"Ich war fasziniert davon, über die Pest zu schreiben"
Die britische Schriftstellerin Minette Walters gilt als "Queen of Crime", denn sie wurde mit Krimis bekannt. Mit "Die letzte Stunde" hat sie zum ersten Mal einen historischen Roman geschrieben, in dem die Pest und eine ungewöhnliche Frau die Hauptrolle spielen.
Minette Walters: "Ich liebe Kirchen. Ich glaube nicht an Gott, aber ich liebe Kirchen. Es ist egal, um welchen Glauben es geht, es kann auch ein Hindu-Tempel sein oder eine Synagoge. Diese Kirche hier ist heute ein Museum, aber es funktioniert trotzdem. Wenn ich durch eine Kirche gehe, schlafe ich nachher besser, weil ich dort Ruhe finden konnte."
Kirchen sind eine Leidenschaft von Minette Walters. Wo auch immer sie ist: Der Besuch mindestens einer Kirche ist Pflicht. Ihr Ehemann kann davon ein Lied singen:
"Mein armer Mann! Ich habe ihn durch Gent in Belgien geschleppt, wo es alle zehn Meter eine Kirche gibt, und wir haben uns ungefähr zwölf angesehen und dann sagte er: 'Es reicht, ich gehe in keine Kirche mehr!'"
In der Nikolaikirche wartet eine neue Geschichte
Die Nikolaikirche in Berlin ist längst kein Gotteshaus mehr, aber das stört Minette Walters nicht. Die zierliche Britin mit dem schmalen Gesicht und dem rötlich schimmernden Haar ist begierig, mehr über diesen Ort zu erfahren und freut sich, den Kurator des Museums, Albrecht Henkys, kennenzulernen:
Minette Walters: "What's your name?"
Albrecht Henkys: "Albrecht Henkys. Albrecht is my first name."
Minette Walters: "And can I call you Albrecht?"
Albrecht Henkys: "Of course."
Minette Walters: "And I am Minette. So I can call him Albrecht!"
Minette Walters ist vom Inneren der Nikolaikirche begeistert:
"Do you know the date that this church was started?"
Albrecht Henkys: "Man begann den Bau um 1230, und fertiggestellt wurde sie um 1250, aber es gibt ein herausragendes Denkmal einer Pestepidemie zum Ende des 15. Jahrhunderts, und das kann ich Ihnen zeigen."
Minette Walters: "Oh, lovely! How very interesting!"
Idee zum Roman entstand in einer Auszeit
Die Pest, die im 14. Jahrhundert nach England kam, spielt in Minette Walters Roman eine große Rolle – einem Roman, der fast zufällig entstand:
"Ich war müde, ich sah nicht genug von meinen Kindern, ich brauchte eine bessere Balance im Leben. Darum nahm ich mir sechs Monate frei. Aber in solchen Auszeiten kommen viele Einfälle, und ich war plötzlich fasziniert von der Idee, über die Pest zu schreiben. Ein paar Meilen von dem Dorf entfernt, in dem ich lebe, gibt es eine Tafel, auf der steht: 'Hier kam der Schwarze Tod nach Dorset'. Ich wurde von der Geschichte des Schwarzen Todes überrollt."
Die Erinnerung an den Schwarzen Tod ist auch in der Nikolaikirche sehr lebendig: In der Mitte des Kirchenraums hängt ein großes Kruzifix, das viel mit der Pest zu tun hat.
Albrecht Henkys: "Fantastischerweise haben Restauratoren entdeckt, dass in einer Mulde im Kopf des Gekreuzigten sich Urkunden befanden und auf den Urkunden steht geschrieben, dass ein Bürgermeister und zwei Schöffen dieses Kreuz 1485 gestiftet und errichtet haben in Dankbarkeit der Überwindung der Pest von 1484."
Minette Walters: "Good Lord! That's very interesting! It's very typical, how people tried to deal with the pestilence actually. They did believe it was a punishment from God, so to create a cross would be a very, very typical response."
Eine für das Mittelalter ungewöhnliche Frau
Typisch dafür, wie die Menschen mit der Pest umgegangen sind: In ihrem Roman erzählt Minette Walters von einer Frau, die solche Erklärungen nicht einfach glaubt, die ihrem eigenen Kopf mehr vertraut als der Kirche – ein für das Mittelalter ungewöhnlicher Charakter.
Minette Walters: "Irgendwann wurde die Kirche so mächtig, dass sie die Gedanken der Menschen diktieren konnte. Es gibt viele Diskussionen darüber, an welchem Punkt die Menschen erkannten, dass sie nicht alles akzeptieren mussten, was man ihnen sagte. Ich glaube, sie konnten immer selbst denken, aber dafür brauchte man Mut."
In der Nikolaikirche erinnert nicht nur das Kruzifix an die dunkle Zeit der Pestepidemie.
Albrecht Henkys: "Ich kann Ihnen noch was ganz Tolles zeigen. Wollen wir?"
Minette Walters: "Brillant!"
Albrecht Henkys führt Minette Walters zu einem elektronischen Schaukasten mit Fotos von Ausgrabungen unter der Kirche. Ein Bild zeigt mehrere gemeinsam beigesetzte Skelette:
Albrecht Henkys: "Das ist gewiss eine Familie, die samt und sonders der Pest zum Opfer gefallen ist, sonst würden die nicht gleichzeitig gestorben sein und gleichzeitig bestattet worden sein."
Minette Walters: "That is awfully poignant, isn't it? You could write a whole story – I could write a whole story about that family."
Poignant – anrührend, sagt Minette Walters. Vielleicht taucht also die traurige Familie aus dem Mittelalter irgendwann in einem ihrer Romane wieder auf. Schließlich ist ihr das 14. Jahrhundert inzwischen vertraut, das Leben der Menschen damals, ihre Garderobe ...
Minette Walters: "They don't look much like the medieval pictures. Medieval clothes were trifle boring I think!"
Versuch, sich der mittelalterlichen Sprache anzunähern
...und ihre Sprache. Minette Walters hat versucht, sich in den mittelalterlichen Sprachgebrauch einzufühlen:
Minette Walters: "Ich habe versucht, sowohl in der Erzählung als auch in den Dialogen eine Sprache zu finden, die im 14. Jahrhundert verwendet wurde, weil ich dachte, wenn ich Worte benutze, die die Menschen damals verwendet haben, würde mir das helfen, in ihre Köpfe zu gelangen. Es ist schwierig, so zu schreiben, es dauert länger, was gut zum 14. Jahrhundert passt, als das Leben sehr viel langsamer war."
Aber hat die "Queen of Crime" etwa dem Krimi abgeschworen? Will sie sich ganz auf historische Romane konzentrieren?
Minette Walters: "I just want to write really exciting, suspenseful stories. It could be Sci-fi, Science-fiction. What a thrill that would be!"