Miriam Gebhardt: "Wir Kinder der Gewalt. Wie Frauen und Familien bis heute unter den Folgen der Massenvergewaltigungen bei Kriegsende leiden"
München, DVA, 2019
304 Seiten, 24 Euro
Das seelische Erbe der vergewaltigten Mütter
06:26 Minuten
Ihr Buch über die Massenvergewaltigungen durch die alliierten Soldaten sorgte 2015 für großes Aufsehen. Jetzt hat Miriam Gebhardt die Kinder der vergewaltigten Mütter getroffen und schildert, wie sie vom Trauma der Mütter geprägt wurden.
Die Massenvergewaltigungen nach dem Zweiten Weltkrieg gehören zu den am stärksten tabuisierten Gewalterfahrungen der deutschen Geschichte. In der Öffentlichkeit wird darüber erst seit wenigen Jahren diskutiert, doch das Interesse ist da: Als Miriam Gebhardts Buch "Als die Soldaten kamen" 2015 erschien, wurde es ein Bestseller. In ihrem neuen Buch stehen nun die Kinder der vergewaltigten Frauen im Zentrum.
Als "Kinder der Gewalt" bezeichnet Gebhardt nicht nur jene Kinder, die tatsächlich aus einer Vergewaltigung hervorgegangen sind, sondern alle Kinder, deren Mütter in der Nachkriegszeit vergewaltigt worden waren. Die Unterschiede seien nur graduell, das Aufwachsen mit einer verstörten Mutter habe sie alle geprägt.
"Der Schmerz ist immer noch da"
Im Zentrum des Buchs stehen fünf Porträts. Vier Frauen und ein Mann berichten von schwierigen Familienverhältnissen: Einige wuchsen bei Verwandten auf, andere litten unter der Kälte und den Depressionen der Mutter und unter der nie beantworteten Frage nach dem Vater.
Misstrauen gegenüber anderen Menschen gehören zu den Folgen dieser seelisch prekären Kindheiten ebenso wie ein Streben nach Unabhängigkeit und eine ausgeprägte Leistungsbereitschaft.
"Ich zeig's euch!", war etwa die Haltung von Klara F., die erst nach jahrelanger Therapie Zugang zu ihren Gefühlen fand und erkannte, "dass ich das gar nicht gelernt hatte, dass mich jemand in den Arm nimmt".
Karl T. wiederum übernahm als Kind die Beschützerrolle und bemühte sich vergeblich, seiner alkoholkranken Mutter "die Schwärze" zu nehmen. "Die Geschichte ist wie ein eiternder Abszess, der Schmerz ist immer noch da", sagt die erst 1965 geborene Eleonore S.
Vergewaltigungen durch die Siegermächte waren Tabuthema
Miriam Gebhardt schätzt, dass nach dem Krieg 900.000 Frauen vergewaltigt wurden, mit einer hohen Dunkelziffer. Wie schon in ihrem früheren Buch tritt sie dem Klischee entgegen, dass die Vergewaltigungen vor allem von sowjetischen Soldaten begangen wurden. Der Anteil der Angehörigen der West-Alliierten habe ein Drittel betragen, allein die Soldaten der US-Armee hätten 170.000 Frauen vergewaltigt, so Gebhardt, allerdings ohne Belege vorzulegen.
Diese dürften schwer zu beschaffen sein, wurden die vergewaltigten Frauen damals doch von allen alleingelassen: Man glaubte ihnen nicht, zweifelte an ihrem Lebenswandel und unterstellte Fraternisierung mit dem Feind – im Westen hieß es schnell einmal "Ami-Liebchen".
Vergewaltigungen durch die Siegermächte waren mit einem mehrfachen Tabu belegt: Zum einen wegen der Loyalitätspflicht gegenüber der Besatzermacht, zum anderen wurden die Vergewaltigungen auch als Strafe für die Verbrechen der Deutschen gesehen. Und die deutschen Männer wurden dadurch auch mit ihrer eigenen Wehrlosigkeit konfrontiert.
Von der deutschen Nachkriegszeit zeichnet Miriam Gebhardt ein erschütterndes Bild. "Deutschland war nach dem Krieg ein sexuell beschädigtes Land." Das Leid der Kinder wurde bagatellisiert, sie lernten zu funktionieren, ohne zu klagen.
Schweigen als Leitmotiv
Wie ein Leitmotiv zieht sich das Schweigen durch das Buch. Miriam Gebhardt hält sich hier mit einem Urteil zurück: Sie gibt zu bedenken, dass es für die vergewaltigten Mütter vielleicht besser gewesen sei, nicht darüber sprechen zu müssen.
Für die Generation der Kinder, die unter diesem Schweigen bis heute leiden, dürfte dies kaum gelten. Interessanterweise möchte niemand der in dem Band Porträtierten für sich den Begriff "Trauma" in Anspruch in Anspruch nehmen. Dass ihre eigene Geschichte und die Geschichte ihrer Mütter endlich erzählt wird, ist jedoch allen ein Anliegen.