"Mir fehlte ein ganz bestimmter Sprachklang"
"Er nimmt keine Rücksicht auf den Leser", sagt Bernd Fischer über Marcel Proust und sein Romanprojekt "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Das sei in der bisherigen Übersetzung nicht herübergekommen.
Katrin Heise: Heute vor genau 100 Jahren veröffentlichte Marcel Proust im Eigenverlag den ersten Teil seines großen Romanprojektes "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", "In Swanns Welt". Bereits in den 20er-Jahren gab es eine erste deutsche Übersetzung, es folgten auch noch mehrere. Aber eigentlich wurde die Übersetzung von Eva Rechel-Mertens aus dem Jahr 1957 so etwas wie das Standardwerk im Deutschen, dem mancher aber die Prüderie der 50er-Jahre anzumerken meinte. Diese Version wurde wiederum 30 Jahre später revidierte und nun also gibt es eine erneute Übersetzung, und zwar von dem Linguisten Bernd-Jürgen Fischer. Und den konnte ich vor der Sendung sprechen! - Ich grüße Sie, Herr Fischer, schön, dass Sie da sind!
Bernd-Jürgen Fischer: Ja, Tag, Frau Heise, nett, dass Sie mich eingeladen haben!
Heise: Ich stelle Sie mal ein wenig vor. Sie forschten und lehrten am germanistischen Fachbereich der Freien Uni, beschäftigten sich sehr ausführlich mit Thomas Mann und dessen "Joseph"-Romanen. In den letzten Jahren wurden Sie aber zunehmend gefesselt von der französischen Sprache und das führte Sie eben zu dieser Neuübersetzung, sich dieser Neuübersetzung zu widmen. Und zwar zehn Jahre lang haben Sie daran gearbeitet. Sie kannten das Original und die deutsche und englische Übersetzung. Warum haben Sie sich an eine erneute Übersetzung gemacht, was wollten Sie anders machen? Fehlte Ihnen irgendwie was?
Fischer: Ja, mir fehlte ein ganz bestimmter Sprachklang, den ich aus der französischen Übersetzung gehört habe und in der deutschen eben so nicht gefunden hatte. Auf mich hatte Prousts Französisch nüchterner, schärfer konturiert gewirkt. Er nimmt auch keine Rücksicht auf den Leser, der Leser muss sich ihm anpassen und versuchen, ihm zu folgen, während Rechel-Mertens damals in den 50ern, als man dem Leser halt noch nicht so viel zumuten konnte, doch arg viel Öl in das syntaktische Getriebe geträufelt hat, damit er ein bisschen leichter runtergeht.
Heise: Das geht bei Ihnen schon los, also, das heißt, Sie wollen nicht unbedingt, dass der Text leichter runtergeht, sondern sich näher wieder an Proust heran ...
Fischer: Richtig. Der Leser ist heute vor allen Dingen durch den Film, denke ich mal, aber auch durch die Fotografie daran gewöhnt, viel härtere Schnitte zu verkraften, klarere Konturen zu sehen. Falls Sie sich mit Fotografie auskennen, Rechel-Mertens sieht für mich aus wie Hamiltons Fotos, die eben mit dem Weichzeichner gemacht sind, während für mich der Proust'sche Text mehr nach Helmut Newton klingt, mit starken Kontrasten und porentiefer Schärfe. Das habe ich eben dann herüberzubringen versucht.
Heise: Das sind ganz schöne Bilder, die Sie wählen. Diese Veränderung fängt bei Ihnen schon mit dem Titel des ersten Bandes an, im Original "Du côté de chez Swann". Nach Rechel-Mertens wurde dann daraus "In Swanns Welt", was wir eigentlich jetzt so kennen, bei Ihnen heißt das "Auf dem Weg zu Swann". Warum?
Fischer: Ja, das ist ein bisschen ungenau, denn der Weg ist an sich der Weg, der bei Swann vorbeiführt, nicht unbedingt zu Swann hinführt. Man muss das vom Inhaltlichen her sehen. Dieser ganze erste Band ist praktisch eine Ouvertüre zum Gesamtwerk der Recherche. Und hier wird schon am Beispiel Swann Marcels späterer Lebensweg vorgezeichnet. Wenn man die ganze Recherche kennt und dann wieder den ersten Band liest, dann sieht man das deutlich, dass hier vorgezeichnet wird, was Marcel von Swann geerbt hat, wohin er sich entwickelt. Und diesen Entwicklungsaspekt hatte ich in diesem Titel, "Auf dem Weg zu Swann", einfangen wollen.
Heise: Martin Mosebach von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat tatsächlich auch einzelne Sätze der Übersetzungen gegeneinander verglichen und bei Rechel-Mertens beispielsweise gefunden: "Manchmal fielen mir die Augen, wenn kaum die Kerze gelöscht war, so schnell zu", und Sie übersetzen: "Manchmal, wenn ich noch kaum die Kerze ausgelöscht hatte, schlossen sich meine Augen so schnell". Das klingt bei Ihnen tatsächlich ein bisschen umständlicher.
Fischer: Ja, aber es trifft meiner Ansicht nach die Sache richtiger. Wenn ich Ihnen hier kurz zitieren darf, warum Alfred Humboldt bei Ollendorf 1913 Prousts Text abgelehnt hat: "Ich bin ja vielleicht so dumm wie Bohnenstroh, aber ich kann nicht verstehen, wie ein anständiger Mensch 30 Seiten darauf verwenden kann zu beschreiben, wie er sich im Bett wälzt, bevor er einschlafen kann." Das heißt, diese 30 Seiten handeln davon, dass Marcel nicht einschlafen kann. Wenn Ihnen die Augen zufallen, dann haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie schlafen ein oder Sie kämpfen dagegen an. Hier aber, Marcel versucht zu schlafen, kann aber nicht.
Heise: Also, er schließt die Augen und es geht gar nicht.
Fischer: So ist es, er schließt die Augen, dann beginnen die Gedankensplitter in seinem Gehirn, herumzurotieren, das ist dieses Kaleidoskop der Dunkelheit, das er dann zum Halten bringt, indem er die Augen wieder öffnet und sich an den Möbeln verankert. Dann macht er die Augen wieder zu, dann geht der Zeitensessel mit ihm ab, dann kommt der gute Engel der Gewissheit, hält den an, und wieder verankert er sich an den Möbeln, die werden wieder hervorgehoben als was Stabiles, wo man sich dran festhalten kann. Dann kommt als Drittes der Kinematograf, der in diese Zimmerfluchten führt. Das ist also eine sorgfältig aufgebaute Sequenz, die eben darin besteht, dass er nicht schlafen kann.
Heise: Und dass man sozusagen diese Kompliziertheit in dieser Sprache schon spüren soll. Wir hören jetzt mal eine kurze Passage Ihrer Übersetzung von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", erster Band, eingesprochen von Joachim Schönfeld!
"Es kommt immer darauf an, was man Intelligenz nennen will", sagte Forcheville, der auch einmal glänzen wollte. "Sagen Sie, Swann, was verstehen Sie unter Intelligenz?" "Na endlich!", rief Odette, "endlich kommen wir zu den großen Themen, die ich ihn immer bitte mir zu erklären, aber er will nie!" "Aber doch!", protestierte Swann. "Das soll wohl ein Witz sein", sagte Odette. "Sliwowitz?", fragte der Doktor. "Liegt für Sie", fuhr Forcheville fort, "die Intelligenz im Geschwätz der Leute, die verstehen, sich beliebt zu machen?" "Nun essen Sie schon ihren Nachtisch auf, damit wir abräumen können!", herrschte Madame Verdurin Sagnette an, der in Gedanken versunken war und aufgehört hatte zu essen. Und dann, etwas beschämt wohl wegen des Tons, den sie angeschlagen hatte: "Es macht nichts, nehmen Sie sich Zeit! Wenn ich das gesagt habe, dann nur wegen der anderen. Weil es das Servieren so aufhält."
Heise: Eine Passage war das aus Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" in Neuübersetzung von Bernd-Jürgen Fischer. Herr Fischer, die Stelle haben Sie ja ausgesucht, hatten Sie sich hier gewünscht. Wo ist Ihre Arbeit da spürbar, auf was kam es Ihnen da an?
Fischer: Sie hatten mich gebeten, eine kurze, ganz kurze Textpassage auszusuchen, die ein Übersetzungsproblem demonstriert. Und da habe ich dies ausgesucht, weil es nicht so sehr ein Problem, sondern eine der Freudenstellen für den Übersetzer enthält, nämlich dort, wo man nicht Wasser schleppen muss als Übersetzer, sondern wo man sich was selbst einfallen lassen muss. Und das sind Wortwitze, die natürlich, wenn Sie sie wörtlich übersetzen würden, total auf den Bauch fallen. Hier zum Beispiel sagt Odette auf Französisch schon: "Das soll wohl ein Witz sein!", aber das französische Wort blague verwendet Cottard dann in dem Zusammenhang blague de tabac, was Tabaksbeutel heißt. Das ist natürlich überhaupt kein Witz mehr! Wenn Odette sagt: "Ist das ein Witz", und Cottard antwortet: "Tabaksbeutel", das versteht kein Mensch auf Deutsch.
Heise: Nein, das versteht man nicht.
Fischer: Und das sind so die Stellen, wo man dann ins Grübeln kommt und versucht, Lösungen zu finden, wie finde ich einen Sprachwitz im Deutschen, der das auffängt.
Heise: Sie haben gerade gesagt, das andere nennen Sie Wasser tragen. Das andere ist irgendwie so die Alltagsarbeit, und das ist das Vergnügen.
Fischer: Man kann auch von der Pflicht und der Kür sprechen.
Heise: Wie übersetzt man denn zum Beispiel Passagen, in denen Proust den Ton anderer Autoren nachahmt?
Fischer: Das ist vor allen Dingen zu Anfang von Band sieben, wo er die Brüder Goncourt persifliert. Da habe ich also deren Journal extra lesen müssen, um mich um den Sprachduktus der Goncourts reinzufinden, um dann im Proust-Text erkennen zu können, wo ist das persiflierende Element, damit das dann eben auch in der Übersetzung herauskommt. Da habe ich also ewig dran gebastelt. Da war ich wieder dankbar für meine linguistische Grundausbildung, da kann man dann was mit anfangen.
Heise: Sie haben eben beschrieben, wie Proust verschiedene Zeitgenossen imitierte, Journale, Romane mit einfließen ließ. Er war insgesamt an der Sprache, an ihrer Veränderung, an der Wirkung der Zeit auf Sprache interessiert. Kann man das einfließen lassen als Übersetzer?
Fischer: Das ist ein ganz wichtiger Punkt für mich gewesen und ganz zweifellos der allerschwierigste. Er betont das mehrfach im Laufe des Textes, ausdrücklich, wie ihn die Metaphorik, die hinter den Wörtern steckt, interessiert, die heute nicht mehr durchsichtig ist, das ist verschüttet, aber in Dialektausdrücken findet man es manchmal noch wieder. Und das hat ihn sehr fasziniert. Und das hat sicherlich auch seine Wortwahl bestimmt und ich hatte den Eindruck, dass er tatsächlich nach Begriffen sucht, von denen er das Gefühl hat, dass sie einen metaphorisch reichen Hintergrund haben. Das habe ich versucht nachzubilden, indem ich zum Beispiel im Grimms-Lexikon entsprechend alte Wörter gesucht habe und dann deren Weiterentwicklung verfolgt. Streckenweise bin ich bis ins Indoeuropäische zurückgegangen, um die gleichen Benennungsmotive zu finden und von dort aus dann ein deutsches Wort zu finden, dem die gleiche Motivation zugrunde liegt wie dem französischen Wort in seiner Wortgeschichte.
Heise: Da kam der Linguist wieder in Ihnen durch!
Fischer: Aber ja!
Heise: Bernd-Jürgen Fischer, Übersetzer der Neuausgabe von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Heute vor genau 100 Jahren kam Marcel Prousts Original heraus. Herr Fischer, ich danke Ihnen ganz herzlich für den Besuch hier!
Fischer: Ja, und ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse an meiner Übersetzung!
Heise: Heute Nachmittag übrigens im "Radiofeuilleton", da hören wir den politischen Bestseller-Autor Robert Harris, in dessen neustem Roman "Intrige" Marcel Proust eine Rolle spielt, und in wenigen Minuten schon, da stellen wir Ihnen von Anka Muhlstein die Bibliothek des Monsieur Proust vor, und da geht es genau um die Bücher, um die Romane, auf die Proust sich in seinem Roman bezogen hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Reihe im Radiofeuilleton zu 100 Jahre "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"
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Das Geheimnis des "Madeleine"-Effekts
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Bernd-Jürgen Fischer: Ja, Tag, Frau Heise, nett, dass Sie mich eingeladen haben!
Heise: Ich stelle Sie mal ein wenig vor. Sie forschten und lehrten am germanistischen Fachbereich der Freien Uni, beschäftigten sich sehr ausführlich mit Thomas Mann und dessen "Joseph"-Romanen. In den letzten Jahren wurden Sie aber zunehmend gefesselt von der französischen Sprache und das führte Sie eben zu dieser Neuübersetzung, sich dieser Neuübersetzung zu widmen. Und zwar zehn Jahre lang haben Sie daran gearbeitet. Sie kannten das Original und die deutsche und englische Übersetzung. Warum haben Sie sich an eine erneute Übersetzung gemacht, was wollten Sie anders machen? Fehlte Ihnen irgendwie was?
Fischer: Ja, mir fehlte ein ganz bestimmter Sprachklang, den ich aus der französischen Übersetzung gehört habe und in der deutschen eben so nicht gefunden hatte. Auf mich hatte Prousts Französisch nüchterner, schärfer konturiert gewirkt. Er nimmt auch keine Rücksicht auf den Leser, der Leser muss sich ihm anpassen und versuchen, ihm zu folgen, während Rechel-Mertens damals in den 50ern, als man dem Leser halt noch nicht so viel zumuten konnte, doch arg viel Öl in das syntaktische Getriebe geträufelt hat, damit er ein bisschen leichter runtergeht.
Heise: Das geht bei Ihnen schon los, also, das heißt, Sie wollen nicht unbedingt, dass der Text leichter runtergeht, sondern sich näher wieder an Proust heran ...
Fischer: Richtig. Der Leser ist heute vor allen Dingen durch den Film, denke ich mal, aber auch durch die Fotografie daran gewöhnt, viel härtere Schnitte zu verkraften, klarere Konturen zu sehen. Falls Sie sich mit Fotografie auskennen, Rechel-Mertens sieht für mich aus wie Hamiltons Fotos, die eben mit dem Weichzeichner gemacht sind, während für mich der Proust'sche Text mehr nach Helmut Newton klingt, mit starken Kontrasten und porentiefer Schärfe. Das habe ich eben dann herüberzubringen versucht.
Heise: Das sind ganz schöne Bilder, die Sie wählen. Diese Veränderung fängt bei Ihnen schon mit dem Titel des ersten Bandes an, im Original "Du côté de chez Swann". Nach Rechel-Mertens wurde dann daraus "In Swanns Welt", was wir eigentlich jetzt so kennen, bei Ihnen heißt das "Auf dem Weg zu Swann". Warum?
Fischer: Ja, das ist ein bisschen ungenau, denn der Weg ist an sich der Weg, der bei Swann vorbeiführt, nicht unbedingt zu Swann hinführt. Man muss das vom Inhaltlichen her sehen. Dieser ganze erste Band ist praktisch eine Ouvertüre zum Gesamtwerk der Recherche. Und hier wird schon am Beispiel Swann Marcels späterer Lebensweg vorgezeichnet. Wenn man die ganze Recherche kennt und dann wieder den ersten Band liest, dann sieht man das deutlich, dass hier vorgezeichnet wird, was Marcel von Swann geerbt hat, wohin er sich entwickelt. Und diesen Entwicklungsaspekt hatte ich in diesem Titel, "Auf dem Weg zu Swann", einfangen wollen.
Heise: Martin Mosebach von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat tatsächlich auch einzelne Sätze der Übersetzungen gegeneinander verglichen und bei Rechel-Mertens beispielsweise gefunden: "Manchmal fielen mir die Augen, wenn kaum die Kerze gelöscht war, so schnell zu", und Sie übersetzen: "Manchmal, wenn ich noch kaum die Kerze ausgelöscht hatte, schlossen sich meine Augen so schnell". Das klingt bei Ihnen tatsächlich ein bisschen umständlicher.
Fischer: Ja, aber es trifft meiner Ansicht nach die Sache richtiger. Wenn ich Ihnen hier kurz zitieren darf, warum Alfred Humboldt bei Ollendorf 1913 Prousts Text abgelehnt hat: "Ich bin ja vielleicht so dumm wie Bohnenstroh, aber ich kann nicht verstehen, wie ein anständiger Mensch 30 Seiten darauf verwenden kann zu beschreiben, wie er sich im Bett wälzt, bevor er einschlafen kann." Das heißt, diese 30 Seiten handeln davon, dass Marcel nicht einschlafen kann. Wenn Ihnen die Augen zufallen, dann haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie schlafen ein oder Sie kämpfen dagegen an. Hier aber, Marcel versucht zu schlafen, kann aber nicht.
Heise: Also, er schließt die Augen und es geht gar nicht.
Fischer: So ist es, er schließt die Augen, dann beginnen die Gedankensplitter in seinem Gehirn, herumzurotieren, das ist dieses Kaleidoskop der Dunkelheit, das er dann zum Halten bringt, indem er die Augen wieder öffnet und sich an den Möbeln verankert. Dann macht er die Augen wieder zu, dann geht der Zeitensessel mit ihm ab, dann kommt der gute Engel der Gewissheit, hält den an, und wieder verankert er sich an den Möbeln, die werden wieder hervorgehoben als was Stabiles, wo man sich dran festhalten kann. Dann kommt als Drittes der Kinematograf, der in diese Zimmerfluchten führt. Das ist also eine sorgfältig aufgebaute Sequenz, die eben darin besteht, dass er nicht schlafen kann.
Heise: Und dass man sozusagen diese Kompliziertheit in dieser Sprache schon spüren soll. Wir hören jetzt mal eine kurze Passage Ihrer Übersetzung von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", erster Band, eingesprochen von Joachim Schönfeld!
"Es kommt immer darauf an, was man Intelligenz nennen will", sagte Forcheville, der auch einmal glänzen wollte. "Sagen Sie, Swann, was verstehen Sie unter Intelligenz?" "Na endlich!", rief Odette, "endlich kommen wir zu den großen Themen, die ich ihn immer bitte mir zu erklären, aber er will nie!" "Aber doch!", protestierte Swann. "Das soll wohl ein Witz sein", sagte Odette. "Sliwowitz?", fragte der Doktor. "Liegt für Sie", fuhr Forcheville fort, "die Intelligenz im Geschwätz der Leute, die verstehen, sich beliebt zu machen?" "Nun essen Sie schon ihren Nachtisch auf, damit wir abräumen können!", herrschte Madame Verdurin Sagnette an, der in Gedanken versunken war und aufgehört hatte zu essen. Und dann, etwas beschämt wohl wegen des Tons, den sie angeschlagen hatte: "Es macht nichts, nehmen Sie sich Zeit! Wenn ich das gesagt habe, dann nur wegen der anderen. Weil es das Servieren so aufhält."
Heise: Eine Passage war das aus Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" in Neuübersetzung von Bernd-Jürgen Fischer. Herr Fischer, die Stelle haben Sie ja ausgesucht, hatten Sie sich hier gewünscht. Wo ist Ihre Arbeit da spürbar, auf was kam es Ihnen da an?
Fischer: Sie hatten mich gebeten, eine kurze, ganz kurze Textpassage auszusuchen, die ein Übersetzungsproblem demonstriert. Und da habe ich dies ausgesucht, weil es nicht so sehr ein Problem, sondern eine der Freudenstellen für den Übersetzer enthält, nämlich dort, wo man nicht Wasser schleppen muss als Übersetzer, sondern wo man sich was selbst einfallen lassen muss. Und das sind Wortwitze, die natürlich, wenn Sie sie wörtlich übersetzen würden, total auf den Bauch fallen. Hier zum Beispiel sagt Odette auf Französisch schon: "Das soll wohl ein Witz sein!", aber das französische Wort blague verwendet Cottard dann in dem Zusammenhang blague de tabac, was Tabaksbeutel heißt. Das ist natürlich überhaupt kein Witz mehr! Wenn Odette sagt: "Ist das ein Witz", und Cottard antwortet: "Tabaksbeutel", das versteht kein Mensch auf Deutsch.
Heise: Nein, das versteht man nicht.
Fischer: Und das sind so die Stellen, wo man dann ins Grübeln kommt und versucht, Lösungen zu finden, wie finde ich einen Sprachwitz im Deutschen, der das auffängt.
Heise: Sie haben gerade gesagt, das andere nennen Sie Wasser tragen. Das andere ist irgendwie so die Alltagsarbeit, und das ist das Vergnügen.
Fischer: Man kann auch von der Pflicht und der Kür sprechen.
Heise: Wie übersetzt man denn zum Beispiel Passagen, in denen Proust den Ton anderer Autoren nachahmt?
Fischer: Das ist vor allen Dingen zu Anfang von Band sieben, wo er die Brüder Goncourt persifliert. Da habe ich also deren Journal extra lesen müssen, um mich um den Sprachduktus der Goncourts reinzufinden, um dann im Proust-Text erkennen zu können, wo ist das persiflierende Element, damit das dann eben auch in der Übersetzung herauskommt. Da habe ich also ewig dran gebastelt. Da war ich wieder dankbar für meine linguistische Grundausbildung, da kann man dann was mit anfangen.
Heise: Sie haben eben beschrieben, wie Proust verschiedene Zeitgenossen imitierte, Journale, Romane mit einfließen ließ. Er war insgesamt an der Sprache, an ihrer Veränderung, an der Wirkung der Zeit auf Sprache interessiert. Kann man das einfließen lassen als Übersetzer?
Fischer: Das ist ein ganz wichtiger Punkt für mich gewesen und ganz zweifellos der allerschwierigste. Er betont das mehrfach im Laufe des Textes, ausdrücklich, wie ihn die Metaphorik, die hinter den Wörtern steckt, interessiert, die heute nicht mehr durchsichtig ist, das ist verschüttet, aber in Dialektausdrücken findet man es manchmal noch wieder. Und das hat ihn sehr fasziniert. Und das hat sicherlich auch seine Wortwahl bestimmt und ich hatte den Eindruck, dass er tatsächlich nach Begriffen sucht, von denen er das Gefühl hat, dass sie einen metaphorisch reichen Hintergrund haben. Das habe ich versucht nachzubilden, indem ich zum Beispiel im Grimms-Lexikon entsprechend alte Wörter gesucht habe und dann deren Weiterentwicklung verfolgt. Streckenweise bin ich bis ins Indoeuropäische zurückgegangen, um die gleichen Benennungsmotive zu finden und von dort aus dann ein deutsches Wort zu finden, dem die gleiche Motivation zugrunde liegt wie dem französischen Wort in seiner Wortgeschichte.
Heise: Da kam der Linguist wieder in Ihnen durch!
Fischer: Aber ja!
Heise: Bernd-Jürgen Fischer, Übersetzer der Neuausgabe von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Heute vor genau 100 Jahren kam Marcel Prousts Original heraus. Herr Fischer, ich danke Ihnen ganz herzlich für den Besuch hier!
Fischer: Ja, und ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse an meiner Übersetzung!
Heise: Heute Nachmittag übrigens im "Radiofeuilleton", da hören wir den politischen Bestseller-Autor Robert Harris, in dessen neustem Roman "Intrige" Marcel Proust eine Rolle spielt, und in wenigen Minuten schon, da stellen wir Ihnen von Anka Muhlstein die Bibliothek des Monsieur Proust vor, und da geht es genau um die Bücher, um die Romane, auf die Proust sich in seinem Roman bezogen hat.
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