Minirechner an der Lenkstange

Von Thomas Wagner |
Der Biker von Welt checkt schon mal seine e-Mails, während er durch die Lande radelt. Und wo er gerade ist, erfährt er durch den GPS-Empfänger an der Lenkstange. Auch beim Fahrrad hält die Elektronik immer mehr Einzug. Dies ist jedenfalls der entscheidende Trend, der sich auf der internationalen Fahrradmesse "Eurobike" in Friedrichshafen zeigt.
Und wieder rauscht ein Radler nahezu lautlos vorbei: Viel los dieser Tage auf dem "E-Bike-Testparcours". Besucher der Fahrradmesse "Eurobike" erproben dort die sogenannten "Pedellecs", wie die Fahrräder mit elektrischem Hilfsmotor auch genannt werden.

"Ich fahre jeden Tag die Berge hoch bei mir in der Heimat, nur hügelig. Und das sind immer 1200, 1800 Meter hoch. Ich fahre nur noch mit diesem E-Bike hoch. Ich bin begeistert. Man kommt praktisch mit dem trockenen Hemd oben an, kann Käsebrot essen in aller Ruhe und ist nicht fix und fertig."

"Also so ein Pedellec macht eigentlich deswegen so Spaß, weil man sich jetzt nicht darüber Gedanken machen muss, ob man den Berg jetzt wieder zurück hochkommt, sondern man einfach gedankenlos tolle Touren fahren über viele Hügel und kommt immer mit Spaß an."

"Ich komme also aus Berlin. Und ich bin mit dem Pedellec so schnell wie mit dem Pkw, wenn ich durch die Stadt fahre. In der Rush-Hour sowieso. Das ist ausgezeichnet. Man kann eigentlich nichts Besseres machen, wenn man müde Knochen hat. Also es wird auch einen echten Schub geben für die Fahrradindustrie."

Wohl wahr: Innerhalb von vier Jahren hat sich bundesweit der Verkauf von E-Bikes vervierfacht - von einst 25.000 auf nunmehr 100.000 Fahrräder mit Hilfsmotor. Der Manager, der nicht im Stau stecken bleiben möchte, der Bike-Freund, der trotz unterdurchschnittlichem Trainingszustand mit dem Rad den Berg hinauf möchte - sie alle sind potentielle Kunden. Hinzu kommt: Batterien und Motoren verschwinden nahezu unsichtbar im Fahrradrahmen. Nur noch etwas dickere Ausbuchtungen deuten darauf hin, dass bei einem solchen Bike ein kleiner elektrischer Motor nachhilft.

Ein leises Schnurren, mehr nicht - in diesem Fall sitzt der Elektromotor, der den Biker bei seinem Tritt in die Pedale unterstützt, direkt auf der Fahrradnabe.

"Man kann sogar noch weitergehen und sagen: Der Motor ist die Nabe. Das heißt: Wir haben einen Motor mit einem relativ großen Durchmesser. Damit erzeugt er ein hohes Drehmoment. Das wiederum hat zur Folge, dass wir ohne Getriebe direkt arbeiten können. Man versucht in der Technik, wenn möglich, Getriebe zu vermeiden, weil jedes Zwischengetriebe auch Verlust bedeutet. Und da die Energiemenge, die man mit Akkus mitführen kann, natürlich nicht unbegrenzt groß ist, ist der Wirkungsgrad ein wichtiger Gradmesser für die Performance des Produktes."

Bei diesem Radnabenmotor, so Peter Kreuder vom US-amerikanischen Hersteller Trek, ist die Welle des Motors gleichzeitig die Nabe, ohne weitere Verbindungselemente. Dies erhöht den Wirkungsgrad deutlich - und damit auch den Spaß am "E-biken." Hinzu kommt: Die Batterien fürs Fahrrad mit Hilfsmotor sind kleiner, leichter und leistungsfähiger geworden. Es handelt sich um jene Lithium-Ionen-Akkus, die ursprünglich für Handys und Notebooks entwickelt wurden und die nun, in etwas größeren Ausmaßen, auch bei E-Bikes Verwendung finden - ein revolutionärer Schritt, findet Wilhelm Daun, E-Bike-Hersteller aus Fürth:

"Also da gibt es Quantensprünge: Das ist mindestens eins zu fünf, eins zu sechs, was die Batterien in den letzten Jahren kleiner und leistungsfähiger geworden sind. Und diese Entwicklung ist auch noch nicht beendet. Man forscht da weltweit weiter, weil man natürlich Elektrofahrzeuge bauen will, Elektroautos bauen will, die mit möglichst kleinen Batterien möglichst hohe Reichweiten erzielen."

Davon profitieren auch die E-Bike-Hersteller.

Eine herkömmliche Fahrradklingel darf zwar am Lenker eines E-Bikes nicht fehlen. Allerdings entdecken die Radler dort auch einen Mini-Rechner am Lenker. Der ist sowohl mit den Sensoren in den Pedalen als auch mit dem Motor verbunden. Bei modernen E-Bikes lässt sich in dem Mini-Rechner an der Lenkstange das persönliche Profil des Fahrers hinterlegen. Und dementsprechend steuert der Rechner den Elektromotor, erklärt Peter Kreuder:

"Ich glaube, es versteht jeder, dass ein Velo-Kurier in der Stadt vielleicht andere Wünsche hat als eine ältere Dame. Für die ältere Dame, die aufs Fahrrad drauf steigt, ist es vielleicht angenehm, dass, wenn sie den Fuß aufs Pedal stellt, das System ein bisschen nachläuft, das heißt: Der Motor schon mal schiebt, so dass sie genügend Zeit hat und ohne, um die Balance kämpfen zu müssen, ganz gemütlich aufs Fahrrad draufsteigen kann. Ein Velokurier, der sehr oft Stop-and-go-Verkehr hat in der Stadt und sehr häufig anhalten muss und sehr oft wieder hochbeschleunigen muss, der möchte ein System, das sehr schnell und sehr aggressiv reagiert. Diese beiden Werte sind natürlich sehr unterschiedlich."

Wie schnell soll der Elektromotor zugeschaltet werden? Und wenn zuschalten - gleich mit voller Leistung oder erst einmal mit gebremster Kraft? Je nach Fahrerprofil steuert der Rechner den Motor an. Eine noch viel größere Rolle spielt dieses elektronische Fahrerprofil dann, wenn der Biker körperlich beeinträchtigt, möglicherweise gar behindert ist, erläutert Peter Kreuder:

"Wenn beispielsweise mein rechtes Bein stärker wäre als mein linkes, dann würde ja die Motorleistung auch pulsieren, weil meine eigene Pedalleistung pulsiert. Ich kann das System so einstellen, dass es das ignoriert und schön gleichmäßig ignoriert, obwohl man von der Tretleistung gar nicht gleichmäßig ist."

Unterwegs mit einem modernen Tourenrad so ganz ohne Hilfsmotor. Allerdings: Die Armaturen an der Lenkstange erinnern ein bisschen an ein Flugzeug-Cockpit. Und während der Biker kraftvoll in die Pedale tritt, läuft von außen unsichtbar ein Naben-Dynamo mit. Der ist verbunden mit dem sogenannten "E-Werk".

"Und mit diesem E-Werk können wir während der Fahrt mit dem Nabendynamo als Basis alle unsere elektronischen Geräte grundsätzlich laden und betreiben. Das ist also ein universelles Ladegerät. Wir können alle die Sachen, die es mittlerweile so gibt, Navis, Handys, mp3, die man so mitführen will, Kameras beispielsweise auch, hier während der Fahrt laden und betreiben. Das Besondere des E-Werks ist, dass man hier die Spannung genau spezifizieren, genau einstellen kann. Ich kann 3,8 Volt- bis 13,3-Volt-Spannungen einstellen, Geräte ansteuern, betreiben und laden."

Frank Regge ist Entwickler beim Komponentenhersteller Busch und Müller im sauerländischen Meinerzhagen, der sich auf moderne Fahrradelektronik spezialisiert hat. Dass mit dem radinternen "E-Werk" alle Geräte mit Strom versorgt werden, macht aus seiner Sicht vor allem bei längeren Touren Sinn - Touren durch "Natur pur" fernab jeder Steckdose. Damit sorgt das Kraftwerk im Fahrradrahmen stets dafür, dass die Akkus aller Geräte voll sind - auch die des Mini-Rechners, der mit speziellen Sensoren und einem GPS-Empfänger verbunden ist. Die Sensoren messen die Herzfrequenz.

"Wenn Du das Ganze auch noch von sportlichen Gesichtspunkten aus siehst, kannst Du Deine Route planen am Computer, als Sportler. Du machst Dir Dein Höhenprofil, Du machst Dir Dein Streckenprofil. Und da ist die Herzfrequenz als Indikator eine sehr schöne Kontrollmöglichkeit für Dich, wenn Du die Herzfrequenz dabei hast, um Dein Trainingsprofil zu gestalten, richtig zu gestalten. Das heißt auch entsprechende Herzfrequenzen richtig einzuhalten, bestimmte Phasen einzuhalten, Trainingsintervalle und so weiter."

Fazit: Die Elektronisierung des Abenteuers Fahrrad ist nicht mehr aufzuhalten - und trifft wohl auch den Geschmack des Publikums: Zwar ist der Absatz von Fahrrädern bundesweit im ersten halben Jahr 2009 im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent gesunken. Allerdings: Gerade die teuren Modelle, auch die mit viel Elektronik im Rahmen und an der Lenkstange, konnten aber leicht zulegen.