Miroslav Sasek: Rund um die Welt
Kunstmann Verlag, München 2016
248 Seiten, 38,00 EUR
Ein Best-of hinreißender Städteporträts
Die Städtezeichnungen von Miroslav Sasek sind heute noch Vorbilder für Layouts von Bilderbüchern. Zum 100. Geburtstag des Illustrators veröffentlicht der Kunstmann-Verlag mit "Rund um die Welt" ein Best-of seiner gezeichneten Reiseführer. Unsere Rezensentin ist begeistert von seiner Bildsprache und seinem Humor.
Seiner Lieblingsstadt hat er die vielleicht schönste Zeichnung gewidmet. Sie zeigt unzählbar viele miniaturkleine Dreiecke und Vierecke, die sich dicht an dicht über eine Doppelseite verteilen und ein gigantisches, in Pastelltönen gehaltenes Häusermeer symbolisieren. Mitten hindurch mäandert eine breite blaue Linie. Sie geht bis zum Horizont - ein zweites blaues Band - und umschließt auf ihrem Weg eine mit wenigen Strichen skizzierte Kirche. Man erkennt sie sofort. Wie auch die beiden anderen Wahrzeichen, die aus dem Getümmel ragen: den eisernen Turm und die weiße Basilika. So sieht Paris aus der Feder von Miroslav Sasek aus. 1959 porträtierte der tschechische Zeichner seine französische Wahlheimat.
Der für Kinder und Erwachsene gedachte Reiseführer sollte der erste von drei Bänden sein; London und Rom standen noch auf Saseks Liste. Doch bereits das Paris-Buch wurde so erfolgreich und der London-Führer gar preisgekrönt, dass der am 16. November 1916 in Prag geborene Illustrator aus einem Reise- ein Lebensprojekt machte: 15 Jahre war Sasek rund um die Welt unterwegs und zeichnete insgesamt 18 Städte- und Länderporträts; darunter Venedig, Hong Kong, San Francisco, Texas und Australien. Zum 100. Geburtstag erscheint nun ein dicker Jubiläumsband, der ausgewählte Seiten aus allen Büchern versammelt.
Saseks Bildsprache ist heute noch stilbildend
Saseks Stil begeistert noch heute. Klare Linien, zarte Farben und ein auch nach 50 Jahren noch modernes Layout zeichnen seine Bildsprache aus. Gesamtansichten und Aufsichten wechseln mit der Darstellung von architektonischen Wahrzeichen und Sehenswürdigkeiten, in die Darstellung von Straßen, Plätzen und Märkten mischen sich Alltagsszenen und scheinbar nebensächliche Details. Dazu kommen kurze erläuternde Texte und eine gute Prise Humor.
Sein London-Porträt etwa beginnt der Illustrator mit einer doppelseitigen, wie aus der Dose gesprayten braun-grünen Fläche und der Unterschrift: "Ja, das ist London" und einen Absatz tiefer: "- im Nebel". In Rom fesseln Sasek nicht nur der Petersdom, die Piazza di Spagna oder der Trevibrunnen, sondern auch die in engen Gassen zwischen den Häusern gespannte Wäsche. Und in Edinburgh haben es ihm neben Dudelsäcken und Whiskey vor allem die verschiedenen Muster der Kilts angetan. Auf einer ganzen Seite bietet er Stoffproben und -beschreibungen.
Hongkong, London, New York charmant in Szene gesetzt
Hinreißend anzusehen sind Saseks einzelne Motive und seine Bildarrangements und -kompositionen. So zeigt eine perfekt ausbalancierte Doppelseite zu New York links im schmalen Hochformat das Empire State Building, rechts als Quadrat den Time Square, und unter beiden Bildern läuft - diese gleichsam verbindend - eine lange rote Linie mit Rädern: eine Stretch Limousine. Charmanter lassen sich Größe und Anspruch dieser Stadt kaum vermitteln.
Es wundert nicht, dass der 1980 verstorbene Sasek stilbildend für nachfolgende Generationen wurde. Die aktuelle Retrowelle im (Kinder-)Bilderbuch geht nicht zuletzt auf ihn zurück. Wie schön, dass sich nun auch das Original wieder umfassend studieren lässt.