Mati Shemoelof :"Bagdad Haifa Berlin"
AphorismA, 2019
92 Seiten, 15 Euro
"Judendichtar" Mati Shemoelof veröffentlicht nun auf deutsch
09:59 Minuten
Die Kunst von Mati Shemoelof verändert sich, seitdem er 2013 aus Israel nach Deutschland zog. Neue, europäische Facetten seines Seins zeigen sich in seinen Gedichten. Und das, obwohl er misrachischer Jude ist, seine Wurzeln also aus dem Irak stammen.
Ein Gedicht über Berlin: Für den Dichter ist es die Stadt der "in den Schwarzschnee schmelzenden Blätter", Ort der Winterschlachten zwischen Sehnsüchten, zwischen Ländern und Zugehörigkeiten, zwischen Familien, Häusern, Büchern und Sprachen. Er, der Dichter, ein immerwährender Migrant, auf der Suche nach neuen Worten und Möglichkeiten sich auszudrücken.
Mati Shemoelof hat diese Zeilen gedichtet. Seit bald sieben Jahren lebt der 47-Jährige in Berlin. Der Sohn einer Familie aus Bagdad wollte eigentlich Koch werden. Doch anstatt in die Küche, kam er zum Schreiben. Verschiedene Studien hat er begonnen: Wirtschaft, Literatur und Philosophie und sein Glück in einer Rockband versucht. Der Liebe wegen ist er dann vor sieben Jahren nach Berlin gezogen. Jetzt liegt sein erster Gedichtband auf Deutsch und Hebräisch vor – gewissermaßen ein "Best of" seiner sechs vorangegangenen Lyrikbände, die bislang nur in Israel und auf hebräisch erschienen sind. Denn bislang beschäftigte sich Shemoelof vor allem mit Fragen seiner israelischen Identität. Etwa in dem Gedicht "Wirklich", das seine orientalischen Herkunft thematisiert.
Keine israelischen Liebesgedichte
"Dieses Gedicht ist aus meinem zweiten Gedichtband. Es ist über die Scham, dass wir Misrachim, die orientalischen, die arabischen Juden nie etwas über unsere Kultur gelernt haben. Stattdessen bringt man uns bei, dass wir niemals gleichberechtigt zur europäischen Kultur gehören werden, weil uns unsere eigene Kultur nicht nahe gebracht wurde und weil es eine Hierarchie der Kulturen gibt", erklärt er.
Mati Shemoelof sitzt in einem Berliner Café und spricht über seine Gedichte. Er kritisiert, dass die Perspektive der aus dem Westen stammenden Juden, der Aschkenasim, die Vorstellung und Bewertung von Kunst und Kultur dominiere. In Deutschland, aber eben auch in Israel. Er bekennt sich zu seinen Wurzeln in der arabisch-jüdischen Welt und bezieht auch im Nahostkonflikt dezidiert Stellung. In seinem programmatischen Gedicht mit dem Titel "Wieso ich keine israelischen Liebesgedichte schreibe" etwa fordert er die Beendigung der Besatzung und die Gleichberechtigung aller Minderheiten.
Dichtungen nehmen eigene Diaspora in sich auf
Der Literaturwissenschaftler und Lyriker Jan Kühne erläutert: "In vieler Hinsicht sind Matis Gedichte ein politisches Statement. Und es ist spannend zu sehen: Was mit diesen politischen Statements passiert, die primär relevant sind für die Binnendiskurse in Israel - und man könnte fast sagen für den Kulturkampf zwischen den Misrachim, den arabischen Juden und der aschkenasisch-europäischen Kulturhegemonie in Israel. Was passiert mit dieser politischen Aussage, wenn sie nach Deutschland kommt? Wie verortet er sich dort."
Kühne lebt in Jerusalem, forscht an verschiedenen universitären Einrichtungen über deutsch-hebräische Literatur und hat Mati Shemoelofs Lyrik nachgedichtet. Das ist anspruchsvoll, denn seit Shemoelof in Deutschland lebt, geraten auch die Sprachgrenzen ins Wanken. Inzwischen seien auch seine hebräischen Dichtungen für ein israelisches Publikum schwer verständlich, weil den dort Lebenden die Erfahrung der Migration fehle, sagt Shemoelof:
"Vielen Israelis fehlt die Erfahrung, außerhalb der eigenen Sprache zu leben, eine Minderheit zu sein, in einer fremden Sprache zu schreiben – und wenn es dann zur Kunst kommt – meine Verleger in Israel haben weder meine Gefühle noch meine Sprache verstanden - warum ich gleichzeitig deutsche, englische und hebräische Wörter benutze."
Auch deutsche Zuhörerinnen und Zuhörer seiner Gedichte mögen ins Grübeln kommen: Klingt da nicht auch Kanak Sprak durch – ein vor allem von arabischen und türkischen Migranten gesprochenes, eher gebrochenes Deutsch? Klingt Jiddisch mit an? Jedenfalls handelt es sich um deutsche Worte, die in hebräischen Lettern notiert sind.
"Dann wurde das Gedicht tiefer und tiefer"
Nach der Einspielung des Gedichts steht Mati Shemoeloff im Studio neben dem israelischen Musiker Gidi Farhi, der ihn begleitet hat. Immer wieder wühlen seine eigenen Worte ihn tief auf: "Ich schrieb das Gedicht eigentlich als Witz. Ich wollte nur den Sprachenmix – hebräisch, deutsch, arabisch -, den ich im Kopf höre, dokumentieren, ohne ihn zu werten. Und dann wurde das Gedicht tiefer und tiefer - und am Ende stand diese Verbindung zum Holocaust."
Der Übersetzer und Literaturwissenschaftler Kühne sieht hier eine wichtige dichterische Entwicklung Mati Shemoelofs: "Er versucht sich in diesem Gedicht ein Stück weit als hebräischer Dichter in Deutschland wiederzufinden. Und wenn er in Israel ein Misrachi-Poet war, wie er sich selbst nennt, dann wird er in Deutschland zu einem 'Judendichtar'. Und das kann man in dem Gedicht auch sehr schön sehen: In dem Moment, wo er als Jude beginnt, deutsch zu schreiben, brechen auch die ganzen Traumata, die in der jüdischen Geschichte mit Deutschland verbunden werden. Es ist, glaube ich, das erste Gedicht, wo er auf die Schoah zu sprechen kommt."
Vorbereitung auf Roman
Mati Shemoelof sagt: "Hier zu sein verändert deine Perspektive. Die Schoah ist für mich jetzt keine Geschichte mehr, die instrumentalisiert wird, um mich zur Armee zur schicken oder Israels nationale Identität zu formen. Es ist eine Geschichte außerhalb der nationalen Identität – und dadurch viel stärker."
Auch weil ihm hier der Vergangenheit überall begegne – für Mati Shemoelof gehört auch das graue Berliner Wetter dazu, die Kriegerdenkmäler, die Stolpersteine. Ob er darüber noch mehr schreiben wird? Abwarten: Ein weiterer Gedichtband ist in Vorbereitung – und auch ein Roman soll dieses Jahr noch erscheinen.