Die Ästhetik der Identifikation
Die Schweizer Künstlerin Miriam Cahn hängte bei der documenta 1982 ihre Arbeiten kurzerhand wieder ab, weil man ihr – entgegen der Absprachen - keinen eigenen Raum zur Verfügung gestellt hatte. Diesmal hat sie ihn. Welche Möglichkeiten das eröffnet, berichtet sie im Interview.
Miriam Cahns Bilder zeigen Menschen die Opfer von Gewalt sind, aber auch Menschen, die selber Gewalt ausüben. Bei der documenta 1982 hängte sie ihre Arbeiten kurzerhand wieder ab, weil man ihr keinen eigenen Raum zur Verfügung gestellt hatte. Diesmal hat sie ihn. Warum war es damals so wichtig einen eigenen Raum zu haben?"Das war eine Rauminstallation, wie es heute auch Rauminstallation gibt bei anderen Künstlern und Künstlerinnen und da kann man nicht einfach etwas rausnehmen. Man beschneidet ein Bild ja schließlich auch nicht, ohne mich zu fragen."
In der documenta-Halle präsentiert Cahn beeindruckende und brutale Gemälde auf verschiedenen Materialien und in verschiedenen Formaten. Zusammengefasst sind sie unter dem Titel "könnteichsein". Handelt es sich dabei um eine Identifikation mit den Opfern oder ist es auch die Möglichkeit selber Gewalt auszuüben?
"'könnteichsein' ist wörtlich zu nehmen. Identifikation finde ich immer ein blödes Wort. Es ist wörtlich zu nehmen, es könnte mich ja auch treffen, dass ich flüchten muss, zum Beispiel. Es ich könnte mich auch treffen, dass ich aggressiv werde oder jemanden haue oder so was. Es ist also eine Annäherung an das, was heute ist."
Das bezieht sie nicht nur auf die Flüchtlingssituation:
"Ich meine die Situation des Zeitgenössischen - des Jetztseins -, und ich finde Kunst interessant, wenn sie versucht das Jetztsein - das Leben - zu erwischen. Das geht natürlich nicht immer oder aber es ist der Versuch das zu erwischen. Das interessiert mich und das heute natürlich Flüchtlinge eine große Rolle spielen das kann man ja nicht bestreiten."