Missionsärztliche Schwestern

Ordensfrauen im Plattenbau

Blick auf mehrere Plattenbauten in Berlin-Marzahn
Blick auf mehrere Plattenbauten in Berlin-Marzahn © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Josefine Janert |
Der Orden der Missionsärztlichen Schwestern ist klein und doch weltweit tätig. In Berlin befindet sich die Wirkungsstätte des Ordens ausgerechnet da, wo es fast keine Katholiken gibt: im Ostberliner Plattenbaubezirk Marzahn.
Ein Einkaufszentrum in Marzahn-Hellersdorf, einem Plattenbauviertel im ehemaligen Ostteil Berlins. In der zweiten Etage haben die Missionsärztlichen Schwestern ihre Beratungsstelle eingerichtet. Heute findet dort ein sogenannter Oasentag statt. In einer kleinen Gruppe praktizieren Frauen die Entspannungstechnik Qi Gong.
Eine dunkelhaarige Frau Ende Fünfzig erzählt in der Pause von einer schweren Lebenskrise:
"Wenn ich auf der Baustelle war, dann wurde einem immer unterstellt: 'Na, hat die überhaupt Ahnung?' Das ist doch 'ne Frau, die ist doch blöd. Die kann uns doch sowieso nichts sagen.' - Obwohl ich die Berufserfahrung mitgebracht hab'…"
Nach der Wende hatte die Bauingenieurin immer mehr Probleme in ihrem Job. Sie verlor ihre Arbeit, lebte von Hartz IV, fand eine neue Stelle, wurde wieder gekündigt und bekam wieder Hartz IV.
"Mein Umbruch war so 2003/2004, wo ich nicht mehr richtig wusste: Was will ich im Leben? Und da brauchte ich einfach Hilfe, Menschen, die mir so mein Inneres gezeigt haben und aufgearbeitet haben."
Hilfe fand die Frau ganz in der Nähe ihrer Wohnung, bei den Missionsärztlichen Schwestern. Monatelang ging sie zu einer Einzelberatung bei der Therapeutin und Ordensfrau Angelika Kollacks.
Zum ersten Mal einen Fuß in den Plattenbaubezirk gesetzt
Der Orden gehört zur katholischen Kirche. Er hat in Deutschland 40 und weltweit knapp 600 Mitglieder, die alle eine medizinische Ausbildung haben. 1925 wurde er von einer österreichischen Ärztin in den USA gegründet. Das Ziel des Ordens: Die Fortschritte der modernen Medizin auch sozial benachteiligten Menschen zugänglich zu machen. Dabei gehen die Ordensfrauen mitunter unkonventionelle Wege – und bieten deshalb in Marzahn-Hellersdorf auch Qi Gong an.
Schwester Michaela Bank, die eine psychotherapeutische Ausbildung hat, erinnert sich lebhaft an den Tag im November 1991, an dem Angelika Kollacks und sie zum ersten Mal den Plattenbaubezirk betraten. Katholiken leben dort so gut wie keine, und eine Ordensfrau hatten viele Menschen noch nie gesehen.
"Zu der Zeit war ja hier noch alles Grau in Grau. Also, es gab ja keine Farbe. Da haben wir gesagt: Wenn wir jetzt etwas ganz Verrücktes tun wollen, dann gehen wir nach Marzahn. Im Pfarrhaus war eine Wohnung frei, und dort sind wir dann zunächst hingegangen. Wir mussten ja dieses Angebot erst mal den Menschen machen, um zu sehen, ob sie darauf eingehen… Von Anfang an war da eine große Resonanz."
Das lag vor allem daran, dass es in Marzahn-Hellersdorf viel zu wenig Beratungsangebote gab. Vor allem Frauen meldeten sich – Alleinerziehende, Süchtige, Partnerinnen von Alkoholkranken, Menschen mit psychischen und finanziellen Problemen. Bis heute ist die Nachfrage groß. Die Ratsuchenden können sich für Einzelberatungen entscheiden oder an Kursen für kleine Gruppen teilnehmen. Die Angebote sind kostenlos, Spenden sind willkommen.
Die Bauingenieurin hat sich mittlerweile umschulen lassen zur Altenpflegekraft. Mit ihrem neuen Beruf ist sie zufrieden. Heute kann sie anderen Menschen mehr von dem zeigen, was sie ihren "weichen Kern" nennt.
In die Kirche eintreten will sie nicht, jedoch:
"Durch meinen Beruf eigentlich stelle ich fest, dass so bestimmte Werte, die die Kirche lehrt – egal ob evangelisch oder katholisch – dass man die doch verinnerlicht. Früher in meinem alten Beruf hab ich im Grunde genommen die Karriereleiter bis zum Niederlassungsleiter hochgeklettert. Und, ich brauch das alles nicht mehr. Geld, was ich in jungen Jahren dachte, was wichtig ist, das ist nicht wichtig. Menschlichkeit ist wichtig, den anderen Menschen zu sehen."
Normale Kleidung und kleine Ordenstracht
Im Gegensatz zu anderen Ordensfrauen tragen die Missionsärztlichen Schwestern in Marzahn-Hellersdorf normale Kleidung und keine Ordenstracht, denn diese würde bei vielen Menschen für Befremden sorgen. Auf Flyern und auf dem Schild an ihrer Tür bieten sie weltanschaulich neutral eine "Lebensberatung" an.
Wenn Schwester Michaela erklärt, was es damit auf sich hat, wird jedoch schnell klar, woher sie ihre Motivation bezieht:
"Also wir heilen nicht, sondern wenn wir davon sprechen, dass uns das Charisma der heilenden Präsenz anvertraut worden ist, mit anderen Worten durch unser Leben ein Zeugnis abzulegen für den heilenden Gott, dann geht es darum, Menschen zu begleiten, Wege zu finden, die sie zur Heilung führen."
Die Beratungsstelle in dem Einkaufszentrum wirkt hell und freundlich. In einem der Räume stehen die Instrumente, mit denen die Musik- und Gestalttherapeutin Angelika Kollacks arbeitet. Sie helfen, körperliche Blockaden zu lösen und so ins Gespräch zu kommen.
"Ja, es gibt große Gongs, Saiteninstrumente, auch zum Teil Instrumente, die man auf den Körper auflegen kann, wo sich die Schwingung der Saiten dann überträgt. Wo also auch Menschen etwas spüren können, also wo sie Energie in sich spüren können. Es gibt Trommeln, da kann man seine Wut ausdrücken. Dann geht es schon darum: Was ist der Sinn meines Lebens, wo geht’s mit mir hin? Wo kann ich mit meinem Kummer hin?"
Praktisch zu helfen, das ist den Schwestern am wichtigsten.
"Ich versuche nicht, viel über Kirche zu sprechen, sondern ich frag sie, was sie selber in sich spüren an Leben. Und versuche auch, eine Begleitung so zu gestalten, dass sie in sich Leben spüren können. Das geht natürlich mit Musiktherapie und mit Klängen recht gut."
Und Schwester Michaela Bank sagt:
"Wie misst man den Erfolg einer solchen Arbeit? Meistens: Wieviel sind in die Kirche eingetreten, wieviel sind getauft? Also die klassische Kirchenstatistik, und da sind wir nicht gut drin."
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