Missionierung von Flüchtlingen

"Instrumentalisierung einer Situation"

Flüchtlinge stehen in einer Schlange vor einem weißen Zelt an.
Flüchtlinge sind Menschen in Not - und nicht nur Missionsziele, betont der Theologe Ulrich Dehn. © dpa / Bernd Wüstneck
Ulrich Dehn im Gespräch mit Kirsten Dietrich |
Die deutsche Kirche hat ein schwieriges Verhältnis zur Mission. Judenmission ist verpönt, auch von Islammission distanziert sie sich. Im Interview spricht der Theologe Ulrich Dehn über die Geschichte der Mission, wie junge Theologie-Studenten heute mit ihr umgehen und warum es unanständig ist, Flüchtlinge missionieren zu wollen.
Anne Françoise Weber: Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker, taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. – Mit diesem sogenannten Missionsbefehl endet das Matthäusevangelium, das erste Buch des christlichen Neuen Testaments. Im Namen dieses Missionsbefehls sind Christen im Laufe der Geschichte recht unbekümmert in die Welt gezogen und waren oft nicht zimperlich bei der Wahl der Methoden, mit denen alle Völker da zu Jüngern gemacht werden sollten. Dass Mission kein Instrument für politische und koloniale Ambitionen sein kann, ist inzwischen Konsens in den meisten christlichen Kirchen. Aber was ist Mission dann? Es bleibt ja der Missionsbefehl als letztes überliefertes Wort Jesu. Und über die Mission unter Juden – wir hörten es gerade im Bericht von der EKD-Synode – wird immer noch oder schon wieder debattiert. Wie also umgehen mit dem Thema Mission? Darüber habe ich mit Professor Ulrich Dehn gesprochen. Er leitet das Institut für Missionsökumene und Religionswissenschaften an der Universität Hamburg. Warum wird auf einmal wieder über Judenmission diskutiert, wollte ich von Ulrich Dehn wissen. War nicht mal klar, als bitterer historischer Lernprozess, dass Christen keine Juden missionieren?
Ulrich Dehn: Also, ich kann offen gestanden selbst nicht genau nachvollziehen, warum es wieder zum Thema wird, weil ich nicht glaube, dass sich an der Situation wirklich viel geändert hat, außer dass wir natürlich nach wie vor auch viele Zuzüge von Juden, jüdischen Mitbürgern, Mitbürgerinnen aus zum Beispiel osteuropäischen Ländern haben. Aber ich bin wie gesagt nicht der Meinung, dass das Thema selbst dadurch in irgendeiner Weise einen neuen Impuls bekommen muss, denn es gibt auch Aussagen der EKD, zum Beispiel in ihrer Studie "Christen und Juden 3" von Jahr 2000, in der sie ganz deutlich sich von strukturierter Judenmission distanziert hat und stattdessen eben auf den Begegnungscharakter des Gesprächs mit Juden abhebt, in dem natürlich keinem Gesprächspartner ein Pflaster über den Mund geklebt werden darf. Aber die strukturierte und absichtliche und organisierte Judenmission ist ein Phänomen, von dem sie sich distanziert, und ich sehe keinen Grund, diese Distanzierung in irgendeiner Weise aufzuweichen. Schon gar nicht für den Dialog mit den Juden, der ja nach wie vor und immer mehr sehr wichtig ist.
"Juden haben ein Recht, die Botschaft von Jesus nicht zu hören"
Weber: Warum ist es trotzdem noch kein Konsens innerhalb der EKD, warum gibt es immer noch Werke, Einzelgruppen, teilweise Strömungen in Landeskirchen, die eben betonen, dass man zum Beispiel – auch Juden – Jesus Christus als ihren Messias bezeugen solle?
Dehn: Ich denke, dass Juden, wie es so schön heißt, das Recht haben, die Botschaft von Jesus Christus zu hören, aber sie haben genauso ein Recht, sie nicht zu hören. Ich denke, dass natürlich der Missionsbefehl, wie er so schön genannt wird, Matthäus 28, von vielen Gruppen sehr ernst genommen wird, das ist auch verständlich. Aber es steht sehr viel Porzellan herum, das man damit zerschlagen kann. Und gerade Juden haben mit Recht in diesem Land eine große Sensibilität dem gegenüber, wie sie behandelt werden und ob Christen in Deutschland versuchen, sie religiös zu beeinflussen. Ich denke, dass man da wirklich sehr vorsichtig sein sollte.
Weber: Ist Judenmission einfach ganz normaler Teil von dem, was man unter Mission fassen könnte, oder ist das ein Spezialfall?
Dehn: Es kann durchaus als ein Spezialfall gesehen werden. Dem Verzicht auf Judenmission stünde dann gegenüber, anderen Religionen gegenüber sich missionarisch zu verhalten. Ich sehe Judenmission und den Verzicht auf Judenmission nicht als Spezialfall. Ich denke, dass jede Art von Begegnung mit jeder Art von Religion durchaus in der Begegnung Zeugnischarakter haben darf und kann, weil Menschen über das reden, was sie auf dem Herzen haben, aber ich halte es nicht mehr für zeitgemäß und auch in unserer Zeit nicht mehr für biblisch begründbar, mit organisierten Missionsaktivitäten auf Menschen anderen Glaubens zuzugehen. Das ist einfach nicht mehr ein Thema, zu dem die Bibel uns heutzutage, unter unseren heutigen Bedingungen nötigen würde.
Weber: Wie würden Sie denn dann heute Mission verstehen?
Dehn: Ich verstehe Mission als einen allgemeinen Ausdruck des Lebens meines christlichen Glaubens. Also ein Ausdruck, der nicht mit absichtlichen Missionsbemühungen verbunden ist. Aber das Leben des christlichen Glaubens, sei es durch einzelne Christen, sei es durch Aktivitäten, wie sie jetzt auch gegenüber den Flüchtlingen passieren, sei es durch das normale Leben der Kirchengemeinde, kann durch seine Attraktivität etwas ausstrahlen, das kann jederzeit Menschen dazu anregen, den christlichen Glauben attraktiv zu finden. Aber das muss nicht eine gezielte und organisierte Missionsaktivität sein. Und ich glaube, dass diese Art von Mission durch das eigene Leben, diese eher unabsichtliche Art der Mission das ist, wozu das Evangelium uns heutzutage auffordert.
Für viele Studierende ist Mission ein Herzensanliegen
Weber: Über missionarische Aktivitäten in Bezug auf Flüchtlinge würde ich gern gleich noch mal mit Ihnen drüber reden. Ich würde erst noch mal zur Kirche und der Mission kommen, also diesem durchaus spannungsvollen Verhältnis. Sie leiten ja ein Institut für Missionsökumene und Religionswissenschaften. Was interessiert denn heute junge Theologiestudierende überhaupt an dem Thema Mission?
Dehn: Es gibt viele Studierende, die einfach ein Interesse daran haben, was in der Missionsgeschichte alles passiert ist, wie das Christentum sich verbreitet hat durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch, an welchen Stellen es wie erfolgreich gewesen ist. Also dieses, sagen wir mal, historische Interesse ist sehr stark. Es gibt aber auch viele Studierende, auch mit einem besonderen Frömmigkeitshintergrund, die sich auch für Ausdruck von Mission heute interessieren und denen durchaus auch die Situation der Kirche am Herzen liegt, die sehen, dass die Gottesdienste mindestens lange Zeit mal leerer geworden sind, das ändert sich zurzeit, glaube ich, so ganz allmählich wieder ein bisschen, also die einfach ein Herzensanliegen haben, dass es mit der Kirche bei uns noch mal wieder attraktiver wird, dass sie mehr Zulauf bekommt. Das ist ein sehr persönliches, ein auch sicherlich auf den zukünftigen Beruf orientiertes Interesse, das da eine Rolle spielt.
Weber: Das heißt, das ist ein Missionsinteresse, das sich eher nach innen, also hier in eine eher säkularisierte Bundesrepublik richtet, und nicht so sehr in andere Länder, andere Kulturen hinein?
Dehn: Das scheint mir der Fall zu sein zurzeit. Also, der Blick auf die eigene Kirche, auf die eigene Gemeinde oder Landeskirche ist im Augenblick sehr stark. Dieser Blick in die Weltmission, also die Frage, was für eine Aufgabe haben wir gegenüber etwa den Partnerkirchen, unserer Landeskirche oder unseres Missionstags, ist, glaube ich, ein auch für einige Studierende wichtiger Blick, aber eher für eine Minderheit. Ich habe ganz stark das Gefühl, dass der Blick auf unsere hiesige Gesellschaft und Kirche im Augenblick bei vielen Studierenden im Vordergrund steht.
Weber: In der Kirche ist Mission ja fast so ein bisschen ein peinliches Thema. Oder war es auf jeden Fall lange Zeit. Die evangelische Kirche hat sich auf ihrer Synode vor 16 Jahren, 1999, schwerpunktmäßig mit Mission beschäftigt und hat das da auch selber zugegeben, indem man so in dem Thesenpapier sagte, dass es den meisten Christen eher peinlich sei, von Glauben zu reden, und dass man deswegen ganz ausdrücklich dazu ermutigt, eben Glauben auch nach außen zu tragen. Hat sich in dieser Zeit, seit dieser Neubeschäftigung, seit diesem neuen Blick auf Mission irgendwas geändert im Verhältnis, ist das nicht mehr so peinlich, ist das jetzt ein selbstverständlicheres Thema?
Dehn: Ich habe den Eindruck, dass das Thema selbstverständlicher geworden ist. Es gab ja mal in der Missionsszene, wenn ich sie mal so nenne, also Missionswerken, in missionarisch orientierten Einrichtungen, sogar Bestrebungen lange Zeit, Namen zu ändern und das Stichwort Ökumene oder Interkulturalität stärker in den Vordergrund zu stellen. Daran hat sich was geändert. Also, ich habe den Eindruck, dass die Peinlichkeit, wenn man es so nennen will, verblasst ist und man durchaus stärker den durchaus auch notwendigen Attraktivitätscharakter der Kirche, den man ja unter den Begriff Mission fassen kann, durchaus stärker jetzt wieder zu betonen bereit ist und auch betonen muss. Und missionarische Einrichtungen dürfen ihren Namen natürlich behalten, da gibt es zurzeit keine Aktivität oder Bestrebung, die ich sehen kann. Insofern hat sich da sicherlich in den letzten Jahren etwas geändert, das würde ich auf jeden Fall so sagen. Es kann natürlich auch etwas damit zu tun haben, dass einfach eine Generation, die mit ihrem kritischen Potenzial bis in die 90er-Jahre hinein tätig war und die Diskussionen beeinflusste, einfach jetzt älter geworden ist und ihren Einfluss nicht mehr so stark geltend macht.
Weiter kritische Distanz zu Mission
Weber: Nun hat aber die evangelische Kirche im Rheinland gerade eine neue Arbeitshilfe erstellt und herausgegeben, die heißt "Weggemeinschaft und Zeugnis im Dialog mit Muslimen". Und darin lehnt man ganz eindeutig strategische Islammission ab. Das ist ja jetzt eigentlich das Gegenteil von dem, was Sie sagen: keine Normalisierung von Mission, sondern trotzdem weiter diese kritische Distanz dazu, oder?
Dehn: Ich würde auch nicht sagen, dass missionarische Aktivitäten sozusagen wieder zur Normalität gehören seit der Leipziger Synode von 1999, sondern ich würde eher sagen, dass das Nachdenken darüber, wie Kirche attraktiv werden kann für andere Menschen, einfach häufiger auch wieder unter dem Stichwort Mission gefasst werden darf. Das ist ja ein Denken, das schon immer eigentlich angesagt war, aber jetzt eben sich noch mal verstärkt hat. Insofern sehe ich da jetzt nicht unbedingt einen Widerspruch darin, zu sehen, dass die rheinische Kirche sich so stark von organisierter und strukturierter Islammission distanziert, weil ich auch glaube, dass das in eine bestimmte Diskussionslage hinein passiert. Also, Islammission oder Mission gegenüber Muslimen ist eine Angelegenheit, die – wie das übrigens auch mit Judenmissionen ja an vielen Stellen passiert – auch von bestimmten Gruppen in einer sehr offensiven Weise betrieben wird, die möglicherweise dann auch Christentum oder Kirchen insgesamt durchaus in Diskredit bringen kann. Ich glaube, dass da, ähnlich wie das ja in der Studie "Christen und Juden 3" passiert ist, auch eine Distanzierung unterschwellig vorhanden ist gegenüber solchen strukturierten und offensiven Missionsaktivitäten, die zu beobachten sind. Die übrigens jetzt sich auch in Anbetracht der Flüchtlinge, die ins Land kommen, noch mal verstärkt haben. Das ist sehr eindeutig zu beobachten.
Weber: In der Diskussion vor allem in frommen, evangelikalen Kreisen werden die Flüchtlinge ja durchaus als Missionschance betrachtet. Da liest man dann Sachen wie, Mission sei jetzt vordringlich, wozu würde Gott sonst die Flüchtlinge schicken!
Instrumentalisierung einer Situation
Dehn: Also, das finde ich theologisch knapp am Rande des Anständigen, muss ich gestehen. Die Flüchtlinge suchen bei uns im Lande – das muss ich ja nicht ausdrücklich sagen –, die suchen ein möglichst sicheres Leben, die suchen die Achtung ihrer Menschenwürde und ihrer Menschenrechte und die wollen den nächsten Tag erleben und nicht unter Bedrohung von Bomben stehen. Was sie nicht suchen, ist eine neue Religion. Und ich glaube, dass wir da sehr sensibel sein müssen, dass ganz klar gesehen werden muss: Erstens sind, soviel ich gehört habe, mehr als die Hälfte der ins Land kommenden Flüchtlinge Christen. Und das heißt, diese Angst, dass wir jetzt durch die Muslime überfremdet werden, ist gegenstandslos eigentlich. Und es ist ein Thema, diesen Flüchtlingen gegenüber diakonisch tätig zu werden, und dass das dann möglicherweise auch Zeugnischarakter bekommt für die jeweilige Religion, ist absolut in Ordnung und nur ein authentischer Ausdruck des Glaubens; aber die Flüchtlinge geradezu als eine Chance für Mission zu sehen, ist Instrumentalisierung einer Situation. Genau das ist der christlichen Mission durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder vorgeworfen worden, dass sie Menschen in ihren Krisensituationen sozusagen zu konvertieren sucht. Ich kann dem wirklich nichts Positives abgewinnen.
Weber: Mission, ein schwieriges Erbe für die Kirchen. Ich sprach mit dem Theologen und Religionswissenschaftler Ulrich Dehn, er leitet das Institut für Missionsökumene und Religionswissenschaften an der Universität Hamburg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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