Minna Salami: "Sinnliches Wissen – Eine schwarze feministische Perspektive für alle"
Aus dem Englischen von Yasemin Dinçer
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021
233 Seiten, 20 Euro
Macht und Schönheit ohne Herrschaft
06:28 Minuten
Sinnliches Wissen verbindet Verstand und Gefühl, Poesie und Forschung, Mythen und zeitgenössische Theorien, sucht das Unermessliche und das Quantifizierbare. Wie das genau passiert, erklärt die Journalistin Minna Salami in ihrem gleichnamigen Buch.
In ihrem neuen Buch "Sinnliches Wissen" versammelt Minna Salami Essays über Schwarzsein, Wissen und Macht, Kunst, Feminismus und Weiblichkeit, Befreiung, Schwesternschaft und Schönheit.
Schon im ersten Text stellt sie klar, wogegen sie angeht: eine "europatriarchalische, auf Hierarchie fixierte Konstruktion des Wissens, die elitäre europäische Männer als Propaganda verbreiteten, um ihre eigene Weltsicht im großen Maßstab durchzusetzen."
Darin herrscht Rationalität über Emotionalität, Mann über Frau, White Supremacy in tausend offensichtlichen und subtilen Schattierungen über die Identitäten, Erfahrungen und das Wissen aller anderen.
Hochbelastete Konzepte in neuem Licht
So weit, so als Kritik bekannt, doch was Minna Salami daraus schöpft, ist von einem solchen Reichtum, einer Feinfühligkeit, Entschlossenheit und Lebendigkeit, dass sich das Buch schon nach wenigen Seiten zum echten Pageturner entwickelt.
Auf faszinierende Weise gelingt es der Autorin immer wieder, hochbelastete Konzepte wie Macht, Schönheit, Weiblichkeit oder Männlichkeit zurückzuverwandeln in etwas, das fließt, Freude macht, fruchtbar und lebensverträglich wird.
"Macht ist", erklärt sie beispielsweise und setzt hinter die Aussage einen Punkt. Macht lässt sich nicht nur konzeptualisieren in Kategorien von Herrschaft und Unterdrückung, sondern es gibt dafür noch ganz andere Assoziationswelten. Der Fluss, der sich aus zahllosen Bächen speisen lässt, unaufhaltsam, mal sanft, dann zornig dem Meer zufließt und sich im Moment seiner größten Ausdehnung einfach wieder auflöst.
Ein anderer Essay erzählt von der Suche der Autorin nach einer frauenfreundlichen männlichen Schönheit jenseits von Machoklischees:
"… Wie der männliche Körper mit seiner Umgebung verschmilzt, wie geschmeidige Glieder eins mit den Ästen eines Baumes wirken konnten, wie männliche Hände vor der schwarzblauen Farbe der Nacht erschienen, wie Männer aussahen, wenn sie durch Flüsse wateten wie anmutige Meerjungfrauen."
Manche Erfahrungen erschütternd traurig
In ihrem Buch praktiziert Minna Salami das sinnliche Wissen, für das sie plädiert. Sie lässt persönliche Erfahrungen einfließen, manche erschütternd traurig. Sie taucht ausgiebig in die Literatur ein, zitiert Audre Lorde, Toni Morrison, Bell Hooks. Sie verwebt afrikanische Philosophie, religiöse Ideen aus aller Welt, Geografie, Naturgeschichte, Popkultur, Feminismus und Black Liberation.
Akt der Befreiung
Sinnliches Wissen, so zeigt dieses Buch, ist dazu geeignet, aus den Kategorien auszubrechen, in die Herrschaft zwingt – allen Kategorien, immer wieder neu. Es zu erzeugen, ist ein Akt der Befreiung, den ein Mensch in sich selbst vollbringt - unerschrocken, auch eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten gegenüber, ohne ideologische Berührungsängste, gleichermaßen bereit, das eigene Denken vagabundieren zu lassen wie es auszurichten. Großartig!