Miron Białoszewski: "Erinnerungen aus dem Warschauer Aufstand"
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
345 Seiten, 26 Euro
Verzweifelter Widerstand in Ruinen
06:05 Minuten
Chaos und Untergang 1944: Die "Erinnerungen an den Warschauer Aufstand" des Lyrikers Miron Białoszewski schildern dessen damaliges Leben in der Trümmer-Hölle der Stadt. 1970 erstmals veröffentlicht, erscheint das Buch nun neu ins Deutsche übersetzt.
63 verzweifelte Tage zwischen August und Oktober 1944 – das war der Warschauer Aufstand gegen die deutsche Besatzung, an dessen Ende 200.000 Polen ums Leben gekommen waren und eine europäische Metropole in Schutt und Asche gelegt worden war. Miron Białoszewski, ein bedeutender polnischer Lyriker, war damals 22 Jahre alt. Ein Vierteljahrhundert später verfasste er seine "Erinnerungen an den Warschauer Aufstand", die 1970 in zensierter Form erschienen.
Białoszewski wollte keine historische Abhandlung über den Aufstand schreiben, sondern den Lesern Chaos und Untergang vermitteln – wie es sich anfühlte, in jenem heißen Spätsommer in der Trümmer-Hölle von Warschau unter ständigem Beschuss zu leben. Oft lesen sich die Seiten dieses Buches in ihrem Stakkato der Eindrücke wie mit einer wackligen Handkamera aufgenommen.
Białoszewski wollte keine historische Abhandlung über den Aufstand schreiben, sondern den Lesern Chaos und Untergang vermitteln – wie es sich anfühlte, in jenem heißen Spätsommer in der Trümmer-Hölle von Warschau unter ständigem Beschuss zu leben. Oft lesen sich die Seiten dieses Buches in ihrem Stakkato der Eindrücke wie mit einer wackligen Handkamera aufgenommen.
Überlebenskampf in Kellern und Tunneln
Viele Szenen prägen sich ein: Menschen, die die Möbel aus den Wohnungen werfen, um daraus Barrikaden zu bauen. Ein Pianist, der unter Artilleriebeschuss Chopins "Revolutionsetüde" ungerührt weiterspielt.
Vor allem aber und immer wieder: die in Angst und Schrecken zusammengedrängten Menschen in den Kellern und Tunneln unter der Stadt, die jedes Mal zu zählen anfangen, wenn eine Bombe nach dem Abwurf zu heulen beginnt. Wenn sie es bis dreizehn schaffen, ist es ein Blindgänger.
Die Aktionen und strategischen Hintergründe des Aufstands dagegen werden kaum geschildert. Das liegt daran, dass Białoszewski selbst nicht zur Untergrundarmee, sondern zu den Zivilisten gehört, die die Geschehnisse wie ein Strafgericht erdulden und voll und ganz mit dem Überleben beschäftigt sind.
Das Vorrücken der Roten Armee stimuliert den Aufstand
Die Landung der Alliierten in der Normandie, das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 und das schnelle Vorrücken der Roten Armee stimulierten den Aufstand. Vor allem die Untergrundkämpfer der Heimatarmee AK wollten nicht bloß passive Objekte russischer Befreiung sein, sondern selbst die Initiative ergreifen.
Stalin wollte im Blick auf den zukünftigen sowjetischen Herrschaftsbereich jedoch nichts von polnischen Freiheitskämpfern wissen. Białoszewski beschreibt, wie die Warschauer Bevölkerung in den Kellern vergebens auf das Eingreifen der Roten Armee hofft, die bereits die Stadtteile auf der östlichen Weichselseite erreicht hat und dort abwartet, bis SS-Einheiten den Aufstand niedergeschlagen haben.
Jenseits von Heroismus und Pathos
Fast könnte man von einem zweiten Hitler-Stalin-Pakt sprechen. Später versuchten die Sowjets, jede Erinnerung an den Aufstand und die eigene unrühmliche Rolle dabei aus den Geschichtsbüchern zu tilgen.
Białoszewski eckte jedoch nicht nur bei den sozialistischen Geschichtsverwaltern, sondern auch bei den Veteranen des Widerstands mit seiner Darstellung an. Sie ließ keinerlei Heroismus erkennen. Auch die Verklärung und Mythisierung des Opfers, wie sie in der traditionellen polnischen Geschichtsschreibung einen hohen Stellenwert hat, liegt seinem unpathetischen, streckenweise auch gewollt ungelenken Text fern.
Das Vergangene ist keine runde Sache, sondern ein Scherbenhaufen, ein Gefetze. So wird auch der Satzbau zerschlagen. Viele Sätze in diesem Buch bestehen nur aus ein oder zwei Wörtern, und es ist das Verdienst der erstmals vollständigen Neuübersetzung von Esther Kinsky, den Ton einer ruppigen Mündlichkeit auch im Deutschen zu vermitteln. Eindringlich zeigt dieses Erinnerungsbuch die "Ermordung" Warschaus.
Das Vergangene ist keine runde Sache, sondern ein Scherbenhaufen, ein Gefetze. So wird auch der Satzbau zerschlagen. Viele Sätze in diesem Buch bestehen nur aus ein oder zwei Wörtern, und es ist das Verdienst der erstmals vollständigen Neuübersetzung von Esther Kinsky, den Ton einer ruppigen Mündlichkeit auch im Deutschen zu vermitteln. Eindringlich zeigt dieses Erinnerungsbuch die "Ermordung" Warschaus.