Mirko Bonné: "Wimpern und Asche"

Ein Kaleidoskop der Stimmungen

Cover von Mirko Bonné "Wimpern und Asche", im Hintergrund sind Möwen über der Alster in Hamburg zu sehen
Mirko Bonné aus "Wimpern und Asche": "Ich zähle alles, was da ist, zusammen / und komme auf nichts." © Schöffling / picture alliance/imageBROKER / Collage: DLF Kultur
Von Helmut Böttiger |
Dem Dichter Mirko Bonné gelingt es in seinem neuen Band "Wimpern und Asche" sogar, über Plastikmüll in den Weltmeeren ein Gedicht zu machen. Seine Lyrik ist von Alltag durchdrungen, seine Sprache von einer hoffnungsvollen Sinnlichkeit.
Mirko Bonné ist nicht nur als Lyriker und Romancier, sondern auch als Übersetzer hervorgetreten. Das merkt man seinen Gedichten an. Er zeigt sich als virtuoser Stimmenimitator, nicht nur im Bereich des Englischen und Amerikanischen. Die Literaturgeschichte bietet ihm allgemein viele Möglichkeiten, sich in der Gegenwart zu verorten.
Der deutsche Schriftsteller Mirko Bonné (undatierte Aufnahme).
Es geht bei Mirko Bonné auch um Sehnsucht, um Melancholie – um Stimmungen, an denen die Lyrik schon längst vorbeigezogen zu sein scheint.© picture alliance / dpa / Sabine Bonne
"Tränenturm" etwa, eine Hölderlin-Imagination, versetzt sich in die brennende Sprache des Revolutionärs, der im Tübinger Turm festsitzt. Es gibt auch eine, natürlich völlig anders gelagerte, Faulkner-Maskerade, Shakespeare-Adaptionen oder ein biographisches Augenzwinkern mit Apollinaire. Und es findet sich sogar ein Songtext im Stil von Peter Gabriel, der mit allen nötigen Indikatoren der Ironie ausgestattet wird.

Rhythmisch aufgeladene Aufzählung

Ironie, die Brechungen allzu eindeutiger Befindlichkeiten und Theorien – das ist eines der wichtigsten Elemente von Bonnés Selbst- und Weltbefragungen. Im zentralen Zyklus "Wimpern und Asche" wird zunächst die Binnen- und Außenalster in Hamburg beschworen. Doch langsam verwandelt er sich in eine rhythmisch aufgeladene Aufzählung all dessen, was mittlerweile alles an Kunststoffen in den Weltmeeren versammelt ist, in eine Plastikmüll-Elegie. Hier wird alles eins, und so sind hier auch "Wimpern" und "Asche" untrennbar miteinander verbunden, Objekte, die extrem entgegengesetzten Bereichen zugehörig sind – die leichten, dem Leben aufmerksam zugewandten und die Gesichtszüge ästhetisch markierenden Wimpern, aber auch die leichte, abgestorbene, übriggebliebene Asche.
So entsteht ein poetologisches Programm. Eine Passage aus diesem Gedicht stellt der Autor noch einmal als lyrisches Credo an das Ende seines Gedichtbands: "Ich zähle alles, was da ist, zusammen / und komme auf nichts. Ich zähle und / zähle Asche, zähle Wimpern, Blicke, / Boote, Möwen, und ich komme auf nichts.// Fliegt, ihr Biester! Segelt ihnen nach, / Nussschalen. Ich blicke übers Meer, / streue Wimpern, streue Asche, zähle, / zähle, was nicht da ist, zusammen."

Nah an der Prosa

Hier wird das alte Motiv einer ästhetischen Gegenwelt beschworen, im Wissen um die Vergeblichkeit, und als Antwort bleibt etwas Fragiles und Widersprüchliches zurück, aber auch erstaunlich Beharrliches. Der Dichter benennt weiter und hält fest. Die Sprache dieser Gedichte ist manchmal spröde und sprunghaft, oft aber auch nah an der Prosa, referierend, alltagsdurchdrungen. Sie ist vielleicht ein Resultat dessen, dass es auch um Sehnsucht geht, um Melancholie – um Stimmungen, an denen die Lyrik schon längst vorbeigezogen zu sein scheint und die allenfalls als Zitate möglich sind.
Bonné zitiert sie im Bewusstsein der Gegenwart, und dadurch entsteht etwas Kaleidoskopartiges, das so manche vorläufigen Übereinkünfte außer Kraft setzt. Dieser Lyriker hat nichts Akademisches, er ist voller überraschender Volten und von einer hoffnungsvollen Sinnlichkeit.

Mirko Bonné:"Wimpern und Asche - Gedichte"
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2018
145 Seiten, 22 Euro

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