"Das hat tiefe Wunden geschlagen"
Hans Zollner, Präsident des Zentrums für Kinderschutz, lieferte die wissenschaftliche Expertise, um mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche umzugehen. Dass Priester gerade das Vertrauen missbraucht haben, habe bei Betroffenen mit die tiefsten Wunden hinterlassen, ist sein Fazit.
Philipp Gessler: Wir wollen das Thema Missbrauch noch einmal vertiefen. Am Donnerstag hatte ich die Chance, mit Prof. Hans Zollner zu sprechen. Der Jesuit ist Präsident des Zentrums für Kinderschutz und des Instituts für Psychologie der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom – er liefert, so kann man das wohl zusammenfassen, für die Weltkirche die wissenschaftliche Expertise, um noch intensiver mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche umzugehen. Denn der Skandal ist ja noch lange nicht vorbei. Zunächst stellte ich ihm eine der ersten Fragen, die sich schon vor fünf Jahren aufdrängte: Hat der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, nach fünf Jahren der Forschung und Erfahrung, wirklich nichts mit dem Zölibat zu tun, was damals gerade katholische Würdenträger sehr schnell behauptet haben?
Hans Zollner: Sexueller Missbrauch, sexualisierte Gewalt kommt in der ganzen Welt vor und die kommt in allen Berufsgruppen, sie kommt in allen familiären Zusammenhängen vor, die man sich vorstellen kann. Es gibt sicherlich katholische Elemente in dem Missbrauch, den katholische Priester oder Bischöfe verüben.
Gessler: Was wäre das denn zum Beispiel?
Hans Zollner: Sexueller Missbrauch, sexualisierte Gewalt kommt in der ganzen Welt vor und die kommt in allen Berufsgruppen, sie kommt in allen familiären Zusammenhängen vor, die man sich vorstellen kann. Es gibt sicherlich katholische Elemente in dem Missbrauch, den katholische Priester oder Bischöfe verüben.
Gessler: Was wäre das denn zum Beispiel?
"Wo es um Vertuschen und Verschweigen ging"
Zollner: Das hängt zusammen mit einer klerikalen Kultur, die geherrscht hat und die in den Ländern unter Umständen bis heute vorherrscht – wenn wir gerade auf Afrika oder Asien oder Lateinamerika schauen –, die aber in unseren Breiten mittlerweile zusammenbricht oder zusammengebrochen ist, wo es um Vertuschen und Verschweigen ging, wo man die eigene Institution deshalb nicht bloßstellen wollte, weil man Angst hatte, dass dann das Bild der Kirche, das Bild Gottes sozusagen beschmutzt wird. Dass man halt diese religiöse Komponente noch hineingebracht hat, sowohl, wenn Missbrauchstäter Opfer missbraucht haben und sie das sozusagen auch durch die Religion noch sanktioniert haben, also gesagt haben, ich kann gar nichts Böses tun, weil ich ein Priester bin.
Oder wenn es in der Beichte auch zu Übergriffen kam, indem man die eigene Tat sozusagen dem Opfer angelastet hat und das Opfer dann absolviert hat, freigesprochen hat von der Schuld. Es gibt eine klerikale Kultur, in der auch der Schutz der Priester, Mitbrüder, die man kennt, im Vordergrund steht, wo man dann auch zum Teil nicht glauben wollte, wider besseres Wissen, dass ein Priester, mit dem ich in der Ausbildung war, wo man nicht glauben wollte, dass jemand, der als Priester eigentlich dazu da ist, um das Heil zu bringen, Unheil gebracht hat.
Gessler: Also das Spezifische scheint nicht zu sein tatsächlich diese Ehelosigkeit, die gelobt wird?
Zollner: Nach all dem, was wir an Zahlen haben, Vergleichszahlen vor allem aus USA, wo die einzig verlässlichen Zahlen mit anderen Berufsgruppen einigermaßen vorliegen, ist der Zölibat, die gelebte Ehelosigkeit nicht ein Auslöser für sexuellen Missbrauch generell. Natürlich kann es Menschen geben und hat es gegeben, die zum Beispiel wegen einer Sexualität, die sie selber als unnormal erlebt haben, indem sie sich zum Beispiel sexuell hingezogen gefühlt haben zu Kindern oder Jugendlichen, sich in den Zölibat hinein flüchten wollten, weil sie glaubten, dass durch den Zölibat eine solche Kontrolle da ist, dass sie ihre Sexualität unterdrücken konnten. Das ist nicht der Fall gewesen.
Gessler: Also das Spezifische scheint nicht zu sein tatsächlich diese Ehelosigkeit, die gelobt wird?
Zollner: Nach all dem, was wir an Zahlen haben, Vergleichszahlen vor allem aus USA, wo die einzig verlässlichen Zahlen mit anderen Berufsgruppen einigermaßen vorliegen, ist der Zölibat, die gelebte Ehelosigkeit nicht ein Auslöser für sexuellen Missbrauch generell. Natürlich kann es Menschen geben und hat es gegeben, die zum Beispiel wegen einer Sexualität, die sie selber als unnormal erlebt haben, indem sie sich zum Beispiel sexuell hingezogen gefühlt haben zu Kindern oder Jugendlichen, sich in den Zölibat hinein flüchten wollten, weil sie glaubten, dass durch den Zölibat eine solche Kontrolle da ist, dass sie ihre Sexualität unterdrücken konnten. Das ist nicht der Fall gewesen.
Er kann natürlich, wenn er falsch gelebt wird, wenn die falschen zum Beispiel auch Ausbildungsschritte gemacht wurden, wenn nicht darauf hingearbeitet wurde, dass Sexualität angesprochen wurde, dann ist das Risiko natürlich hoch, dass es zu einem Missbrauch kommt. Aber das kann ja auch eine andere Art von Missbrauch sein, das kann Geld sein, das kann Macht sein, das ist oft verwoben. Der Zölibat, das Zölibatsgebot als solches ist nach all dem, was wir wissen, kein spezifischer Auslöser für Missbrauch.
Gessler: Sie haben es ja schon angedeutet, dass tatsächlich in anderen katholischen Kirchen, und sei es allein in Südeuropa oder erst recht in Afrika, in Sachen Aufarbeitung von Missbrauch bisher sehr wenig passiert ist. Warum ist das denn so?
Gessler: Sie haben es ja schon angedeutet, dass tatsächlich in anderen katholischen Kirchen, und sei es allein in Südeuropa oder erst recht in Afrika, in Sachen Aufarbeitung von Missbrauch bisher sehr wenig passiert ist. Warum ist das denn so?
"Der meiste Missbrauch geschieht gegenüber Jugendlichen"
Zollner: Das hängt sicherlich zusammen mit der dort noch stark ausgeprägten klerikalen Kultur, das hängt sicher auch mit einer Kultur in der gesamten Gesellschaft zusammen, dass man über so schwierige Themen ungern spricht oder nur entweder in sensationellen Aufmachungen darüber spricht oder sie sozusagen an den Rand der Berichterstattung drückt. Das ist auch für Spanier, für Italiener, für Portugiesen, für Griechen, ist es nicht leicht, so wie wir jetzt hier in Deutschland in den letzten fünf Jahren zu einer neuen Kultur des Sprechens über auch sexualisierte Gewalt und Missbrauch in der Gesellschaft und der Kirche gekommen sind, Worte dafür zu finden.
Man sieht das auch daran, dass meinetwegen in den romanischen Sprachen, wenn man von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche spricht, da wird immer nur der Begriff Pädophilie verwendet. Aber Pädophilie ist ein relativ kleiner Anteil allen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen – mögen vielleicht zehn Prozent sein. Der meiste Missbrauch geschieht gegenüber Jugendlichen. Und dennoch wird in diesen Ländern weiterhin mit allem, was da zusammenhängt mit sexualisierter Gewalt, mit Machtausübung in Institutionen, in den Familien einfach nur von Pädophilie gesprochen.
Gessler: Ist das vielleicht spezifisch Katholische am Missbrauch tatsächlich, dass so viel vertuscht wurde, um die große Institution, die heilige Institution Kirche nicht zu schädigen?
Zollner: Dass es zahlenmäßig einen großen Teil von Vertuschung und Verschweigen und Versetzen gegeben hat, ist klar. Ich persönlich bin nicht überzeugt davon, dass das ein spezifisch katholisches Phänomen ist. Wenn wir zum Beispiel auf die BBC schauen, die hatte einen den BBC-Verantwortlichen über 30 Jahre lang bekannten Kinderschänder als einen bedeutenden Entertainer und Comedy-Star, Jimmy Savile hieß der, der ist vor zwei, drei Jahren gestorben. Von dem war bekannt, dass er Kinder abschleppt, dass er sogar soziale Institutionen gründet wie ein Kinderkrankenhaus, um besser an seine sexuellen Opfer zu kommen.
Gessler: Ist das vielleicht spezifisch Katholische am Missbrauch tatsächlich, dass so viel vertuscht wurde, um die große Institution, die heilige Institution Kirche nicht zu schädigen?
Zollner: Dass es zahlenmäßig einen großen Teil von Vertuschung und Verschweigen und Versetzen gegeben hat, ist klar. Ich persönlich bin nicht überzeugt davon, dass das ein spezifisch katholisches Phänomen ist. Wenn wir zum Beispiel auf die BBC schauen, die hatte einen den BBC-Verantwortlichen über 30 Jahre lang bekannten Kinderschänder als einen bedeutenden Entertainer und Comedy-Star, Jimmy Savile hieß der, der ist vor zwei, drei Jahren gestorben. Von dem war bekannt, dass er Kinder abschleppt, dass er sogar soziale Institutionen gründet wie ein Kinderkrankenhaus, um besser an seine sexuellen Opfer zu kommen.
Das wussten die Leute in der BBC, die damals die Verantwortung hatten. Sie haben ihn gedeckt, und das ist nicht der einzige Fall. Ich habe Anfang 2010, als die ganze Nachrichtenwelle über Deutschland hinwegschwappte, was Missbrauch anging, las ich einen Leserbrief von einem früheren Schuldirektor aus Nordrhein-Westfalen, der sagt, wir haben in den 60er-, 70er-Jahren, wenn Lehrer an öffentlichen Schulen sexuell Kinder missbraucht hatten, dann haben wir Schuldirektoren auch diesen Lehrer von einer Schule zur anderen geschickt, also im Grunde genau dasselbe gemacht, was die katholischen Generalvikare oder die Personalverantwortlichen in den Diözesen oder die Provinziäle gemacht haben von den Ordensgemeinschaften. Also das spezifisch Katholische sehe ich darin nicht.
Ich sehe die Verbrämung, die religiöse, die spirituelle Verbrämung und den schweren Schaden, den ein Kind dadurch erleidet, dass ein absoluter Vertrauensträger, wie das halt katholische Priester waren, zum Teil vielleicht noch sind, verübt wurde. Was das für eine unglaubliche, tiefe Wunde in die Seele von Kindern geschlagen hat. Ich – meinem Eindruck nach und auch nach den Gesprächen mit Betroffenen, ist das für viele jedenfalls von diesen Betroffenen, die größte Wunde. Und das ist das spezifisch Katholische.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.