Miriam Gebhardt: "Unsere Nachkriegseltern"

Wie der Zweite Weltkrieg auch die Babyboomer prägte

12:28 Minuten
Miriam Gebhardt sitzt an einem Tisch, hat den rechten Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und hält ihr rechte Hand stützend ans Kinn. Sie hat dunkle Haaer, trägt große, rund Ohrringe und schaut in die Kamera. Sie trägt ein blaues Oberteil.
Miriam Gebhardt ist Historikerin und hat unter anderem im Tagebucharchiv für ihr Buch recherchiert. © Oliver Rehbinder
Miriam Gebhardt im Gespräch mit Frank Meyer |
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Wie der Krieg Menschen prägt und das auch noch Generationen später, zeigt die Historikerin Miriam Gebhardt in ihrem Buch „Unsere Nachkriegseltern“. So habe beispielsweise das Mutterbild aus der NS-Zeit bis zu der Generation der Kriegsenkel gewirkt.
Wie wurden meine Eltern, wie sie sind? Und wie haben ihre Erfahrungen mein Leben geprägt? Diesen Fragen geht Miriam Gebhardt in ihrem neuen Buch „Unsere Nachkriegseltern. Wie die Erfahrungen unserer Väter und Mütter uns bis heute prägen" nach. Auf der Grundlage ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat sie zu zahlreichen Tagebüchern als Quelle gegriffen, bezieht sich auf Romane und zieht auch ihre eigene Familiengeschichte mit ein.

Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte

Der Impuls zu diesem Buch war der Tod ihres Vaters. Der Tod eines Elternteils sei häufig der Anlass, über das Leben des Vaters oder der Mutter nachzudenken, sagt Miriam Gebhardt. Mitunter gleiche man es mit dem eigenen ab. Dann steht oft die Frage im Raum, was das Leben des Verstorbenen mit dem eigenen gemacht habe.
Die Prägung der Kriegsenkel (für Gebhardt die zwischen 1955 und 1970 Geborenen) sei dabei ein ganz weites Feld, meint Gebhardt. Generell gehe es zum Beispiel darum, wie man sich im Verhältnis zur Welt betrachte: Verlangt man eine gewisse Härte zu sich beim Meistern des Lebens oder betrachte man das Leben als etwas, das man gestalten könne?
"Da sehe ich zum Beispiel einen Riesenbruch bei der Erziehung von Kindern vor den 70er-Jahren und nach den 70er-Jahren."

Mutterbild der Kriegsenkel und Kinderlosigkeit

Wenn man konkret werde, gehe es etwa um die Vorstellung von Weiblichkeit oder der Rolle der Mutter: „Die Kriegskinder sind ja in die Zeit hineingeboren worden, in der Mutterschaft die zentrale Aufgabe im Leben einer Frau war“, hebt Miriam Gebhardt hervor.
„Es war wichtig, viele Kinder zu kriegen, gesunde Kinder zu kriegen, und die dann in einem bestimmten ideologischen Sinne zu erziehen.“
Insofern sei Mutterrolle die Norm gewesen, aber gleichzeitig sei sie auch eine Last gewesen. „Ich bin der Meinung, dass diese Ambivalenz gegenüber dieser Mutterrolle sich in meiner Generation so ausgewirkt hat, dass viele meiner Geburtenkohorte sich gegen ein Kind entschieden haben."
Die Aufgabe, die eine Mutter bewältigen muss, erschien schier unlösbar: „Man musste unbedingt alles richtig machen im Umgang mit dem Kind – und es wurde einem nicht als eine besonders lustvolle Erfahrung geschildert, sondern eher als eine Pflicht."

Inflationäre Verwendung des Trauma-Begriffs

Wichtig ist Gebhardt, dass der Trauma-Begriff bei all den Prägungen nicht inflationär verwendet wird, aus zwei Gründen: „Ich möchte gern, dass der Trauma-Begriff für die Menschen vorbehalten ist, die tatsächlich so ein schwer einschneidendes Erlebnis hatten und auch entsprechende Krankheitssymptome daraus entwickeln.“
Wenn in der Gesellschaft inzwischen auch von einem über Generationen hinweg weiter getragenen Trauma die Rede sei, sehe sie zudem ein politisches Problem, nämlich „dass wir uns im Grunde auf eine Ebene stellen mit den Opfern des Zweiten Weltkriegs und den Opfern des Holocaust beispielsweise – und dadurch die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen könnten und wir uns es etwas zu bequem machen mit unserer deutschen Geschichte.“
(mfu)

Miriam Gebhardt: "Unsere Nachkriegseltern. Wie die Erfahrungen unserer Väter und Mütter uns bis heute prägen"
dva, München 2022
288 Seiten, 19,99 Euro

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