Bleiben die Techkonzerne?
22:39 Minuten
Irland hat mit niedrigen Unternehmenssteuern viele Internetkonzerne und ihre Mitarbeiter auf die Insel gelockt. Nun haben sich fast alle Industrieländer auf eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent verständigt. Das wird Dublin verändern.
Mittwochmittag, 12 Uhr, am Grand Canal Square in Dublin. Daria und Claire verbringen hier ihre Mittagspause und blicken auf das Hafenbecken, in dem die Sonne glitzert. Die beiden jungen Frauen arbeiten in einer auf Nachhaltigkeit spezialisierten Beratungsfirma.
"Gerade ist es sogar noch verhältnismäßig ruhig hier. Wir sind heute im Büro, aber nur wir beide, der Rest ist noch im Homeoffice."
Claire stammt aus Südafrika, ihre Kollegin Daria aus Russland. Für die Arbeit sind die beiden wie viele andere Young Professionals nach Dublin gezogen: "Ich mag es, hier zu arbeiten – die Docks sind ein tolles Arbeitsumfeld. Viele junge Menschen, es passiert viel und immer sind Leute unterwegs."
Claire wohnt auch ganz in der Nähe der "Silicon Docks" – in Anlehnung an das Silicon Valley in Kalifornien wird das Dubliner Hafenviertel so genannt. Firmen wie Facebook, Google und Airbnb sitzen hier unter anderem. Riesige gläserne Hausfassaden erinnern an US-amerikanische Bürotürme. Irland hat in den vergangenen Jahren viele dieser Konzerne angezogen.
Irland ist stark auf Unternehmenssteuern angewiesen
Auch der Finanzprofessor Jim Stewart hat lange von zu Hause gearbeitet. Für unser Treffen ist er zum ersten Mal seit Langem wieder in seinem Büro an der Trinity Business School, die zum renommierten Trinity College in Dublin gehört. Stewart erklärt, wieso die Niederlassungen der großen Konzerne für Irland wichtig sind – und was die geplante globale Mindeststeuer für das Land bedeuten könnte:
"Die Einnahmen aus Unternehmenssteuern sind sehr hoch in Irland, sie machen etwa 20 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Das ist ein drei- oder viermal höherer Anteil als in Deutschland. Und das ist gefährlich, weil ein Großteil von nur zehn Firmen kommt. Wenn die sich wegen der Steuerreform aus Irland zurückziehen würden, hätte das ernste Konsequenzen für den irischen Arbeitsmarkt, aber auch für die Steuereinnahmen."
Für Irland steht durch die geplante Steuerreform also einiges auf dem Spiel. Unter Führung der USA haben sich die wichtigsten Industrienationen geeinigt: Unternehmen sollen Gewinne künftig nicht mehr in einem für sie günstigen Land versteuern, sondern dort, wo sie das Geld erwirtschaften.
Mindestens 15 Prozent sollen die Unternehmen künftig zahlen. Liegt der Steuersatz in einem Land niedriger, wird der Rest an ihrem Hauptsitz fällig. In Irland liegt der Satz bislang bei 12,5 Prozent – wobei der tatsächlich gezahlte Steuersatz mithilfe einiger Schlupflöcher in vielen Fällen noch viel niedriger war.
Zwar argumentiert die irische Regierung, dass auch andere Faktoren das EU-Mitglied Irland als Standort attraktiv machten. Dazu gehören die englische Sprache und die geringen Sozialabgaben. Die Mindeststeuer bekämpfte sie dennoch lange nach Kräften. Im Juni sagte Finanzminister Paschal Donohoe dem US-Sender CNBC:
"Wir werden uns in den kommenden Wochen und Monaten sehr intensiv in den OECD-Verhandlungen einbringen. Ich hoffe, dass eine Einigung erzielt werden kann, die der Bedeutung von legitimem Steuerwettbewerb für kleinere und mittelgroße Volkswirtschaften Rechnung trägt."
Irlands Regierung will 15 Prozent als künftiges Maximum
In diesem Monat soll die Mindeststeuer auf Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der G20 weiter vorangebracht werden. Irland signalisiert inzwischen Bewegung: Vize-Regierungschef Leo Varadkar legte einen Plan vor, wonach Irland den Steuersatz auf 15 Prozent angleichen könnte – aber nur für große Konzerne mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz. Für heimische und weniger umsatzstarke Unternehmen sollen weiter die 12,5 Prozent gelten.
Der irischen Regierung ist wichtig, dass der globale Steuersatz auch zukünftig nicht über 15 Prozent hinaus angehoben wird. Unter dieser Voraussetzung signalisierte Finanzminister Donohoe Ende September Kompromissbereitschaft:
"Wir fokussieren uns auf die Frage, ob es Irland möglich ist, dem Abkommen beizutreten. Wir nutzen unsere Energien und unser Engagement in der OECD und bei der EU-Kommission in positiver Weise, um auszuloten, ob eine Einigung möglich ist."
In den vergangenen Wochen und Monaten hatte sich der europäische Druck erhöht – etwa aus Frankreich, das seit Langem die Digitalkonzerne stärker besteuern will. Für die Umsetzung auf EU-Ebene ist Irlands Zustimmung entscheidend: Im Europäischen Rat, also von den Staats- und Regierungschefs, müssen Steuergesetze einstimmig beschlossen werden. Ein endgültiger Kompromiss und damit auch eine definitive Zusage Irlands könnte in dieser Woche erreicht werden.
Die großen Digitalkonzerne müssen sich also darauf einstellen, dass Irland an Bord kommt – und dass die Tage vorbei sind, in denen sie fast automatisch nur geringe Steuern zahlen, wenn sie in Dublin ansässig sind.
Facebook will in Irland bleiben
Der Sitz von Facebook ist relativ unscheinbar, wie vieles hier in den Docks, mit viel Glas, schrägen Fassaden, stürzenden Linien und vorne dran der "Like-Button", den man kennt.
Persönlich will bei Facebook niemand mit uns sprechen. Schriftlich teilt das Unternehmen mit: Man habe sich schon seit Langem für eine Reform des globalen Steuersystems ausgesprochen und begrüße die Pläne der G7-Staaten. Irland werde weiterhin der für die Region Europa, Naher Osten und Afrika zuständige Hauptsitz bleiben.
Auch andere Unternehmen wie Apple, Paypal und Amazon betonen ihre Verbundenheit mit Irland. Google und Airbnb reagierten nicht auf unsere Anfrage.
Finanzprofessor Stewart glaubt jedoch, dass zumindest ausländische Direktinvestitionen künftig rückläufig sein könnten – und dass die Konzernzentralen ausgedünnt werden könnten:
"Ich persönlich glaube, dass Google und Facebook nach und nach ihre Jobs dorthin verlagern, wo sie das Geld verdienen. Große Teile der Einnahmen kommen aus Deutschland oder Frankreich. Sie werden auch nicht über Nacht verschwinden, aber langsam Jobs verlagern, weil Irland für sie ein recht teurer Standort geworden ist."
Bruttoinlandsprodukt fast verdoppelt nach Finanzkrise
In der Finanzkrise vor gut einem Jahrzehnt noch auf die Unterstützung der Troika angewiesen, hat Irlands Wirtschaft ein gigantisches Wachstum hingelegt: Von 2010 bis 2020 verdoppelte sich das Bruttoinlandsprodukt fast, vor allem dank ausländischer Direktinvestitionen. Das habe in den letzten Jahren die Wirtschaftsbilanzen verzerrt, sagt Stewart:
Wenn die internationalen Konzerne sich zu stark von der heimischen Wirtschaft abkoppeln, entstehe ein Problem, erklärt Stewart:
"Das ist ein Problem unserer zweigleisigen Wirtschaft, das die Pandemie besonders hervorgehoben hat: Der Sektor der ausländischen Direktinvestitionen, insbesondere im Pharma- und IT-Bereich, hat weiter floriert, während die heimischen Wirtschaftsbereiche wesentlich schlechter dastanden. Viele Menschen wurden arbeitslos."
Bauboom in Dublin
Zumindest in den Silicon Docks wird derzeit aber weiter investiert. Sehr viele Baukräne bewegen sich im ganzen Viertel. Den Bauboom erlebt auch Russ. Der junge Elektriker sitzt mit seinen Kollegen in der Mittagspause am Grand Canal Square und verschlingt einen Wrap.
"Wir verlegen gerade die Elektrik in einem Apartment-Gebäude die Straße runter. Das Viertel hier ist ziemlich zugebaut, wie man sieht. Und es wird immer weiter gebaut. Es heißt, das Land boomt, aber verdammt... Ich glaube, es dauert nicht mehr lang und das System wird wieder zusammenbrechen."
Laut der Immobilienfirma HWBC waren im Dubliner Geschäftszentrum im ersten Halbjahr 2021 umgerechnet rund 460.000 Quadratmeter Bürofläche im Bau. Im Dubliner Stadtzentrum lag der durchschnittliche Mietpreis pro Quadratmeter bei rund 50 Euro im Monat. Kurzzeitig billiger wurde es durch die Pandemie, als viele von zu Hause arbeiteten. Aber die Mietpreise steigen in Dublin schon wieder – für Büros wie für Wohnungen. Mit fatalen Folgen für alle, die sich das nicht leisten können.
Mangel an bezahlbaren Wohnungen
Im Einkaufsviertel leben Menschen in Zelten vor geschlossenen Geschäften. Obdachlosigkeit ist hier sehr sichtbar. Am Post Office wird gerade Essen ausgegeben. Eine Folge der sehr hohen Mietpreise. Nach Angaben des Wohnungsministeriums waren im Juli in Dublin rund 4200 Erwachsene obdachlos.
Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist derzeit das beherrschende sozialpolitische Thema im Land. Die irische Regierung hat kürzlich einen "Housing for all"-Plan vorgelegt: Bis 2030 sollen 300.000 neue Wohnungen entstehen und Obdachlosigkeit der Vergangenheit angehören. In den nächsten Jahren sollen jeweils vier Milliarden Euro für den Wohnungsbau bereitgestellt werden.
Die Unternehmensberatung ECA International führt Dublin in ihrem aktuellsten Mietpreisindex als fünftteuerste europäische Stadt: Eine durchschnittliche Dreizimmerwohnung im Stadtzentrum kostet demnach gut 3700 Euro Monatsmiete.
Solche Mieten kann sich Tom Quinn nicht leisten. Er ist Barkeeper im Pub "The Ferryman" – die alteingesessene Kneipe mit Hotel oben drüber liegt nur wenige Schritte die Straße runter von der Facebook-Zentrale entfernt. Die Kundschaft bestehe ganz überwiegend aus Büroangestellten, erzählt er. Doch von der Stammkundschaft seien in den letzten Monaten viele Menschen weggezogen.
"Ich kann mir nicht leisten, hier zu wohnen. Aber auch Menschen, die das vor der Pandemie getan haben, realisieren jetzt, dass es ihnen nicht wert ist, 2500 Euro pro Monat Miete zu zahlen für eine geringe Lebensqualität. Viele dieser Leute sind raus in die Vororte gezogen und pendeln jetzt."
Die Pandemie habe das Viertel sehr verändert, schildert er – keine Touristen, keine Kulturveranstaltungen und kaum Menschen, die ihre Mittagspause oder den Feierabend hier verbringen.
Könnte die Möglichkeit des Homeoffice die Silicon Docks sogar langfristig verändern? Bei Facebook etwa müssen die Mitarbeitenden auch künftig nur die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Büro ableisten. Einige sollen Irland sogar komplett verlassen dürfen, erläuterte der irische Facebook-Chef Gareth Lambe in einem Radiointerview mit dem Sender RTÉ:
"Mitarbeitende, deren Aufgabenfeld das zulässt und die in andere Länder umziehen wollen, dürfen das tun. Für die Angestellten von Facebook Irland kommen dafür Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien, die Niederlande, Polen und Großbritannien infrage."
Das würde auch bedeuten, dass diese Menschen ihre Einkommenssteuer nicht mehr in Irland, sondern in anderen Ländern bezahlen würden. Insgesamt verspricht Facebook aber weiteres Jobwachstum für Irland – wenn auch langsamer als vor Corona.
Steuerzentrierte Wirtschaftspolitik Irlands braucht Wandel
Auch unabhängig von der Mindeststeuer gibt es also Anzeichen dafür, dass der von multinationalen Konzernen ausgelöste Boom in den Silicon Docks und in ganz Irland nicht mehr ewig so weitergeht. Damit das nicht zum Problem für die irische Wirtschaft wird, müsse diese sich verändern, glaubt Finanzprofessor Jim Stewart:
"Ich denke, wir müssen unsere Herangehensweise ändern. Das ist sehr schwer, aber es wäre gut. Wenn Irland endlich sagt, wir müssen heimische Firmen voranbringen, unsere eigenen Ressourcen nutzen, zum Beispiel unsere gut ausgebildeten Arbeitskräfte, wäre das eine sehr gute Entwicklung. Eine steuerzentrierte Wirtschaftspolitik, also im Endeffekt eine Steueroase, ist moralisch keine gute Idee. Aber auf lange Sicht ist man da auch sehr abhängig von der Steuerpolitik der anderen."
Damit so ein Wandel gelingen kann, ist Irland auf seine guten Beziehungen mit Kontinentaleuropa angewiesen – allein schon, weil es die Auswirkungen des Brexit so stark spürt wie kein anderes EU-Land. Ein weiteres Argument für Irland, die globale Steuerreform mitzutragen. Die neue Arbeitswelt nach Corona und die Mindeststeuer könnten letztendlich dazu führen, dass die irische Wirtschaft sich neu aufstellt und der Druck auf den Wohnungsmarkt in Dublin nachlässt. Barmann Tom Quinn hat Hoffnung für die Zukunft der Silicon Docks:
"Ohne pessimistisch zu klingen: Ich hoffe, dass die Immobilienblase wieder platzt und es wieder bezahlbarer wird, hier herzuziehen. Ich will nicht, dass irgendjemand wieder leiden muss. Aber: Hoffentlich kommen wieder mehr Leute in die Gegend. Vielleicht hat man jetzt mehr Möglichkeiten, weil man von überall arbeiten kann. Sie können also ihre Tage abseits der Arbeit und am Wochenende verplanen, also können sie herauskommen und unter Leuten sein."