum Mindestlohn, eine bessere finanzielle Ausstattung fordern? Denn zum Beispiel, was sie beschrieben haben – und wir reden ja jetzt nur über die Sicherheitsleute, es gibt ja noch andere Bereiche –, da gibt es ja auch ein Minimum. Sie können ja nicht sagen: Wir haben nur noch einen Wachmann in einem Riesen-Museum.
Köhne: Na ja, man kann dann vielleicht weniger Projekte zum Beispiel machen. Wenn man jetzt die Überwachungskosten in ein Ausstellungsbudget einplant, und die steigen um, sagen wir mal, 15 Prozent oder 12 Prozent, dann wird man die Ausstellung vielleicht kleiner machen, sodass man mit weniger Wachleuten auskommt. Man kann sie kürzer laufen lassen. Also Museen müssen da kreativ mit ihren Summen umgehen, denn der stereotype Ruf nach mehr Geld, ja, der hat sich vielleicht ein bisschen abgenutzt. Es sollte schon konkret eine Begründung dahinter liegen. Wir hoffen eher, dass man uns so Dinge wie Tarifsteigerungen weitergibt.
Kassel: Aber auf der anderen Seite – genau das, was Sie sagen, ist ja das, was viele Leute befürchten: weniger Ausstellungen, kleinere Ausstellungen, kürzere Laufzeiten, ungünstigere Öffnungszeiten vielleicht auch. Damit schneidet man sich doch aber eigentlich auch ins eigene Fleisch, denn ein Museum gilt ja auch zu Recht als erfolgreich, wenn es viele Besucher hat.
Köhne: Na ja, die Politik schneidet da rein. Und wenn eine politische Entscheidung fällt, die die Museen Geld kostet, müssen die Museen ja versuchen, das mit ihren Mitteln zu kompensieren. Und ich meine, vielfach kommt es ja zu solchen, ja, Kapriolen, sage ich mal, gerade an den Theatern vielleicht auch, dass man eben ganz viel will und ganz viel versucht zu tun, und wenn aber der Hintergrund nicht stimmt, dann kommt man irgendwann dazu, dass es eben, ja, prekäre Arbeitsverhältnisse gibt, weil man versucht, mit hier allen möglichen und unmöglichen Mitteln noch das Angebot zu machen. Und ich finde, so fair kann man der Politik gegenüber schon sein, auch der Gesellschaft, dass man sagt: Wir können nur das machen, wofür man uns auch die Ressourcen zur Verfügung stellt.
Der Museumsleiter als Hausmeister
Kassel: Man sagt natürlich dann gerne, die Politik oder gewisse Kreise in der Politik: Na ja, es gibt ja nicht nur die staatliche Förderung, es gibt ja auch die Möglichkeit der Sponsoren. Aber nun ist klar: Einen finanzkräftigen Sponsor kriegt man nur für spektakuläre Ausstellungen, für etwas, was dann eher ein Event ist vielleicht als ein Kulturereignis. Fürchten Sie vielleicht auch eine zunehmende Kommerzialisierung, auch durch den Mindestlohn indirekt?
Köhne: Nein, fürchte ich nicht. Also man kriegt Sponsoren eben nicht für die Grundleistung, weil Sponsoren in der Regel der Auffassung sind, dass der Staat, der ein Museum unterhält, oder eine Kommune beispielsweise, dass die dafür Sorge tragen müssen, dass der Grundbetrieb läuft. Und letztlich sind wir dann in einer politischen Debatte drin: In welcher Form will man die Museen haben?
Und wir finden diese Diskussion gut, weil die Museen eben gerade jetzt zur Reflexion der Gesellschaft sehr viel beitragen können. Sie sind im kulturellen Erbe, dem Schutz dieses Erbes verpflichtet, sie erbringen Leistungen für die Gesellschaft, und zwar Leistungen, die weit über Ausstellungen und Projekte hinausgehen. Und wenn die Diskussion auf diesen Punkt kommt, dann tut das den Museen sicherlich gut.
Ich würde im Übrigen gerne noch eine andere Sache ansprechen. Wir haben in den Museen ja nicht nur am unteren Ende der Lohnskala Mitarbeiter, sondern auch am oberen Ende, im wissenschaftlichen Bereich, und da wird weit stärker gespart.
Also das Problem der Entlohnung im Museum ist eins, das man von beiden Seiten angehen muss, und in vielen Museen wird eben die Direktion zum Beispiel, die Museumsleitung nicht mal mehr wissenschaftlich bezahlt. Da wird erwartet, dass ein Museumsleiter Hausmeisterdienste übernimmt und Ähnliches, eben um Kosten zu sparen. Und an der Stelle würden wir viel lieber mal eine Diskussion über den Lohn und die Arbeit in Museen führen als beim Mindestlohn.
Kassel: Dann verspreche ich Ihnen jetzt was, weil wir an dieser Stelle am Ende sind, verspreche ich Ihnen was, was eventuell meine Redaktion dazu veranlassen wird, sich böse bei mir zu beschweren: Ich verspreche Ihnen, dass wir darüber beim nächsten Mal reden!
Köhne: Dann komme ich wieder vorbei. Vielen Dank!
Kassel: Danke, dass Sie heute gekommen sind. Wir haben darüber geredet, was Mindestlohn, Begrenzung von Praktikumszeiten und andere Dinge für die Museumslandschaft bedeuten, und wir haben darüber mit dem Leiter des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe und gleichzeitig auch Präsidenten des Deutschen Museumsbundes, Dr. Eckart Köhne, geredet. Herr Köhne, danke!
Köhne: Danke Ihnen!
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