Minutiös, witzig und weitsichtig

Mit ihrem pointierten Reisebericht beschreiben die russischen Satiriker Ilja Ilf und Jewgeni Petrow die USA in ihrer ganzen Breite: Metropolen und Provinz von Ost nach West. Entstanden ist "Das eingeschossige Amerika" vor über 60 Jahren und nun endlich auf Deutsch erschienen.
Wenn sich 1935/36 zwei russische Schriftsteller von Moskau aus in die USA aufmachen, um mit hochoffiziellem Auftrag - als Reporter der Parteizeitung "Prawda" - aus dieser Reiseerfahrung einen Text zu verfertigen, erlauben die historischen Umstände eigentlich nur zwei Erwartungen: Entweder gerät dieser Text zum Sowjetpropaganda-Erguss oder er wird nie veröffentlicht. Beides ist nicht eingetreten. Entstanden ist ein kluges und abwägendes Buch voller genauer Beobachtungen und jenseits aller Propagandaklischees, das obendrein in Stalins Sowjetunion publiziert wurde, wenn auch mit Kürzungen.

Bekanntlich gibt es Touristen und Reisende. Das Autorenduo Ilja Ilf und Jewgeni Petrow gehört ganz klar in die zweite Kategorie. Im Bewusstsein, eine voraussichtlich unwiederholbare Erfahrung zu machen, notieren sie nahezu jeden Eindruck, jedes Detail, jede Begegnung ihrer Reise. Diese geradezu minutiöse Unmittelbarkeit verleiht dem Bericht von einer dreieinhalb Monate währenden Tour durch die USA eine enorme Dichte und umgeht trotz der nicht unerheblichen Länge jeglichen Eindruck von Weitschweifigkeit. Pointiert und mit viel Sinn für Zuspitzungen durchziehen die als Satiriker berühmt gewordenen Autoren das Land von Ost nach West und wieder zurück, entschlossen, jenes "eingeschossige Amerika" zu ergründen, das ihrem Bericht den Titel geben sollte.

Denn früh schon wird ihnen bedeutet, dass ihr Ankunftsort New York, diese verwirrende Ansammlung von Wolkenkratzern mit all ihrer summenden Geschäftigkeit und all ihrem Glanz keineswegs ein Abbild der "Seele" Amerikas darstellt, sondern eher eine herausragende Ausnahme. In einem eigens angeschafften Ford und mit zwei Begleitern ("Mr. und Mrs. Adams") touren sie durch das Land in seiner ganzen Breite und in all seiner Provinzialität, ohne dabei Metropolen wie San Francisco, Washington oder Chicago zu meiden.

Der Reiz dieses Textes beruht zunächst auf der Weiträumigkeit des Blickes der Reisenden. Er ist offen für alles: für beeindruckende technische Leistungen, für die allseits pulsierende Modernität, für die Aufgeschlossenheit der Menschen und ihren Sinn fürs Praktische, für die perfekte Funktionalität vieler Abläufe. Dieser Blick registriert aber auch die unangenehmen bis abstoßenden Elemente dieses Landes. Die enormen Ungleichheiten zwischen Armen und Reichen, die sich zuweilen bis in schroffe Stadtstrukturen (Chicago) einschreiben, eine scheinheilige und oft verworrene Religiosität und Moral, die Allgegenwart von Werbung, deren auf Dauerhaftigkeit beruhenden Sickereffekt ("wie ein schleichendes orientalisches Gift") sie am eigenen Leib verspüren (Coca Cola) oder den Talentlosigkeit und Verdummung fördernden Massen-Kulturbetrieb (Hollywood).

Bei aller Weiträumigkeit bleibt dieser Blick jedoch immer ein persönlicher. Jede der geschilderten Erfahrungen und Begegnungen ist eine authentische, Bücherwissen und Statistiken kommen praktisch nicht vor. Das literarische Geschick der Autoren und ihr Sinn für erzählerische Pointen und für abgründigen Witz verleihen den vielen, vielen Episoden dieses Textes jenen Ton, der eine Aura des Mit-Fahrens, des Mit-Reisens in einem mausgrauen Ford quer durch die USA erzeugt. In diesem oft weitsichtigen Text zeigt sich das Beste, was Reise-Literatur bieten kann.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Ilja Ilf, Jewgeni Petrow: Das eingeschossige Amerika
Aus dem Russischen von Helmut Ettinger
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2011
2 Bände im Schuber (Die Andere Bibliothek)
700 Seiten, 65 Euro
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