Mission Impossible

Von Bettina Rühl |
Im Zusammenhang mit spektakulären Piratenüberfällen steht Somalia immer wieder in den Schlagzeilen. Doch die Raubzüge der Seeräuber sind nur Symptom eines viel umfassenderen Problems: Somalia ist seit Anfang der 90er-Jahre der Prototyp eines "failed state", eines zusammengebrochenen Staates.
Die Bevölkerung lebt wegen der nun schon seit Jahren anhaltenden Kämpfe in allergrößter Not. Nach zahlreichen Attentaten auf humanitäre Helfer haben die meisten Internationalen Hilfsorganisationen ihre Arbeit eingestellt. Auch die zur Unterstützung Somalias abkommandierten Soldaten der afrikanischen Friedenstruppe AMISOM können nur wenig ausrichten.

Den Männern läuft schon beim Einsteigen in den gepanzerten Transporter der Schweiß über das Gesicht. Im Inneren des Wagens ist es noch heißer. Trotz der Hitze sind Helm und kugelsichere Weste Pflicht – obwohl an eine Patrouille zu Fuß gar nicht gedacht ist: Mogadischu, die Hauptstadt Somalias, ist dafür selbst für Militärs im geschützten Auto noch gefährlich. Die Soldaten gehören zu einer afrikanischen Friedenstruppe, der "Mission der Afrikanischen Union in Somalia", kurz: AMISOM. Deren Konvois werden von radikal-islamischen Untergrundkämpfern immer wieder angegriffen.

Die Männer kommen aus Uganda und steigen am Flughafen in die Transporter. Ziel des Konvois ist an diesem Morgen der Palast des somalischen Präsidenten.

Oberstleutnant Jack Bakasumba ist Kommandant der ugandischen Einheiten.

"Unser größtes Problem sind im Moment die ‚IEDs’, die selbstgebauten Sprengkörper. Sie werden normalerweise entlang der Straßen ausgelegt, die wir mit dem Konvoi benutzen. Sie sind ferngesteuert und haben eine Reichweite von 300 bis 500 Metern. Wir müssen also einen entsprechend breiten Streifen entlang der Straßen räumen. Dafür schicken wir jeden Morgen in aller Frühe eine Patrouille mit Ingenieuren los. Sie sollen die Waffen finden und entschärfen. Erst danach können unsere Konvois in die Stadt fahren. Natürlich lassen sich die Angriffe trotzdem nicht völlig verhindern. Wenn jemand fest entschlossen ist, eine solche Bombe zu zünden, wird er das immer schaffen." (übersetzt)

Der Weg vom Flughafen durch die Stadt führt durch ein Ruinenfeld: Das alte Zentrum von Mogadischu ist fast völlig zerstört. Parlamentsgebäude und Ministerien, Nationaltheater, Luxushotels und Banken – alles liegt in Trümmern. Nur noch ein paar Straßen der somalischen Hauptstadt werden von der Regierung unter Präsident Sharif Sheikh Ahmed kontrolliert, der Rest ist in der Hand radikal-islamischer Kämpfer. Bewaffnete Kriminelle und Klanmilizen verbreiten zusätzliche Unruhe. Im Juni hat die bedrängte Regierung den Notstand ausgerufen und in dramatischen Hilferufen um militärische Unterstützung gebeten - die knapp 4000 Soldaten der AMISOM sind nicht in der Lage, ihr UNO-Mandat zu erfüllen und die Regierung zu stabilisieren.

Jack Bakasumba: "Es gibt Zeiten, in denen sie unsere Konvois ständig angreifen. Im letzen Monat war es vergleichsweise ruhig, da gab es drei Wochen lang gar keine Detonation. Aber erst vor vier Tagen wurde unser Konvoi erneut getroffen."

Als Täter gelten radikale Islamisten. Sie bekämpfen die AMISOM, weil sie in der afrikanischen Friedenstruppe keine neutrale Kraft, sondern einen Parteigänger der somalischen Regierung sehen. Dabei waren die heutigen Gegner bis vor kurzem Verbündete: Noch im letzten Jahr haben der gemäßigt islamistische Präsident Sharif Sheikh Ahmed und die radikal-islamistische Miliz mit dem Namen "Al Shabaab" gemeinsam gegen die damalige Übergangsregierung gekämpft – deren Mitglieder nun mit dem heutigen Präsidenten eine Koalition bilden, während die radikalsten der Islamisten in den Untergrund abtauchten. Denn selbst der islamistische Präsident ist ihnen noch zu gemäßigt.

So verwirrend wie dieser jüngste Stellungswechsel ist der ganze somalische Konflikt. Seit Siad Barre 1991 gestürzt wurde und mit ihm der somalische Staat unterging, sind mehr als ein Dutzend Versuche gescheitert, eine Regierung zu bilden.

Der Palast des Präsidenten liegt auf einer kleinen Anhöhe. Die Militärfahrzeuge der AMISOM haben auf dem Hof eines Gebäudes in der Nähe gehalten. Kommandant des Konvois ist ein 34-jähriger Offizier aus Burundi. Seinen Namen will er lieber nicht nennen, denn für ein Interview ist er nicht autorisiert.

Kommandant: "Die Operation heute Morgen hat zum Ziel, die Männer in der Stellung hier mit frischem Trinkwasser zu versorgen. Um den Tankwagen zu sichern, begleiten wir ihn mit fünf Fahrzeugen. In jedem davon sitzen acht Soldaten. Wir sind also rund 40 Männer." (übersetzt)

Außerdem soll die Stellung am Präsidentenpalast verstärkt werden. Deshalb bleiben einige Soldaten aus dem Konvoi hier. Die anderen fahren zurück zur Basis am Flughafen und holen noch mehr Verstärkung. Bis sie auch diesen Auftrag ausgeführt haben, wird es höchste Zeit sein, in das gut gesicherte Basislager zurückzufahren: Selbst in ihren schwer gepanzerten Fahrzeugen dürfen die Soldaten der AMISOM nach 15 Uhr nicht mehr in der Stadt unterwegs sein – eine Art Ausgangssperre für die Friedensmission.

An einer Ecke des Hofes packen Soldaten Kisten mit Waffen, Munition und Zeltstangen aus – auch die hat der Konvoi an diesem Morgen gebracht.

So ähnlich wie heute sehen alle Tage der AMISOM-Truppen aus, sagt der junge Kommandant:

Kommandant: "Wir organisieren unsere Verpflegung. Die somalische Bevölkerung versorgen wir nicht, nur diejenigen, die in der Nähe unserer Camps wohnen. Die können zu uns kommen und Trinkwasser holen, manchmal auch etwas Essen. Das füllt unsere tägliche Routine aus. Hin und wieder stellen wir einen Konvoi zusammen, um die Kommandanten der AMISOM zu Gesprächen mit der politischen Führung in die Stadt zu bringen."

Anfangs fuhren die afrikanischen Truppen noch mit ihren Tanklastern durch die Stadt, um Trinkwasser an die Bevölkerung zu verteilen. Das wurde allerdings nach zahlreichen Angriffen eingestellt. Inzwischen dienen die Patrouillen in der Stadt im Grunde nur noch der eigenen Sicherheit – obwohl der Auftrag der Truppe natürlich sehr viel weiter geht: Ausgestattet mit einem Mandat der Vereinten Nationen soll die AMISOM die somalische Regierung und wichtige Infrastruktur des Landes schützen. Außerdem soll sie die anarchischen Verhältnisse in Somalia so weit stabilisieren, dass Angehörige von Hilfsorganisationen die Bevölkerung erreichen können – woran derzeit nicht zu denken ist. Ein Teil des Problems: Das UNO-Mandat von Ende 2006 bewilligt 8000 Soldaten. Bis heute, mehr als zweieinhalb Jahre später, ist nur etwa die Hälfte vor Ort. Die Afrikanische Union erklärt das mit finanziellen Problemen. Mehrfach hat sie die Vereinten Nationen um Hilfe gebeten: Um Geld und um Truppen. Die Antwort des UNO-Generalsekretärs ist immer gleich: Somalia sei für UNO-Soldaten viel zu gefährlich.

Ould Abdallah: "Einige der Untergrundkämpfer haben wahrscheinlich tatsächlich ideologische oder religiöse Motive, aber ich glaube, dass die Mehrheit kämpft, weil sie keinen anderen Weg sieht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen." (übersetzt)

Ahmedou Ould-Abdallah ist Sonderbotschafter der Vereinten Nationen für Somalia.

Ould Abdallah: "Und wir dürfen nicht vergessen, dass die meisten Kriege finanzielle und wirtschaftliche Dimensionen haben. Die Einnahmen aus Menschenschmuggel, Drogenhandel, Straßensperren, Viehdiebstahl und der Veruntreuung von humanitärer Hilfe sind in einem Land wie Somalia Grund genug, den Krieg fortzusetzen, um von diesen Geldern etwas abzubekommen. Selbst wenn sie morgen deswegen sterben, werden sie heute um ihren Anteil kämpfen. Es ist längst überfällig, dass die internationale Gemeinschaft auch eine solche Dimension des Krieges in Somalia bei ihren Lösungsversuchen in Rechnung stellt. Menschen, die nur durch kriegerische Gewalt überleben können, brauchen eine bessere Alternative."

Tatsächlich ist das in der politischen Diskussion ein relativ neuer Gedanke: Dass Bürgerkriege aus Sicht vieler Akteure nicht eine Art Unfall oder Katastrophe sind, sondern dass Bürgerkrieg ein gewollter Zustand ist, weil sich im Chaos Geld verdienen lässt. Annette Weber von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik geht noch weiter. Für sie gilt diese Überlegung generell beim Blick auf schwache oder gescheiterte Staaten. Alle politischen Lösungsansätze gehen bis heute davon aus, dass der Zustand als "failed state" nicht gewollt sein kann – am Wenigsten von der betroffenen Regierung. Annette Weber dagegen spricht vom "erfolgreichen Scheitern" von Staaten.
"Wenn man die sich im Vergleich ansieht, dann ist es nicht immer so, […] dass diese Staaten keine Möglichkeit haben, […] ihre staatlichen Kernfunktionen – also Sicherheit, Wohlfahrt und Legitimität - auszuüben, sondern dass es durchaus Staaten gibt, die Teile dieser staatlichen Kernfunktionen auslagern. Das heißt: sie nutzen andere Akteure, sie nutzen NGOs oder Milizen, die ihnen wohl gesonnen sind, um diese staatlichen Kernfunktionen auszuüben."

Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Machthaber sparen Geld - viel Geld. Denn Sicherheit, Bildung und Sozialsysteme sind teuer. Umso lukrativer ist es für ein Regime, wenn internationale Hilfsorganisationen und Milizen für diese Aufgaben zahlen. Für die Herrschenden gibt es keinen Grund, aus ihrem schwachen Staat ein funktionierendes Gemeinwesen zu machen. Wohl auch deshalb kamen in Somalia alle Initiativen für die Neubildung einer Zentralregierung von außen - und hatten im Land so wenig Rückhalt, dass sie scheiterten.

Weber: "Ich glaube für Somalia ist es notwendig, sich wirklich noch mal anzugucken: Wie lässt sich Politik und wie lassen sich politische Regulierungssysteme, die einer Bevölkerung zugute kommen […] vorstellen. Also wie lassen sich Lokalwahlen, wie lassen sich Kommunalwahlen vorstellen, ohne dass es eine Regierung gibt. Und ich glaube, dass es da einfach wenig Vorstellungskraft in der Internationalen Gemeinschaft gibt. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Internationalen sagen: Aufgrund der Sicherheitslage in Somalia selbst ließe sich so etwas nicht durchführen. Also da muss man sich Somalia noch mal genauer angucken, Somalia ist ja nicht nur Mogadischu – also ich glaube nicht, dass es unmöglich ist, auf einer lokalen Ebene politische Stabilisierung mit zu unterstützen."

Doch für die internationale Politik gelten lokale und regionale Machthaber bislang nicht als Verhandlungspartner – selbst wenn sie bei der Bevölkerung noch so viel Rückhalt haben und in ihrem Einflussbereich vielleicht sogar so etwas wie Sozialleistungen organisieren. Zu den Glaubenssätzen der internationalen Politik gehört, dass Staaten nur mit Staaten verhandeln. Da Somalia bislang als einziger Staat der Welt völlig unterging, hat internationale Diplomatie ihren vertrauten Ansprechpartner verloren – und damit erprobte Handlungsmuster.
Es ist mittlerweile früher Abend. In der Feldküche des AMISOM – Camps am Flughafen wird gekocht. Auf mehreren offenen Feuerstellen stehen große, gusseiserne Töpfe. In einigen bruzzeln Kartoffelchips im Fett, in anderen köcheln rote Bohnen.

Die Stimmung ist gelöst, fast heiter: einige niedrige Mannschaftsgrade haben sich zu den Köchinnen und Köchen gesellt und helfen, noch in Uniform, beim Verlesen von roten Bohnen. Dabei wird geplaudert und gescherzt – wohl deshalb ist die Küchenarbeit offenbar recht beliebt. Nach und nach sind Köche und Helfer bereit, auf Fragen zu antworten – ihre Namen nennen sie allerdings nicht.

Gefreiter 1: "Wir können nicht helfen. Wir haben gerade mal genug, um unsere eigenen Truppen zu verpflegen. An der Gesamtsituation können wir nichts ändern. Die Menschen hier haben Hunger, das sieht man. Meinen Sie etwa, die Afrikanische Union könnte sie verpflegen? Noch nicht einmal genug Kleidung haben die Menschen – sie bräuchten einfach alles!" (übersetzt)

Gefreiter 2: "Diese Armut ist der Grund für die Kämpfe hier. Es ist nicht schwer jemanden anzuheuern, der gegen Bezahlung ein Verbrechen begeht, zum Beispiel einen Anschlag auf uns verübt – selbst wenn er dabei vielleicht stirbt. Das ist auch nicht erstaunlich, denn wer wird untätig zu Hause bleiben, wenn er hungrig ist?" (übersetzt)

Gefreiter 1: "Ich würde gerne mal zu Fuß in die Stadt gehen, auf den größten Markt hier, den Bakhara Markt. Der soll sehr lebhaft und geschäftig sein, mit einer Menge Händlern. Aber das ist viel zu gefährlich. Ich ertrage es kaum, das Elend meiner afrikanischen Brüder hier zu sehen, die Tag und Nacht leiden. Wenn wir mit unseren Konvois in der Stadt unterwegs sind, sehen wir, wie sehr die Zivilisten leiden. Sie sind wirklich in Not. Sie haben kaum brauchbare Unterkünfte, zu wenig zu Essen, nicht genug Kleidung – nichts. Es geht ihnen sehr, sehr schlecht. Die Not dieser Menschen berührt mich tief. Ich wünschte wirklich, wir könnten ihnen zu Frieden verhelfen. Anschließend könnten wir beruhigt nach Hause gehen – denn natürlich vermissen wir unsere Familien."

Weil Helfer bedroht, gekidnappt und getötet werden, erreicht kaum noch jemand die Menschen in Not. Je schlechter die Sicherheitslage, desto größter die soziale Not - und die wiederum schürt den Krieg. In diesem Umfeld kämpfen die Truppen der AMISOM auf verlorenem Posten. Nur wenn die Internationale Gemeinschaft den Einsatz der afrikanischen Friedenstruppe mit neuen politischen Ansätzen und wirtschaftlichen Maßnahmen begleiten würde, könnte die militärische Mission erfolgreich sein. Sonst wird AMISOM ihren Auftrag vermutlich auch mit ein paar tausend zusätzlichen Soldaten nicht erfüllen können.