Kaum jemand spricht darüber
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Niemand weiß, wie viele Frauen betroffen sind. Dass Ordensschwestern missbraucht werden, darüber wird kaum gesprochen. Der Missbrauch werde durch das Machtgefälle zwischen Mann und Frau in der Kirche begünstigt, sagt die ehemalige Nonne Doris Reisinger.
Wenn über Missbrauch in der katholischen Kirche gesprochen wird, dann geht es oft um Missbrauchsfälle von Kindern und Jugendlichen, die Jahrzehnte zurückliegen – was die Aufarbeitung umso schwieriger macht. Nicht neu, aber deutlich seltener thematisiert ist der Missbrauch von katholischen Ordensfrauen. Der gehört vor allem in Afrika und Asien auch heute noch zur Lebenswirklichkeit. Das hat das Hilfswerk Missio recherchiert.
Wer darüber spricht, muss oft den Orden verlassen
In Bezug auf Europa gebe es bisher keine belastbaren Zahlen, sagt die Theologin und ehemalige Ordensfrau Doris Reisinger – selbst eine Betroffene. Eine repräsentative Studie aus den USA habe jedoch belegt, dass etwa 30 Prozent der Nonnen sexuelle Übergriffe erlebt haben. Von ähnlichen Zahlen gehe sie auch in Europa aus.
Dass die betroffenen Frauen selten gegen den sexuellen Missbrauch vorgehen oder öffentlich darüber sprechen, habe viele Gründe. "Das eine sind die Hemmschwellen, die die Betroffenen überwinden müssen." Dazu gehöre auch, dass sie nach der Bekanntgabe des Missbrauchs ihren Orden oft verlassen müssen. Sie verlieren damit Lebensgrundlage, Absicherung im Alter, aber auch ein Stück der bisherigen Identität.
Dazu käme, dass in den Gotteshäusern bisher kein Klima geschaffen werden, in denen die Frauen das Gefühl hätten, offen sprechen zu können – ohne danach zum Schweigen animiert zu werden, so Reisinger.
Immer gibt es einen höhergestellten Mann
Auch dass ein Machtgefälle zwischen Klerikern und Ordensfrauen bestehe, würde Missbrauch begünstigen. Eine Ordensfrau befände sich in der Struktur immer "unterhalb eines Mannes".
Beim Thema Kindesmissbrauch in der Kirche ist Reisinger skeptisch, ob "da viel gelernt wurde". Bei dem Thema Missbrauch von Ordensschwestern hinke die Aufklärung im Vergleich aber sogar noch etwa 20 Jahre hinterher.
(lkn)